Satellitenaufnahme zeigt Hafen in Ochamchire
Google/Maxar Technologies/Airbus
Schwarzes Meer

Russlands Schachzug zum „sicheren Hafen“

Weit weg von der ukrainischen Schwarzmeer-Küste und der öffentlichen Wahrnehmung soll Russland einen neuen Stützpunkt für seine Schwarzmeer-Flotte bauen: in Otschamtschire in Abchasien. Die Basis soll ein „sicherer Hafen“ sein. Vor allem ist die unfreiwillige „Beteiligung“ des Nachbarlandes Georgien ein entscheidender Schachzug.

Der Hafen von Otschamtschire liegt in Abchasien und damit auf georgischem Staatsgebiet. Russland erkennt die separatistische Republik als autonomen Staat an. Ein Abkommen mit der Regierung Abchasiens soll dem Kreml erlauben, einen Stützpunkt an der georgischen Schwarzmeer-Küste zu errichten.

Wie weit die Pläne in ihrer Umsetzung tatsächlich sind, lässt sich schwer sagen. Der Kreml kommentierte sie nach einem Treffen zwischen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dem Machthaber Abchasiens, Aslan Bschania, im Oktober nicht. Bschania erklärte laut der russischen Tageszeitung „Iswestija“ damals: „Wir haben ein Abkommen unterzeichnet, und in naher Zukunft wird es im Bezirk Otschamtschire eine ständige Basis der russischen Marine geben.“ Die abgespaltene Republik hat etwa 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Vorwurf der „Okkupation“ und „Militarisierung“

Im November wandten sich laut BBC 50 Abgeordnete der georgischen Opposition schriftlich an EU und NATO, um gegen die russische Präsenz zu protestieren. Sie verurteilten in ihrer Erklärung „einstimmig und entschieden“ die „Okkupation, Militarisierung und andere Aktivitäten“ Russlands, die auf eine „Annexion“ Abchasiens abzielten, zitierte der britische Sender.

Russische Kriegsschiffe in Novorossiysk, 2022
AP
Russland will angeblich Teile der Schwarzmeer-Flotte (im Bild Schiffe bei Novorossijsk im Juli 2022) nach Abchasien verlegen

Es sind zumindest zwei Dinge, die Georgien in der Sache Kopfzerbrechen bereiteten. Zum einen sei das die Sorge, das Land könne in den Krieg mit der Ukraine hineingeraten. Zum anderen plant Georgien ganz in der Nähe von Otschamtschire selbst ein riesiges Hafen– und Logistikprojekt. Und nicht zu vergessen: Russland und Georgien sind in der jüngeren Vergangenheit im Südkaukasus bereits mehrfach militärisch aneinandergeraten, zuletzt 2008.

Moskau hatte nach dem Krieg im Jahr 2008 die georgischen Landesteile Abchasien und das gleichfalls separatistische Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt. Außer Russland tun das weltweit nur wenige Länder. Die früher autonome Republik im Südkaukasus grenzt sowohl an Russland als auch an das Schwarze Meer. Von Otschamtschire an der Küste Abchasiens bis zum Schwarzmeer-Ufer des NATO-Mitglieds Türkei sind es weniger als 150 Kilometer.

Weiter weg von ukrainischen Waffen

Angeblich will Russland in Otschamtschire, wo bereits die frühere Sowjetunion eine Marinebasis unterhielt, einen Teil seiner Schwarzmeer-Flotte stationieren. Der Hauptstützpunkt Sewastopol auf der von Russland schon seit 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim war seit dem russischen Angriff auf die Ukraine mehrfach zum Ziel von Angriffen geworden.

Das russische Schlachtschiff Moskwa
AP/Russisches Verteidigungsministerium/Valim Savitsky
Der größte Schlag gegen die Schwarzmeer-Flotte: Die „Moskwa“ sank im April 2022 vor der Krim

Der schwerste Schlag gegen die russische Marine bisher: Am 14. April 2022, schon bald nach Beginn des Krieges, wurde das Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte, der Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“, von ukrainischen Antischiffsraketen getroffen, geriet in Brand und sank. Weitere Angriffe folgten, im September wurde ein russisches U-Boot im Hafen von Sewastopol getroffen, und erst am Dienstag meldeten die ukrainischen Luftstreitkräfte, ihre Piloten hätten das Landungsschiff „Nowotscherkassk“ zerstört. Inzwischen soll Russland bereits zahlreiche Schiffe von der Krim abgezogen haben.

Fremdes Territorium als Schutzschild

Auch der ukrainische Geheimdienst gehe davon aus, dass der Ausbau als „sicherer Hafen“ für Teile der Schwarzmeer-Flotte gedacht sei, hieß es bei der BBC. „Sicherer Hafen“ nicht primär deshalb, weil er von ukrainischen Waffen weiter weg ist als die Krim, sondern weil er auf nicht russischem Staatsgebiet liegt.

Das könnte ein entscheidender taktischer Schachzug sein, da sich die Ukraine wahrscheinlich hüten wird, völkerrechtlich georgisches Territorium zu beschießen. Es ist aber auch ein Risiko. Wenn Russland den Hafen im Krieg gegen die Ukraine nutzen bzw. die Ukraine ihrerseits russische Schiffe dort angreifen würde, würde Georgien Kriegspartei, so Natia Seskuria vom britischen Royal United Services Institute (RUSI), das sich mit Fragen der internationalen Sicherheit befasst.

Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin der Ansicht sei, er müsse Georgien in den Krieg hineinziehen, werde er das tun. Zumindest könne der Kreml-Chef Druck auf Tiflis machen.

Bilder zeigen Bautätigkeit

Tiflis sei sich, was die Tragweite der Pläne betrifft, nicht einig, hieß es bei der BBC. Die Rede sei einerseits von einer schwerwiegenden Verletzung der territorialen Integrität Georgiens, andererseits davon, dass Russlands Absichten aktuell keine akute Bedrohung darstellten. Selbst wenn Moskau die Basis baue, werde das „mindestens drei Jahre dauern“, zitierte der britische Sender den Vorsitzenden des Außenpolitischen Komitees Georgiens, Nikolos Samcharadse. „Wir konzentrieren uns auf imminente Bedrohungen“, nicht solche, die in der Zukunft auf das Land zukommen könnten. Anzeichen, dass an dem Stützpunkt bereits gebaut werde, gebe es bisher nicht.

Die BBC allerdings analysierte Satellitenbilder, auf denen laut dem Sender „verstärkte“ Grabungs- und Bauarbeiten zwischen Februar 2022 (dem russischen Angriff auf die Ukraine) und Dezember dieses Jahres festzustellen waren. Laut der „De-facto-Verwaltung“ Abchasiens, so die BBC, könnten im Hafen der Stadt inzwischen größere Frachtschiffe mit einer Verdrängung von bis zu 13.000 Tonnen anlegen. Tatsächlich zeigen Bilder etwa auch auf Google Earth Lagerhallen, die relativ neu zu sein scheinen, und Lkws auf großen Parkplätzen.

Georgische Pläne an der „neuen Seidenstraße“

Georgien plant seit Jahren seinerseits ein riesiges Hafen- und Logistikprojekt ganz in der Nähe von Otschamtschire: den Ausbau des Hafens Anaklia. Das Projekt könne wegen der russischen Präsenz bzw. Drucks aus Moskau scheitern, lautet eine weitere Befürchtung.

Laut den georgischen Plänen soll der Hafen von Anaklia zum Tiefseehafen ausgebaut und bis 2030 zu einer internationalen Drehscheibe werden. Dadurch könnte der Transport von Waren per Schiff von Asien nach Europa entlang der „neuen Seidenstraße“ deutlich verkürzt werden. Und: Der Landweg über Russland bleibt ausgespart. Schiffe, die für georgische Häfen zu groß sind, legen bisher in der Türkei an. In einem Entwicklungskonsortium für das Hafenprojekt sitzen neben georgischen auch Unternehmen aus den USA und Großbritannien.

Mehrere Anläufe und keine Umsetzung

Allerdings: Die Pläne für den neuen Tiefseehafen ließen sich bisher nicht im Ansatz umsetzen. Die ersten tauchten schon 2011 auf, noch unter dem damaligen georgischen Ministerpräsidenten Micheil Saakaschwili. 2016 wurde ein neuer Anlauf unternommen, damals hieß es, der Hafen solle 2019 fertig sein.

Im darauffolgenden Jahr 2020 dann ein neuerlicher Versuch. Die Pläne scheiterten wiederum an innenpolitischen Differenzen und fehlendem Geld. Heuer wurden sie erneut aufgegriffen, diesmal soll die Umsetzung mit Hilfe internationaler Investoren gelingen.

Druck aus Moskau?

Es hieß allerdings auch, dass das Projekt zumindest einmal auf Eis gelegt worden sei, um den großen Nachbarn Russland nicht zu provozieren. Der Kreml hat nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen keine Freude mit dem Projekt. Die BBC verwies auf Aussagen von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, wonach in Anaklia künftig US-U-Boote anlegen könnten.

Mamuka Chasaradse, früherer Parlamentarier, Leiter des Anaklia Development Consortium und Unternehmer, sagte gegenüber der BBC, Tiflis habe die Pläne zumindest einmal ad acta gelegt, „um Moskau zu beschwichtigen“. Tiflis handle im Interesse Moskaus, und Moskau wolle das Projekt eben nicht.

Samcharadse vom Komitee für Auswärtige Angelegenheiten nannte den Vorwurf der Moskau-Nähe gegenüber der BBC „absurd“. „Wie um alles in der Welt könnte eine prorussische Regierung ein Assoziationsabkommen mit der EU abschließen bzw. Kandidatenstatus haben?“

Aber: Georgien mit seinen rund 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern müsse mit seinem vielfach größeren Nachbarn vorsichtig umgehen. Es habe in den letzten 30 Jahren drei Kriege zwischen beiden Ländern gegeben, so Samcharadse. Und: Georgien sei nicht in der NATO. Allerdings unterstützen die USA das Land militärisch. Im März 2022, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, reichte Georgien ein Beitrittsgesuch an die EU ein und erhielt Mitte Dezember Kandidatenstatus.