Frau in einer Textilfabrik in China
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Menschenrechte im Fokus

Einigung auf EU-Lieferkettengesetz

Unterhändlerinnen und Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten haben sich auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Damit sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren, wie Europaparlament und EU-Staaten am Donnerstag mitteilten. Es handle sich um einen „Meilenstein“, heißt es in ersten Reaktionen – es gibt aber auch scharfe Kritik.

Das Lieferkettengesetz sieht neben der Stärkung der Menschenrechte vor, dass größere Unternehmen einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind, wie die EU-Staaten mitteilten.

Unternehmen sind nach den geplanten Regeln den Angaben zufolge für ihre Geschäftskette, also auch für Geschäftspartner ihres Unternehmens und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb und Recycling, verantwortlich. Der Finanzsektor soll zunächst von den Vorgaben ausgeschlossen werden.

Welche Firmen vom Gesetz betroffen sind

Grundsätzlich gelten die Regeln für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz. Firmen, die nicht in der EU sitzen, fallen unter das Gesetz, wenn sie in der EU einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro machen. Die EU-Kommission soll eine Liste der betroffenen Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen.

Kleinere Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz müssen sich ebenfalls an die Vorschriften halten, wenn sie mindestens 20 Millionen Euro im Textilsektor, der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion oder der Gewinnung und Verarbeitung von mineralischen Rohstoffen umsetzen. Dasselbe gilt für Unternehmen, die zwar nicht in einem der Mitgliedsländer sitzen, aber einen ebenso hohen Umsatz in der EU machen.

Kinder arbeiten in der Kleidungsproduktion in Bangladesch
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Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren

Drohende Strafen

Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen den Unternehmen Strafen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Für die Überwachung und etwaige Ermittlungen sollen nationale Behörden zuständig sein. Vorgesehen ist auch, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn es in ihren Lieferketten zu Verstößen gegen Menschenrechte kommt. Die Einigung muss vom Parlament und den EU-Staaten noch bestätigt werden, das ist normalerweise aber Formsache.

Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini, sprach zwar von einem guten Tag für die Menschenrechte, sie hätte sich aber noch strengere Regeln für Klima- und Umweltschutz gewünscht. Das EU-Lieferkettengesetz ist eine Richtlinie, die noch in nationales Recht umgesetzt werden muss.

„Kampf für Welt ohne Ausbeutung noch lange nicht vorbei“

SPÖ-Sprecherin für Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Petra Bayr, bezeichnete das Gesetz als „wichtigen Schritt gegen die Ausbeutung von Menschen und Natur“, kritisierte zugleich aber auch Ausnahmen für den Finanzsektor. Von einem „Meilenstein“ sprach Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, in einer Aussendung.

Der erzielte Kompromiss stelle einen „Meilenstein“ dar, „doch der Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung ist noch lange nicht vorbei“, sagte Bettina Rosenberger, Koordinatorin der zivilgesellschaftlichen Kampagne Menschenrechte brauchen Gesetze! „Das Fehlen echter Klimaverpflichtungen sowie weitreichende Ausnahmen für den Finanzsektor gefährden die Effektivität des EU-Lieferkettengesetzes“, kritisierte sie.

„Wichtiger Schritt“ trotz „bleibender Schlupflöcher“

„Trotz der bleibenden Schlupflöcher ist mit dem EU-Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt gegen Ausbeutung und für faire, menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit gelungen“, schloss sich Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte der Menschenrechtsorganisation Südwind, in einer Aussendung an. Grundsätzlich begrüßt wurde die Einigung auch von Fairtrade Österreich, von den Hilfsorganisationen Jugend eine Welt und Dreikönigsaktion sowie vom Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe), wie es in Aussendungen hieß.

Die Umweltschutz-NGO Global 2000 spricht von einer „Enttäuschung für den Klimaschutz“. „Statt weitere Klimazerstörung tatsächlich zu verhindern, wurde das Pariser Klimaabkommen aus dem Anhang gestrichen. So fehlt die Verknüpfung mit zivilrechtlicher Haftung“, kritisierte Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei Global 2000, per Aussendung.

IV-Chef Knill: „Nächste bürokratische Lawine“

Kritik kam von Georg Knill, dem Präsidenten der österreichischen Industriellenvereinigung (IV): „Das ist die nächste bürokratische Lawine, die gerade auf uns losbricht“, sagte er im APA-Gespräch. „In diesem Fall hat es die Weltpolitik nicht geschafft, die UN-Nachhaltigkeitsziele global umzusetzen“, kritisierte Knill.

„Die Unternehmen sollen es richten.“ Womöglich bis in den KMU-Bereich hinein müssten Firmen ihre Lieferketten bis zurück zum ursprünglichsten Rohstoff so scannen, ob nicht irgendwo womöglich UN-Nachhaltigkeitsziele missachtet oder gebrochen wurden, kritisierte der IV-Chef und Maschinenbauer (Knill-Gruppe).

„Da geht es nicht nur um den direkten Lieferanten“, kritisierte Knill. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“ Grundsätzlich begrüße man die Nachhaltigkeitsziele, „aber das ist in diesem Fall nur gut gemeint und nicht handhabbar, nicht administrierbar“. Auch wenn man Anlagen liefere, müsse man darauf schauen, dass mit diesen keine Nachhaltigkeitsziele gebrochen würden.

WKO warnt vor Mehraufwand

Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), warnte in einer Aussendung vor einem „massiven bürokratischen Mehraufwand“. Laut WKO sind klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) formal zwar ausgenommen, aber indirekt „sehr wohl“ betroffen. „Kleinere Unternehmen dürfen als Zulieferer durch Vertragsklauseln nicht unter Druck gesetzt werden“, so Schön. Positiv sei, dass bei der Haftung von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer die geltende Rechtslage als ausreichend empfunden und ein risikobasierter Ansatz akzeptiert wurde.