Truck mit Treibstoff an der Grenze zu Gaza
AP
Internationaler Druck

Israel sagt mehr Treibstoff für Gaza zu

Israel erlaube die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Süden des Gazastreifens, „um einen humanitären Zusammenbruch und den Ausbruch von Epidemien zu verhindern“, wie es aus dem Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu hieß. Dem Schritt ging hoher internationaler Druck – insbesondere auch durch den Verbündeten USA – voraus. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sah sich indes zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst.

Unklar ist noch, wie viel Treibstoff zusätzlich in den Gazastreifen eingefahren werden darf. Die zusätzliche Menge werde vom Kriegskabinett entsprechend der humanitären Lage im Gazastreifen festgelegt, hieß es. Die USA hatten zuvor von Israel gefordert, mehr Hilfsgüter für den Gazastreifen zuzulassen. Laut israelischen Medienberichten will Washington, dass die tägliche Lieferung von 60.000 Liter Treibstoff verdoppelt oder gar verdreifacht werde.

Der israelische Sender Channel 12 zitierte am Mittwoch unbestätigte „Schätzungen“, denen zufolge das Kriegskabinett die tägliche Menge schrittweise von derzeit 60.000 Litern auf 180.000 Liter erhöhen werde. Der öffentlich-rechtliche Sender Kan berichtete unterdessen, dass ab Donnerstag täglich 120.000 Liter Treibstoff nach Gaza geliefert würden. Israel hatte die Einfuhr von Treibstoff infolge des 7. Oktobers gestoppt, um zu verhindern, dass die Hamas diesen für militärische Zwecke nutzen kann.

Zerstörte Gebäude in Chan Junis in Gaza
picturedesk.com/dpa/Ahmed Zakot
Das Leid der Zivilbevölkerung des Gazastreifens lässt die internationale Kritik an Israels Angriffen wachsen

UNO-Chef mit ungewöhnlichem Appell

Angesichts des Leides der Zivilbevölkerung wächst international die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee. Die UNO beklagt, dass wegen der intensiven Kämpfe weniger Hilfe in den Süden des Gebiets gelange. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte den Weltsicherheitsrat in einem seltenen Vorgang dringend auf, sich für die Abwendung einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen einzusetzen.

In einem Brief an den Sicherheitsrat berief sich der UNO-Chef dazu am Mittwoch erstmals seit seinem Amtsantritt 2017 auf den Artikel 99 der UNO-Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf „jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann“, und ist der UNO zufolge seit Jahrzehnten nicht angewandt worden.

Der UNO-Chef habe sich angesichts des großen Verlusts von Menschenleben im Gazastreifen und in Israel innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums für die Berufung auf Artikel 99 der UNO-Charta entschieden, hieß es von den Vereinten Nationen. In der Geschichte der UNO ist das bisher nur sehr selten vorgekommen. Symbolisch verleiht der Generalsekretär seinem Aufruf damit eine größere Bedeutung. Direkte Folgen hat eine Berufung auf Artikel 99 nicht.

UNO-Generalsekretär Guterres
IMAGO/UPI Photo
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres drängt auf die Abwendung einer humanitären Katastrophe in Gaza

Scharfe Kritik aus Israel

Israels Außenminister Eli Cohen kritisierte Guterres’ Schritt scharf. „Sein Antrag, Artikel 99 zu aktivieren, und die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza stellen eine Unterstützung der Terrororganisation Hamas dar“, schrieb Cohen auf X (Twitter). „Jeder, der den Weltfrieden unterstützt, muss die Befreiung Gazas von der Hamas unterstützen.“

Das Verhältnis zwischen Israel und den Vereinten Nationen gilt als sehr belastet. In den UNO-Organen spiegelt sich die Haltung der Länder der Welt, von denen die Mehrheit Israel gegenüber kritisch oder gar feindlich eingestellt ist. Die Vereinigten Arabischen Emirate legten im UNO-Sicherheitsrat inzwischen einen neuen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einem Waffenstillstand vor. Ähnliche Vorstöße waren bisher am Widerstand der USA gescheitert.

Blockade im US-Senat

Im US-Senat wurde in der Nacht unterdessen neue milliardenschwere Sicherheitshilfen für Israel und die Ukraine blockiert. Alle Republikaner im Senat stimmten mit Nein, ebenso der unabhängige Senator Bernie Sanders, der gewöhnlich mit den Demokraten stimmt. Sanders äußerte Bedenken gegen die Finanzierung der „gegenwärtigen unmenschlichen Militärstrategie“ Israels gegen die Palästinenser.

Israel meldet Einkesselung von Chan Junis

Die Kämpfe im Gazastreifen gehen auch am Donnerstag unvermindert weiter: Israels Armee will mit Chan Junis die größte Stadt im Süden des Gazastreifens nach eigenen Angaben eingekesselt und das Haus des Gaza-Chefs der Hamas umstellt haben. Jahja Sinwar könne fliehen, sagte Ministerpräsidenten Netanjahu am Mittwochabend, „aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden“.

Die jordanischen Luftstreitkräfte warfen in der Nacht medizinische Hilfsgüter über Chan Junis ab. Wie die Streitkräfte in dem arabischen Land mitteilten, handelte es sich bereits um den vierten Abwurf. Es war jedoch der erste, der an das vor rund zwei Wochen eingerichtete jordanische Feldkrankenhaus in der Stadt im südlichen Gazastreifen ging. Die ersten drei Lieferungen waren an eine Einrichtung im Norden gegangen.

Kämpfe im Norden gemeldet

Auch im Norden des Küstengebiets gebe es Israel zufolge weiter Kämpfe. In Dschabalja hätten Soldaten ein Militärgelände der Hamas angegriffen und dabei mehrere Terroristen getötet. Auf dem Areal fand das Militär eigenen Angaben nach Tunnel und Waffen. Die Marine habe wieder Hamas-Stellungen beschossen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) rief die israelischen und ägyptischen Behörden inmitten der Kämpfe dazu auf, den Grenzübergang Rafah für Medienschaffende zu öffnen, damit diese den Übergang in beide Richtungen passieren können.

Israel verstärkt Offensive im Süden

Nach Angaben der israelischen Armee haben Soldaten die größte Stadt im Süden des Gazastreifens eingekesselt. Sie hätten innerhalb weniger Stunden die Verteidigungsanlagen der islamistischen Hamas in Chan Junis durchbrochen, teilte das Militär Mittwochabend mit. Die Armee habe dort Angriffe gegen zentrale Stellungen der Hamas gestartet. Gemeldet wurde auch das Vordringen in das Zentrum der Stadt.

Auslöser des Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer Terrorgruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Etwa 1.200 Menschen wurden getötet. Bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums seitdem mehr als 16.200 Menschen in Gaza getötet worden. Unabhängig lässt sich diese Angabe gegenwärtig nicht überprüfen. Die UNO und Beobachterinnen und Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.