US-Präsident Joe Biden und ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj
AP/Andrew Harnik
Besuch bei Biden

Selenskyj muss weiter um US-Hilfen zittern

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei seinem Besuch in Washington die Stimmung im US-Kongress vorerst nicht drehen können. Die Republikaner blockieren derzeit dringend benötigte Hilfen für die Ukraine, auch US-Präsident Joe Biden konnte daran bisher trotz eindringlicher Appelle nichts ändern. Kreml-Chef Wladimir Putin setze darauf, dass die USA bei der Unterstützung für die Ukraine versagten, so Biden.

Es war der inzwischen dritte Besuch Selenskyjs in der US-Hauptstadt, und es war wohl der wichtigste. Denn anders als zuvor bröckelt in der US-Politlandschaft die Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren. Thema Nummer eins der Visite waren die Hilfen der USA: Neue Mittel sind derzeit im US-Kongress auch sehr zum Unmut Bidens von den Republikanern blockiert.

Daher traf Selenskyj auch mit einer Reihe konservativer Mandatarinnen und Mandatare zusammen. Dabei habe er „mehr als positive“ Signale vernommen, so Selenskyj. „Aber wir wissen, dass wir Wort und konkretes Ergebnis trennen müssen.“ Die Ukraine strebe an, die russische Luftüberlegenheit zu brechen. Wer den Luftraum kontrolliere, kontrolliere die Dauer des Krieges, so der ukrainische Präsident bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Biden.

Putin setze darauf, dass die Vereinigten Staaten gegenüber Kiew nicht liefern würden, sagte Biden. „Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen“, so Biden weiter. Wenn Putin nicht aufgehalten werde, werde „er weitermachen“. Die Vereinigten Staaten würden die Ukraine mit Waffen und militärischer Ausrüstungen versorgen, solange sie könnten. Aber ohne zusätzliche Mittel sei das Land nicht mehr in der Lage, der Ukraine zu helfen, mahnte er. „Die ganze Welt sieht zu, was wir tun“, sagte Biden. „Also lasst uns ihnen zeigen, wer wir sind.“

Quid pro quo

Wie Biden die Republikaner von ihrer Blockade abbringen will, ist aber unklar. Er sei offen für Kompromisse und habe das auch schon klargestellt, sagte er. Der US-Präsident forderte den Kongress erneut auf, zusätzliche Mittel für die Ukraine zu ermöglichen, „bevor sie Putin das größte Weihnachtsgeschenk machen, das sie ihm machen können“, wie er vor dem Treffen sagte.

Selenskyj traf Biden in Washington

Der ukrainische Präsident Selenskyj hat am Dienstag US-Präsident Joe Biden in Washington besucht.

Die USA sind der wichtigste Unterstützer Kiews, seit Beginn des russischen Angriffskriegs haben die USA der Ukraine Militärhilfen in Höhe von mehr als 44 Milliarden Dollar (rund 41 Mrd. Euro) geliefert oder zugesagt.

Die Republikaner lehnten jedoch in der vergangenen Woche ein von Biden vorgelegtes Finanzpaket im Volumen von 106 Milliarden Dollar ab, das auch Ukraine-Hilfen im Wert von 61,4 Milliarden Dollar enthält. Unter anderem verlangen die Republikaner weitere Zugeständnisse in der US-Einwanderungspolitik und bei der Sicherung der Grenze zu Mexiko.

Rasche Hilfe unwahrscheinlich

Und weitere Hilfen werden nach Einschätzung der Republikaner keinesfalls zügig kommen. Es sei „praktisch unmöglich“, dass der Kongress noch vor Weihnachten ein zusätzliches Finanzierungspaket dazu verabschiede – selbst wenn es in den kommenden Tagen eine Einigung geben sollte, sagte am Dienstag der Vorsitzende der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell. Es wird erwartet, dass die Mitglieder beider Parlamentskammern Washington am Donnerstag für die Weihnachtspause verlassen und wohl erst in der zweiten Jännerwoche wieder zusammenkommen.

Militärstratege zur Lage in der Ukraine

In der Ukraine gibt es verstärkte russische Bombardements. Die aktuelle militärische Situation in der Ukraine analysiert Oberst Markus Reisner.

Nach Angaben der Regierung in Washington werden die bisher vom Parlament bewilligten Mittel für die Ukraine zum Jahresende komplett aufgebraucht sein.

Schon am Montag hatte Selenskyj in Washington auf Unterstützung der USA gepocht. „Wir werden nicht aufgeben. Wir wissen, was zu tun ist, und Sie können auf die Ukraine zählen, und wir hoffen, dass wir auch auf Sie zählen können“, so der ukrainische Präsident bei einer Rede an der National Defense University in Washington.

Europäische Abgeordnete schreiben Brief an US-Kongress

Auch in der EU wächst die Sorge vor einem Wegbrechen der US-Hilfen. Mehr als 100 europäische Abgeordnete wollen deshalb einen gemeinsamen Brief an ihre US-Kollegen schicken. Reuters-Angaben zufolge haben Vertreterinnen und Vertreter aus mindestens 17 EU-Staaten – darunter Deutschland, Frankreich, Polen und Irland – den Brief unterzeichnet. Die Europäer hätten seit der russischen Invasion so viel zur Ukraine beigetragen wie die USA, heißt es laut Reuters in dem Schreiben: US-Hilfe sei jedoch „dringend“.

Die EU könnte im kommenden Jahr erstmals mit Erträgen aus der Verwahrung eingefrorener russischer Zentralbankgelder die Ukraine unterstützen. Die EU-Kommission legte dafür bereits Vorschläge für Rechtstexte vor. Sie sollen im ersten Schritt dafür sorgen, dass die Erträge gesondert aufbewahrt werden. In einem zweiten Schritt ist dann geplant, einen Teil der Gelder an die Ukraine weiterzuleiten.

Kiew drängt EU auf schnelles Handeln

Nach eigenen Angaben erfüllte die Ukraine bereits einen Großteil der zuletzt noch ausstehenden Verpflichtungen für einen Start von EU-Beitrittsverhandlungen.

Als Gegenleistung erwarte die Ukraine nun, dass beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wie von der EU-Kommission vorgeschlagen eine positive Entscheidung zum Start von Beitrittsverhandlungen getroffen werde, sagte Außenminister Dmytro Kuleba auch als Seitenhieb auf Ungarns Premier Viktor Orban, der ein Veto gegen Beitrittsgespräche androhte.

Die Ukraine hat 2022 den Status als Beitrittskandidat erhalten. Eine große Mehrheit der EU-Staaten will nun bei dem Gipfeltreffen am 14. und 15. Dezember unter anderem über den offiziellen Beginn von Beitrittsverhandlungen entscheiden.

Schwere Gefechte um Awdijiwka

Die militärische Lage in der Ukraine ist weiter angespannt, besonders rund um die seit Wochen umkämpfte Stadt Awdijiwka im Osten. „Es ist sehr heiß. Tatsächlich ist es heute noch heißer als gestern und vorgestern“, sagte der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Witalij Barabasch, am Dienstag im ukrainischen Fernsehen. Die neue Angriffswelle der Russen hängt seinen Angaben nach mit dem durch den jüngsten Frost hart gewordenen Untergrund zusammen, der den Angreifern den Einsatz gepanzerter Fahrzeuge erlaubt.

Dass Awdijiwka derzeit das Zentrum der russischen Angriffsbemühungen ist, ging auch aus dem abendlichen Lagebericht des ukrainischen Generalstabs hervor, der 37 Attacken allein in diesem Raum verzeichnete. Nach offiziellen Angaben aus Kiew wurden alle abgewehrt. Weiter südlich in der Region Donezk wurde auch die schwer zerstörte Stadt Marjinka weiter von russischen Truppen angegriffen. Im Norden, im Gebiet Charkiw, versuchen die russischen Angreifer, den Druck im Raum Kupjansk zu erhöhen.