Biden habe den Ukrainer nach Washington eingeladen, „um das unerschütterliche Engagement der Vereinigten Staaten für die Unterstützung des ukrainischen Volkes bei der Verteidigung gegen die brutale russische Invasion zu unterstreichen“, teilte das Weiße Haus am Sonntag mit.
Aus dem Büro Selenskyjs hieß es, es werde neben dem Treffen mit Biden auch eine Reihe anderer Gespräche geben. US-Medienberichten zufolge soll sich Selenskyj auch mit US-Senatoren sowie dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses, dem Republikaner Mike Johnson, treffen.
Schon am Montag pochte Selenskyj in Washington auf Unterstützung der USA. „Wir werden nicht aufgeben. Wir wissen, was zu tun ist, und Sie können auf die Ukraine zählen, und wir hoffen, dass wir auch auf Sie zählen können“, so der ukrainische Präsident bei einer Rede an der National Defense University in Washington. Auch ein Treffen mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, stand für Selenskyj am Montag bereits auf dem Programm.
Selenskyj-Rede an National Defense University
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zum Auftakt seines US-Besuchs in Washington eindringlich vor dem Ausbleiben weiterer US-Militärhilfen für sein Land gewarnt. „Putin muss verlieren“, sagte Selenskyj in einer Rede in der National Defense University.
Streit im US-Kongress
Das Weiße Haus teilte mit, Biden und Selenskyj wollten den dringenden Bedarf der Ukraine für den Kampf auf dem Schlachtfeld erörtern und auch über die Fortsetzung der US-Hilfen sprechen. Die Freigabe neuer Mittel wird derzeit von einem Streit im US-Kongress blockiert. Mehr und mehr Republikaner melden Zweifel an der Unterstützung für die Ukraine an oder lehnen diese völlig ab. Nach Angaben der Regierung in Washington werden die bisher vom Parlament bewilligten Mittel für die Ukraine zum Jahresende komplett aufgebraucht sein.
Ein jüngst verabschiedeter Übergangshaushalt enthält erneut keine neuen Mittel für die Ukraine, obwohl Biden bereits im Oktober große Milliardensummen für Kiew beim Kongress beantragt hatte. Mit zunehmender Vehemenz und teils dramatischen Appellen fordern Biden und sein Team den Kongress seit Wochen zum Handeln auf. Bewegung ist dort bisher aber nicht in Sicht. Der Kampf der Ukraine gegen den Angreifer Russland könnte darunter leiden.
Europäische Abgeordnete schreiben Brief an US-Kongress
Mehr als 100 europäische Abgeordnete wollen einen gemeinsamen Brief an ihre US-Kollegen zur blockierten amerikanischen Militärhilfe für die Ukraine schicken. Reuters-Angaben zufolge haben Vertreterinnen und Vertreter aus mindestens 17 EU-Staaten – darunter Deutschland, Frankreich, Polen und Irland – den Brief unterzeichnet. Die Europäer hätten seit der russischen Invasion so viel zur Ukraine beigetragen wie die USA, heißt es laut Reuters in dem Schreiben: US-Hilfe sei jedoch „dringend“.
Militär: Russland startete neue Offensive
Die militärische Lage in der Ukraine ist weiter angespannt: Russland hat dem ukrainischen Militär zufolge eine neue Offensive auf die Stadt Awdijiwka im Osten der Ukraine gestartet. „Der Feind hat gestern mit Unterstützung gepanzerter Fahrzeuge massive Angriffsaktionen in Richtung Awdijiwka und Marijinka gestartet“, sagte Militärsprecher Olexandr Stupun dem ukrainischen Fernsehen am Montag. Die Frontlinien hätten sich in den vergangenen Wochen kaum verschoben, die Kämpfe seien aber heftig. Die Schlacht um die Frontstadt Awdijiwka tobt seit Monaten. Von den 32.000 Einwohnern vor dem Krieg leben nur noch 1.500 Menschen in der ostukrainischen Stadt.
Selenskyjs Zwischenstopp in Argentinien
Vor seinem US-Besuch hatte Selenskyj noch einen Abstecher nach Argentinien zur Amtseinführung des neuen argentinischen Staatschefs Javier Milei gemacht. Es war das erste Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf sein Land, dass der Regierungschef nach Südamerika reiste. Im Gegensatz zur linken Vorgängerregierung in Buenos Aires gilt Milei als entschlossener Unterstützer der Ukraine. Am Rande dieses Arbeitsbesuchs kam er mit seinem paraguayischen Kollegen Santiago Pena, dem Präsidenten Ecuadors, Daniel Noboa, und Urugays Staatschef Lacalle Pou zusammen.
Bei allen Unterredungen sei in erster Linie die Friedensformel Kiews für ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erörtert worden. Dieser Plan sieht unter anderem den sofortigen Abzug aller russischer Truppen aus allen besetzten Gebieten, einschließlich der Krim, vor. Auch eine juristische Verantwortung der russischen Politiker und Militärs für den Angriffskrieg gehört zu dem ukrainischen Friedensplan.
Gespräch mit Orban nach Blockadedrohung
Am Rande seines Argentinien-Besuchs sprach Selenskyj auch mit dem als russlandfreundlich geltenden ungarischen Premierminister Viktor Orban über den von der Ukraine angestrebten EU-Beitritt. Orban habe Selenskyj zu verstehen gegeben, dass die Mitglieder der EU in Sachen Beitritt der Ukraine „kontinuierlich miteinander verhandeln“, sagte dessen Sprecher Bertalan Havasi am Sonntag.
Selenskyj sagte in seiner allabendlichen Videoansprache, dass er so „offen wie möglich“ mit Orban über die europäischen Angelegenheiten der Ukraine gesprochen habe. In ukrainischen Medien war die Rede von einem „emotionalen Gespräch“. Orban hatte zuletzt gedroht, Kiews Hoffnungen auf einen baldigen Beginn von Aufnahmegesprächen mit der EU zu blockieren.
Orban hatte jüngst in einem Brief an EU-Ratspräsidenten Charles Michel geschrieben, die Erwartungen, dass bei dem Spitzentreffen in Brüssel über den Start von EU-Beitrittsverhandlungen entschieden werden könne, seien unbegründet. Orban argumentiert, dass der Vorschlag der EU-Kommission für den Start von Beitrittsverhandlungen nicht vereinbar mit einem Gipfelbeschluss aus dem Juni 2022 sei. In diesem hieß es, über weitere Schritte im Beitrittsprozess solle erst entschieden werden, wenn „alle diese Bedingungen vollständig erfüllt sind“.
Ukraine: Großteil der Vorgaben bereits erfüllt
Nach eigenen Angaben erfüllte die Ukraine bereits einen Großteil der zuletzt noch ausstehenden Verpflichtungen für einen Start von EU-Beitrittsverhandlungen. „Von den vier Gesetzen, deren Einführung die EU-Kommission bis März von der Ukraine gefordert hat, sind drei vom Parlament angenommen und vom Präsidenten unterzeichnet worden“, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba am Montag am Rande von Gesprächen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel. Dazu gehörten neben Gesetzen zur Korruptionsbekämpfung auch die von Ungarn geforderten Regeln zur Bildung und zum Gebrauch der Sprachen nationaler Minderheiten.
Als einzigen noch offenen Punkt nannte Kuleba die Verabschiedung eines Gesetzes zur Eindämmung des Einflusses von Lobbyisten. Es sei aber auch bereits im Parlament registriert und werde ebenfalls angenommen werden.
Kiew macht Druck
Als Gegenleistung erwarte die Ukraine nun, dass beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wie von der EU-Kommission vorgeschlagen eine positive Entscheidung zum Start von Beitrittsverhandlungen getroffen werde, sagte Kuleba auch als Seitenhieb auf Orban. Wenn das nicht geschehe, wäre das äußerst demotivierend für die Menschen im Land und werde nach außen hin den Eindruck vermitteln, dass die EU nicht in der Lage sei, Entscheidungen historischer Natur zu treffen. Die Konsequenzen würden verheerend sein, so der Minister.
Auch das ukrainische Parlament – die Oberste Rada – rief die europäischen Staaten zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Kiew auf. Die Regierungen und Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten sollten den Beginn der Verhandlungen beim Gipfel beschließen, hieß es in dem mehrheitlich beschlossenen Appell. Über die Sitzung – wegen des Kriegsrechts unter Ausschluss der Öffentlichkeit – am Samstag in Kiew hatte der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak in seinem Kanal im Nachrichtendienst Telegram berichtet.
Die Ukraine hat 2022 den Status als Beitrittskandidat erhalten. Eine große Mehrheit der EU-Staaten will nun bei dem Gipfeltreffen am 14. und 15. Dezember unter anderem über den offiziellen Beginn von Beitrittsverhandlungen entscheiden.