Eleanor Roosevelt, 1948
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75 Jahre Menschenrechte

Eleanor Roosevelt und die Charta von 1948

Am 10. Dezember 1948 hat Eleanor Roosevelt im Pariser Palais de Chaillot einen geschichtsträchtigen Auftritt gehabt. „Ich lese Ihnen jetzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor“, sagte sie schlicht. Doch was die Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission vor 75 Jahren ankündigte, gilt bis heute als Meilenstein für die damals noch jungen Vereinten Nationen.

Geprägt von den Gräueln des Nationalsozialismus und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs hatte die UNO-Menschenrechtskommission zuvor fast zwei Jahre um das 30 Artikel umfassende Dokument gerungen, das die Basis für ein friedliches Miteinander der Menschheit legen und über alle Grenzen und Kulturen hinweg gelten sollte.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, heißt es im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR). Worin dieses Recht gründet, ob in der Natur, der Vernunft oder gar einem göttlichen Schöpfungswerk, lässt die Deklaration unbeantwortet. Eine Anknüpfung an Religion, Philosophie oder Tradition findet sich bewusst nicht. Menschen haben Rechte, einfach weil sie Menschen sind.

„Stehen an Schwelle eines großen Ereignisses“

Als Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission war Eleanor Roosevelt die treibende Kraft hinter der von ihr am 10. Dezember 1948 vorgestellten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ihre Rede leitete Roosevelt damals mit den Worten „Wir stehen heute an der Schwelle eines großen Ereignisses im Leben der Vereinten Nationen und im Leben der Menschheit“ ein.

„Sie werden ohnehin dafür kritisiert“

„Wir stehen heute an der Schwelle eines großen Ereignisses im Leben der Vereinten Nationen und im Leben der Menschheit. Diese Erklärung kann die internationale Magna Charta aller Menschen werden“, wie Roosevelt dazu sagte. Die Charta von 1948 wurde in der Folge in die Verfassungen etlicher Länder aufgenommen und bildet auch die Grundlage etlicher weiterer Menschenrechtsverträge.

Roosevelt war nicht nur treibende Kraft bei der Schaffung der immer wieder als ihr Vermächtnis bezeichneten Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die US-amerikanische Menschenrechtsaktivistin und Witwe des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt war sich auch von Anfang an der schwierigen Anerkennung und Umsetzung bewusst.

„Tun Sie das, was Sie Ihrem Herzen nach für richtig empfinden – Sie werden ohnehin dafür kritisiert. Sie werden verdammt, wenn Sie es tun, und verdammt, wenn Sie es nicht tun“, sagte Roosevelt in ihrer vielbeachteten Erklärung vor der UNO-Generalversammlung im Dezember 1948 in Paris.

Acht Enthaltungen, keine Gegenstimme

Die Resolution 217 A (III) wurde dort in der Folge ohne Gegenstimme, allerdings mit acht Enthaltungen angenommen. Die Resolution war das Ergebnis langwieriger Verhandlungen, in die nicht nur die erstmals am 9. Juni 1947 in New York zusammengekommenen 18 Mitglieder der UNO-Menschenrechtskommission involviert waren. Auch alle damaligen UNO-Mitgliedsstaaten wurden von der Menschenrechtskonvention um Stellungnahmen und Anmerkungen gebeten, womit mehr als 50 Länder an der endgültigen Ausarbeitung des ersten Entwurfs der Erklärung beteiligt waren.

Als Verfasser des Dokuments gilt der Franzose Rene Cassin. Neben Roosevelt waren Kommissionsberichterstatter Charles Malik aus dem Libanon, der stellvertretende Vorsitzende Peng Chung Chang aus China und der Direktor der Menschenrechtsabteilung der Vereinten Nationen, John Humphrey (Kanada), zentrale Figuren hinter der Umsetzung des bereits mit der Geburt der Vereinten Nationen in die Wege geleiteten Unterfangens.

Von UNO-Gründern „voll erkannt“

„Die entscheidende Bedeutung dieses Themas wurde von den Gründern der Vereinten Nationen in San Francisco voll erkannt“, sagte Roosevelt wenige Wochen vor ihrem Auftritt bei der UNO-Vollversammlung in einer Rede an der Pariser Sorbonne-Universität. Roosevelt verwies unter anderem auf Artikel 1 der im Juni 1945 in San Francisco unterzeichneten UNO-Charte, in dem „die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ als erklärtes Ziel festhalten ist.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der UNO-Gründung 1945 „hatte die internationale Gemeinschaft geschworen, solche Gräueltaten nie wieder zuzulassen. Staats- und Regierungschefs der Welt beschlossen, die Gründungscharta mit einem Leitfaden zu ergänzen, der die Rechte jedes einzelnen Menschen überall auf der Welt“ garantiert, erinnert das Deutsche Institut für Menschenrechte. Ein Jahr später habe sich bei der ersten Tagung der Generalversammlung bereits abgezeichnet, dass das geplante Dokument einmal zu einer Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden sollte.

Deklaration der Menschenrechte
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„Das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal“ definiert die Erklärung der Menschenrechte

So wegweisend wie unverbindlich

So wegweisend die Deklaration von 1948 war, so wenig verbindlich war das Dokument. Unter dem beginnenden Ost-West-Konflikt wurde in den Verhandlungen schnell klar, dass ein völkerrechtlicher Vertrag außerhalb der Möglichkeiten lag. Dazu kam: Auch in den westlichen Demokratien waren die geforderten Rechte teils weit weg von der Realität.

In den USA erhielten Afroamerikaner das Wahlrecht etwa erst über 15 Jahre später. Und dass 1948 gerade einmal 58 Staaten Mitglieder der UNO waren, ist in erster Linie einem Umstand geschuldet: Der Kolonialismus war noch nicht Geschichte.

Strahlkraft entwickelte das Papier dennoch. „Die Erklärung war nur der Beginn eines sehr viel umfassenderen Kodifizierungsprozesses“, hielt der Wiener Völkerrechtsprofessor und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak einmal im Gespräch mit ORF.at fest. „Alle Staaten der Welt haben Menschenrechte rechtlich verbindend anerkannt. Selbst Staaten wie Nordkorea oder Eritrea“, so Nowak: „Die Menschenrechte sind das anerkannteste Wertesystem der Gegenwart.“

Aufruf zum Nachdenken über Menschenrechte

Das könnte ein Grund zum Feiern sein. Zu hören sind zum Thema aber weiterhin mahnende Worte, unter anderen vom UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, der zum Jahrestag zum „Nachdenken über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ aufrief. Zwar seien in den vergangenen 75 Jahren „tiefgreifende Fortschritte und viele einzigartige Errungenschaften“ erzielt worden – Errungenschaften, die allerdings nicht nur gewürdigt und bewahrt, sondern auch „viel besser finanziert werden müssen“.

Auch mit Blick auf die laufenden Konflikte in der Ukraine und im Gazastreifen hielt Türk zum Jahrestag fest, dass man heute nur zu gut wisse, dass „die Unterdrückung der Vergangenheit in verschiedenen Formen zurückkehren“ könne: „Wenn es jemals einen Zeitpunkt gab, die Hoffnung auf Menschenrechte für jeden Menschen wiederzubeleben, dann ist er jetzt.“

Damit einher geht schließlich auch ein bis heute von den Vereinten Nationen auf Eleanor Roosevelts Worte zurückzuführender Leitfaden auf die Frage, wo universelle Menschenrechte beginnen: „An den kleinen Orten, ganz in der Nähe – so nah und so klein, dass sie auf keiner Landkarte zu finden sind“.