Israelische Panzer am Strand von Gaza
Reuters/Israel Defense Forces
Israel und Ägypten

Gemeinsamer Plan für Gaza gesucht

Zwei Monate nach dem Überfall der Hamas auf Israel ist der Krieg in Gaza weiter voll im Gange und ein Ende nicht absehbar. Was dafür derzeit noch völlig fehlt: ein Plan, wie es in dem schmalen Küstenstreifen danach weitergehen soll. Israel legt sich hier aus mehreren Gründen bisher nicht fest. Das belastet aber zugleich die in der Frage entscheidende Achse mit Ägypten. Dabei gibt es in der Frage viele gemeinsame Interessen.

Für Israel sind die selbst gesteckten Kriegsziele – eine weitgehende Zerstörung der Hamas, sodass die Terrororganisation weder militärisch noch administrativ einsatzfähig ist – bisher nicht erreicht. Für eine Beendigung braucht es aber bereits im Vorfeld eine Strategie für die Zeit danach. Einerseits für die nahe Zukunft, wer wie in Gaza unmittelbar nach dem Krieg für die Sicherheit und die Versorgung der Bevölkerung sorgen und die erste Phase des Wiederaufbaus einleiten soll. Darüber hinaus braucht es auch eine mittel- und langfristige Planung für Gaza. Dafür müssen alle, die in diese Prozesse involviert sein werden, übereinstimmen.

Ventiliert wurden – mehr oder weniger offiziell – bereits viele Szenarien. Ihre Umsetzung ist aber entweder völlig unrealistisch oder wird bisher von einer der involvierten Seiten vehement abgelehnt. Zentral für eine Neuordnung in Gaza ist die Achse Israel – Ägypten, und das nicht nur, weil sie alle Zugänge nach Gaza kontrollieren. Es geht um die Stabilität in der gesamten Region und die Bildung eines Anti-Iran-Lagers.

Kein Kontakt auf höchster Ebene

Allerdings haben sich Israels Kontakte seit Bildung der Regierung mit rechtsextremen Parteien durch Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit arabischen Ländern verschlechtert. Von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) war Netanjahu ausgeladen worden. Das hat sich durch den Überfall der Hamas und den dadurch ausgelösten Krieg nicht geändert, eher im Gegenteil.

Insbesondere mit Ägypten gab es israelischen Medienberichten zufolge seit dem 7. Oktober keinen Kontakt zwischen Netanjahu und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Davor hatte Sisi Netanjahu nach der Regierungsbildung sechs Monate hingehalten, bevor er einem Telefonat zustimmte.

UNO-Generalsekretär wendet sich an Sicherheitsrat

UNO-Generalsekretär Guterres fordert am Donnerstag den Sicherheitsrat dazu auf zu handeln, um einen humanitären Kollaps in Gaza abzuwenden. Erstmals in seiner Amtszeit beruft sich Guterres dabei auf Artikel 99 der UNO-Carta. Demzufolge darf der UNO-Chef den Sicherheitsrat auf Angelegenheiten hinweisen, die seiner Meinung nach den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden könnten.

Sorge vor Vertreibung von Palästinensern

Ägypten dürfte es Israel auch übel nehmen, dass es Katar in den Verhandlungen über Geiselfreilassungen die zentrale Rolle einräumte. Ägypten ist zudem besorgt über wiederholte Aussagen israelischer Vertreter, Palästinenser sollten oder könnten in großer Zahl nach Ägypten gebracht werden. Ein solches Szenario hat Netanjahu bis heute nicht dementiert. Israel dränge Kairo in dieser Sache, berichtete die israelische Nachrichtenwebsite Ynet am Mittwoch unter Berufung auf arabische Medienberichte.

Ägypten sieht darin den Versuch Israels, die Krise nach Ägypten zu exportieren und den Konflikt mit den Palästinensern auf Kosten Kairos zu lösen. Der ägyptische Regierungschef Mustafa Madbuli deutete an, dass Kairo das als Verstoß gegen den Friedensvertrag werten könnte. Am Donnerstag warnte Kairo Israel vor dem Überschreiten einer „roten Linie“.

Unterschiedliche Konzepte

Israels Regierung hat bisher nur bekanntgegeben, dass sie auch nach dem Krieg einen Streifen an der Grenze zu Israel als Sicherheitspuffer einrichten will. Freilich ist völlig unklar, wie lange Netanjahu noch Regierungschef sein wird. Mit seiner Ansage, die Autonomiebehörde nicht Gaza regieren zu lassen, wirbt Netanjahu im rechten Lager um Unterstützer. Da passen Pläne für die Zeit nach dem Krieg nicht ins Bild. Aber Israels Regierung schweigt wohl auch, um möglichst viel Zeit für den Militäreinsatz zu gewinnen. Breiter Konsens in Israel ist, dass die Hamas keine Rolle mehr spielen soll.

Ägyptens Vorstellungen wurden zuletzt via Nachrichtenwebsite al-Arabi al-Dschadid bekannt: Kairo gehe nicht davon aus, dass Israel die Hamas völlig ausschalten kann. Es plädiere für eine Fusion von Palästinensischer Autonomiebhörde (PA) und Hamas, auch die Kampfverbände sollen in den Sicherheitsdienst der PA integriert werden.

Israelisches Militärboot vor Gaza
Reuters/Amir Cohen
Israelisches Patrouillenboot vor dem Sikim-Strand. Hier griffen Hamas-Kommandos am 7. Oktober vom Meer aus an.

Viele gemeinsame Interessen

Dabei teilen Ägypten und Israel einige Interessen, die als Basis für einen gemeinsamen Plan dienen könnten. Die israelische Denkfabrik Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) zählt folgende auf: die Hamas schwächen und Gaza demilitarisieren; eine stabile Verwaltung in Gaza, damit es nicht wieder zum Terrorzentrum wird; Ägypten auf Kosten Katars wieder zum zentralen Vermittler in Gaza machen; den Einfluss des Iran im Nahen Osten einschränken sowie Initiativen für Frieden und wirtschaftliche Kooperation.

Zudem ist es laut INSS auch in Israels Interesse, die ägyptische Wirtschaftskrise und den Tiefflug des ägyptischen Pfunds zu stoppen, damit die politische Stabilität beim Nachbarn gewahrt bleibt. Verschärft wurde die Krise durch den Krieg in Gaza, da die beiden wichtigsten Devisenbringer teils wegfielen: Denn weniger Handelsschiffe benützen den Sueskanal, und der Tourismus auf der Sinai-Halbinsel ist ausgerechnet in der Hauptsaison stark zurückgegangen.

Zerstörte Gebäude am Strand von Gaza City
AP/Mohammed Hajjar
Zerbombte Häuser in Gaza-Stadt

US-Plan als wahrscheinliche Richtschnur

Am wahrscheinlichsten erscheint aus heutiger Sicht eine mehr oder weniger abgewandelte Variante des US-Plans für Gaza: Die Hamas bleibt außen vor, zumindest mittelfristig übernimmt eine reformierte Autonomiebehörde die Verwaltung auch im Gazastreifen. Die Sicherheit wird entweder durch starke Garantien (USA, NATO, Anm.) abgesichert oder von internationalen Truppen. Zumindest einen Rahmen mit definierten Bedingungen, bei deren Erfüllung die Friedensgespräche wieder starten, braucht es. In den nächsten Monaten oder vielleicht auch Jahren sind echte Friedensverhandlungen nach den Ereignissen des 7. Oktobers und danach nahezu auszuschließen.