polnischer Politiker Donald Tusk
AP/Michal Dyjuk
Machtwechsel in Polen

Tusk als Regierungschef nominiert

Donald Tusk wird der neue Ministerpräsident Polens: Das Parlament stimmte am Montagabend für den bisherigen Oppositionsführer und machte damit den Weg für einen Richtungswechsel frei. Zuvor hatte der bisherige Premier Mateusz Morawiecki das Vertrauensvotum im Parlament verloren.

248 der 449 anwesenden Abgeordneten stimmten für Tusk als neuen Ministerpräsidenten. Nur kurz zuvor hatten die Abgeordneten einer neuerlichen Regierung unter Führung der PiS von Morawiecki eine Abfuhr erteilt. Die polnische Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ schrieb, dass nur 190 Abgeordnete dem bisherigen Ministerpräsidenten das Vertrauen aussprachen. 266 stimmten gegen Morawiecki. Für die benötigte absolute Mehrheit hätten 229 Parlamentarier Morawiecki das Vertrauen aussprechen müssen.

Damit steht Polen vor einem Wendepunkt: Nacht acht Jahren Regierung durch die Morawiecki-Partei PiS, die unter anderem von der EU scharf kritisiert wurde, die Justiz untergraben und enormen Druck auf Medien ausgeübt zu haben, dürfte sich Polen nun in eine andere Richtung bewegen. Tusk will etwa das enorm angeschlagene Verhältnis zur EU verbessern.

Morawiecki kritisierte Tusk scharf

Morawiecki nutzte seinen letzten Auftritt als Regierungschef für Kritik an seinem nunmehrigen Nachfolger Tusk. Dessen liberale Politik als Regierungschef von 2007 bis 2014 habe Polen ausländischen Interessen unterworfen und die Wirtschaft belastet, sagte Morawiecki. Er entwarf in seiner Rede die Vision eines Landes, das zum „Land gut bezahlter Spezialisten“ werde und einen „Lebensstandard auf dem Niveau Westeuropas, ohne die dortigen Fehler zu wiederholen“, habe.

Morawiecki hält eine Rede im polnischen Parlament
AP/Czarek Sokolowski
Bei seiner Rede sparte Morawiecki nicht mit Kritik

Eine Abgeordnete von Tusks Bürgerkoalition (KO) stand als Zeichen des Protests während Morawieckis Rede mit dem Rücken zu ihm. Tusk kommentierte die Rede des bisherigen PiS-Regierungschefs auf X (Twitter): „Auf die Plätze, fertig, los! (‚Ready, steady, go!‘)“ Der erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach dem Fall des Kommunismus, der Gewerkschaftsführer und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, war im Sejm anwesend und erhielt stehende Ovationen der Opposition. Der 80-Jährige trug einen Pullover mit der Aufschrift „Verfassung“. Damit äußern Gegner der Regierungspartei PiS ihre Kritik an der Herrschaft der Partei, die sie als demokratischen Rückfall sehen.

Duda beauftragte Morawiecki trotz Niederlage

Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien der bisherigen Opposition unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk eine klare Mehrheit von 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm errungen. Ein Koalitionsvertrag ist bereits unterschrieben. Die PiS erhielt zwar die relative Mehrheit, aber nur 194 Sitze und hat keinen Koalitionspartner.

Lech Walesa
Reuters/Aleksandra Szmigiel
Polens Ex-Präsident Walesa war im Sejm und bekam Applaus von der Opposition

Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Andrzej Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt und dessen Kabinett Ende November vereidigt. Die Verfassung sieht vor, dass der Regierungschef innerhalb von 14 Tagen nach der Vereidigung die Vertrauensfrage im Parlament stellen muss. Erst wenn er scheitert, ist das Parlament am Zug und kann aus seiner Mehrheit heraus eine Regierung bestimmen.

Tusk hatte angekündigt, dass er am Dienstag eine Regierungserklärung abgeben und seinerseits die Vertrauensfrage stellen will. Aus der Präsidentschaftskanzlei hieß es dazu am Wochenende, Duda beabsichtige „keine Verzögerung“. Die neue Regierung könne daher am Mittwochvormittag vereidigt werden.

Möglicher erster Auftritt auf EU-Gipfel am Donnerstag

Tusk könnte somit bereits am Donnerstag am EU-Gipfel in Brüssel teilnehmen. Der langjährige Regierungschef (2007–2014), EU-Ratspräsident (2014–2019) und Präsident der konservativen Europäischen Volkspartei (2019–2022) hat versprochen, die polnische Position in Europa „wiederaufbauen“ zu wollen. „Wenn jemand Polen zurück auf den demokratischen Weg der EU führen kann, dann ist es Tusk“, sagte ein hochrangiger EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir vertrauen auf seine Führung.“

Mateusz Morawiecki und Donald Tusk im Jahr 2017
IMAGO/Wiktor Dabkowski
Tusk (rechts) – hier im Europagebäude im Jahr 2017 mit Morawiecki – könnte schon am Donnerstag wieder in Brüssel sein

Phänomen „Sejmflix“ erreichte Höhepunkt

Das Misstrauensvotum im Parlament stellte auch den bisherigen Höhepunkt eines Phänomens dar, das seit der Parlamentswahl beobachtet wurde: Hunderttausende Polinnen und Polen verfolgten zuletzt den täglichen Livestream des Sejm, des polnischen Unterhauses. Manche Streams wurden gar von über einer Million Menschen geschaut. Auf YouTube hat das Parlament so viele Fans wie kein anderes europäisches Parlament.

Am Montag schaffte „Sejmflix“ sogar den Sprung auf die große Leinwand: Das Kinoteka-Kino in Warschau zeigte die Regierungserklärung von Morawiecki. Medien wie die BBC sprechen von einem „Popcorn-Moment“ und sehen ein wiedergewonnenes Interesse der Polen an der Demokratie.

Der MDR sieht dafür auch den Stil des neuen Parlamentspräsidenten Szymon Holownia verantwortlich – der ehemalige Journalist und Moderator einer Talentshow wechselte 2020 in die Politik und verschaffte den Parlamentsstreams seit seinem Amtsantritt Anfang November viel Popularität. „Meine Damen und Herren, decken Sie sich gut mit Popcorn ein, denn ich vermute, dass es viel Action und viel Aufregung geben wird, aber unterm Strich auch viel Gutes dabei rauskommen wird“, zitierte der deutsche Sender die Einladung des Präsidenten, die Sitzungen zu verfolgen.