Serbiens Präsident Aleksandar Vucic
AP/Darko Vojinovic
Wahlen in Serbien

An Vucic führt kaum ein Weg vorbei

Zum dritten Mal in nicht einmal vier Jahren ist am Sonntag in Serbien gewählt worden. Omnipräsent auf Plakaten und in Medien war der serbische Präsident Aleksandar Vucic. Er stand im Mittelpunkt des Wahlkampfes seiner Fortschrittspartei (SNS). Eigentlich ist Vucic nicht SNS-Spitzenkandidat und steht selbst gar nicht zur Wahl, denn gewählt wurde das Parlament. Dazu kamen noch Kommunalwahlen in 65 Gemeinden – auch im stark umkämpften Belgrad – sowie eine Provinzwahl in der Vojvodina.

Vucic hatte im November Neuwahlen in dem stark polarisierten Land ausgerufen. „Der Trigger für die Wahlen waren die zwei Massenschießereien in Belgrad und in Mladenovac im Mai“, sagte Jakov Devcic, Leiter der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Serbien und Montenegro gegenüber ORF.at. Auf die beiden Amokläufe mit insgesamt 17 Toten folgten monatelange Massenproteste.

Nicht nur das setzte Vucic und die Regierung unter Druck und führte letztlich zu vorgezogenen Wahlen, sondern auch die hohe Inflation sowie die ungeklärte Frage, ob er selbst bzw. serbische Behörden in den Angriff einer paramilitärischen Gruppe im September im Nordkosovo verwickelt waren. Bei dem vom kosovo-serbischen Politiker und Vucic-Vertrauten Milan Radoicic angeführten Anschlag starben drei Angreifer und ein kosovarischer Polizist. Bis heute sind die Hintergründe nicht geklärt.

Wenig Zweifel an Sieg der SNS

18 Wahlbündnisse treten nun an, 6,5 Millionen Menschen sind registriert – erstmals dürfen auch im Ausland lebende Serben ihre Stimme abgeben. An einem neuerlichen Sieg der SNS gibt es mit Blick auf Umfragewerte kaum Zweifel. Die Fortschrittspartei liegt bei knapp 40 Prozent. Der bisherige Koalitionspartner, die Sozialistische Partei (SPS) erreicht in Umfragen rund acht Prozent. Die nationalistischen, prorussischen Oppositionsparteien konnten sich nicht auf eine gemeinsame Liste einigen. Offen ist daher, wer den Sprung ins Parlament schafft.

Menschen bei einer Wahlkampfveranstaltung von Aleksander Vucic
AP/Darko Vojinovic
Vucic steht nicht zur Wahl, ist aber im Wahlkampf seiner Regierungspartei SNS allgegenwärtig

„Serbien gegen Gewalt“ sorgt für Aufsehen

Für Aufsehen sorgte der Zusammenschluss mehrerer proeuropäischer Oppositionsparteien zum Bündnis Serbien gegen Gewalt, benannt nach dem Slogan der Massenproteste. Landesweit liegt diese Kooperation von sozialdemokratischen, liberalen, progressiven und konservativen Parteien bei rund 25 Prozent – ein beachtlicher Wert für eine Oppositionsliste in Serbien, aber dennoch abgeschlagen hinter der SNS.

Parlamentswahl in Serbien

Zum bereits fünften Mal in den vergangenen elf Jahren wählt Serbien ein neues Parlament. 6,5 Millionen Menschen sind wahlberechtigt.

Zwar kommt das proeuropäische Oppositionsbündnis nicht einmal ansatzweise an die Medienpräsenz von Vucic und den Regierungsparteien heran und kämpft zudem gegen Hetzkampagnen. Allerdings hat es, gemeinsam mit nationalistischen Oppositionsparteien, realistische Chancen, die Wahl in Belgrad zu gewinnen. Die bisherige Belgrader Koalition unter Leitung der SNS und der Serbischen Radikalen Partei (SRS) führe dort nur mit einer Stimme, so Devcic.

Parlamentswahl in Serbien

Am Sonntag findet in Serbien eine Parlamentswahl statt. Die Opposition hofft darauf, dass die Regierungspartei SNS die absolute Mehrheit verliert.

„Wegen dieser bisher geringen Mehrheit in Belgrad wäre ein Oppositionssieg für die SNS nicht so dramatisch.“ Für die Opposition würde ein Wahlgewinn in der Hauptstadt von großer Symbolik sein. Bei einer Koalition der unterschiedlichen Oppositionsgruppen wären aber aufgrund der unterschiedlichen Positionen Friktionen nicht überraschend, so der Politologe.

Oppositionspolitiker: 50 Euro für eine Stimme

Die Opposition müsse aber vorsichtig sein, warnte der Meinungsforscher Srecko Mihailovic vom Zentrum für Forschung und Veröffentlichung, Demostat, gegenüber dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). Es gebe in Belgrad viele Beamte und Beschäftigte in staatlichen Einrichtungen, „die unter Druck geraten werden, für die Regierungspartei zu stimmen“.

Zahlreiche politische Beobachter berichten über mutmaßlichen Wahlbetrug im ganzen Land, wenn Menschen in öffentlichen Institutionen gezwungen würden, für die SNS zu stimmen. Eine Stimme sei in Serbien für rund 50 Euro zu haben, sagte etwa der sozialdemokratische Oppositionspolitiker und Ex-Bürgermeister von Belgrad, Dragan Dilas, in der „Presse“. Mehr als 700.000 Menschen zählt die SNS zu ihren Mitgliedern, ihr – auch informeller – Einfluss reicht bis weit in die Wirtschaft und Gesellschaft Serbiens.

Oppositionspolitiker Dragan Dilas
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Der Oppositionspolitiker Dilas spricht von Stimmenkauf in Serbien

Die Regierung will dennoch nichts dem Zufall überlassen. Rechtzeitig zur Wahl erhielten Pensionisten und Pensionistinnen eine Einmalzahlung von umgerechnet 170 Euro. Ab Jänner sollen die Pensionen steigen. Auch Mütter von unter 16-jährigen Kindern und Studierende bekamen Einmalzahlungen.

Opposition: Heterogen, wenig Koalitionsoptionen

Nach der Wahl würde nur eine Koalition von liberaler und nationalistischer Opposition mit der SPS Vucics Fortschrittspartei stürzen können, analysiert Devcic. Deren Positionen etwa gegenüber EU und Russland stehen aber in starkem Widerspruch. Eine komplexe Koalitionsbildung wäre zu erwarten.

Allerdings wäre auch die SNS wie bereits jetzt mit der sozialistischen SPS auf eine Koalition angewiesen. Viele Beobachter rechnen mit einer Fortsetzung dieser Koalition und des bisherigen Kurses. Eine Koalition von SNS mit proeuropäischen oder mit nationalistischen Oppositionsparteien hält Dvecic derzeit für unwahrscheinlich. Der Spagat zwischen den EU-skeptischen nationalistischen Parteien und der bisherigen Außenpolitik Serbiens wäre zu groß. Auch die Positionen zwischen Vucic und der liberalen Opposition liegen weit auseinander.

„Bei Kosovo-Frage tickt die Uhr“

Gerade bei der Kosovo-Frage herrscht nicht einmal zwischen den Blöcken Einigkeit. Eine Lösung sieht Devcic auch nach der Wahl nicht: „Würde die Opposition auf nationaler Ebene gewinnen, müsste die Kosovo- und Russland-Frage eingefroren werden. Bei der derzeitigen Konstellation herrscht stabiler Stillstand.“

Mit zu großen Zugeständnissen würde Vucic die Nationalisten verprellen. Ein großer Teil der Bevölkerung ist gegen eine Anerkennung des Kosovo. Doch Devcic mahnt aufgrund der bevorstehenden EU- und US-Wahlen 2024 zur Eile: „Die Uhr tickt bei der Kosovo-Frage.“ Vucic ermöglichen die Wahlen nun, auf Zeit zu spielen.

China, Russland, EU: Vucic pendelt zwischen den Blöcken

Vucic, im zweiten Jahr seiner zweiten Amtszeit als Präsident, galt bisher im Westen als Garant für Stabilität in Serbien. Zugleich nahm man damit den autoritären Kurs des früheren Ultranationalisten in Kauf – und sein geopolitisches Pendeln zwischen den Machtblöcken. Denn Serbien, das seit 2014 EU-Beitrittsverhandlungen führt, steht traditionell nicht nur zu Russland und verweigert bis heute, sich an den EU-Sanktionen gegen Moskau zu beteiligen, sondern macht auch China Avancen.

Aleksander Vucic und Xi Jinping beim 3. Gipfel zum Infrastrukturprojekt Neue Seidenstraße in Peking
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Vucic streckt seine Fühler auch nach China aus – hier beim Forum „Neue Seidenstraße“ in Peking

Erst im Oktober unterzeichnete Vucic mit China ein Freihandelsabkommen. Die Tore für chinesische Investitionen sind weit geöffnet. „Wenn die EU den Druck erhöhen würde Richtung mehr Demokratie würde das automatisch die Rechten mehr stärken“, analysiert Devcic. Die Sorge vor Dominoeffekten ausgehend vom größten und einflussreichsten Staat auf dem Westbalkan ist groß. Der Politologe plädiert für eine „kreativere Erweiterungspolitik der EU“. Die Menschen müssten mehr spüren, dass sie Teil von Europa sind, sonst wachse die Abwendung davon. Devcic: „Das ist gefährlich.“