Begeisterte Zuschauer in einem Warschauer Kino während eines Livestreams aus dem polnischen Parlament
Reuters/Maciej Jazwiecki/Agencja Wyborcza.pl
Polnische Regierung

Wachablöse als großes Kino

Donald Tusk wird der neue Premierminister Polens. Am Dienstag stellte er sein Kabinett vor und machte zahlreiche Ankündigungen – darunter auch eine baldige Wiederannäherung an die EU. In Polen stößt der Machtwechsel auf enormes Interesse: Ein Kino in Warschau zeigte schon in den vergangenen Tagen die Parlamentssitzungen live, die Säle sind gut gefüllt – der YouTube-Kanal des polnischen Parlaments hat mittlerweile so viele Fans wie kein anderer in Europa.

Der künftige Regierungschef will sein Land wieder näher an die Europäische Union heranführen und die Beziehungen zu Brüssel verbessern. Polen werde ein starker Teil der NATO und ein starker Verbündeter der USA sein sowie eine Führungsposition in Europa erreichen, sagte Tusk im Abgeordnetenhaus (Sejm). Wer Polens Platz in der EU infrage stelle, schädige die Interessen des Landes. Ein isoliertes Polen sei größten Risiken ausgesetzt.

Nach seiner Rede wollte Tusk noch am Nachmittag die Vertrauensfrage stellen, wegen über 250 angemeldeten Redebeiträgen wurde dieses Votum jedoch verschoben. Es gilt ohnehin als Formsache, nachdem sein Dreierbündnis die Mehrheit im Parlament stellt. Am Mittwoch könnte er dann als neuer Premier von Präsident Andrzej Duda vereidigt werden – und am Donnerstag bereits international auftreten, als Vertreter Polens auf dem EU-Gipfel in Brüssel.

Rede des designierten polnischen Premierministers Donald Tusk im Parlament
APA/AFP/Wojtek Radwanski
Tusk kündigte an, sich für ein besseres Verhältnis mit der EU einzusetzen

„Popcorn-Moment“ für polnisches Parlament

Der Machtwechsel in Polen hat auch das Interesse an der Demokratie in dem Land offensichtlich gestärkt: In den vergangenen Tagen zeigte etwa ein Kino in Warschau die Parlamentssitzungen live, das Interesse daran war groß. Für Dienstag zeigte das Kinoteka-Kino sogar zwei Säle an, in denen Tusks Regierungserklärung gezeigt wurde.

Medien wie die BBC sprechen von einem „Popcorn-Moment“: Der YouTube-Kanal des Sejm legte in nur wenigen Wochen seit der Wahl enorm zu – jetzt hat das Parlament so viele Fans wie kein anderes europäisches Parlament. Nach Hunderttausenden Zuschauerinnen und Zuschauern online ist das Phänomen „Sejmflix“ seit Kurzem auch im Kino zum Erfolg geworden, mit den Ereignissen der letzten Tage als Höhepunkt.

Zuschauer in einem Warschauer Kino sehen einen Livestream aus dem polnischen Parlament während einer Rede des scheidenden Premierministers Mateusz Morawiecki
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In einem Warschauer Kino war der Andrang in den vergangenen Tagen enorm

Der MDR sieht für den plötzlichen Erfolg auch den Stil des neuen Parlamentspräsidenten Szymon Holownia verantwortlich – der ehemalige Journalist und Moderator einer Talentshow wechselte 2020 in die Politik und verschaffte den Parlamentsstreams seit seinem Amtsantritt Anfang November viel Popularität. „Meine Damen und Herren, decken Sie sich gut mit Popcorn ein, denn ich vermute, dass es viel Action und viel Aufregung geben wird, aber unterm Strich auch viel Gutes dabei rauskommen wird“, zitierte der deutsche Sender die Einladung des Präsidenten, die Sitzungen zu verfolgen.

Morawiecki verlor Vertrauensvotum

Am Montag wurden die Weichen für den Machtwechsel gestellt: Der bisherige Premier Mateusz Morawiecki verlor das Vertrauensvotum, kurz darauf nominierten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier Tusk als dessen Nachfolger. Nach acht Jahren Regierung durch die Morawiecki-Partei PiS, die unter anderem von der EU scharf kritisiert wurde, die Justiz untergraben und enormen Druck auf Medien ausgeübt zu haben, dürfte sich Polen nun in eine andere Richtung bewegen.

Tusk war langjähriger Regierungschef (2007–2014), EU-Ratspräsident (2014–2019) und Präsident der konservativen Europäischen Volkspartei (2019–2022) und versprach, die polnische Position in Europa „wiederaufbauen“ zu wollen. „Wenn jemand Polen zurück auf den demokratischen Weg der EU führen kann, dann ist es Tusk“, sagte ein hochrangiger EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir vertrauen auf seine Führung.“

PiS fehlte Koalitionspartner

Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien der bisherigen Opposition unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk eine klare Mehrheit von 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm errungen. Die PiS erhielt zwar die relative Mehrheit, aber nur 194 Sitze und hat keinen Koalitionspartner.

Nach der Wahl zögerten die PiS und der aus ihren Reihen stammende Duda die Übergabe der Macht hinaus, solange es verfassungsrechtlich möglich war. Duda beauftragte zuerst den bisherigen Ministerpräsidenten Morawiecki mit der Bildung einer neuen Regierung, die gerade einmal zwei Wochen im Amt war.