Der argentinische Präsident Javier Milei
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Milei-Pläne

Argentinien vor „Schocktherapie“

Die neue argentinische Regierung des ultralibertären Präsidenten Javier Milei hat wie im Wahlkampf angekündigt im Rahmen ihrer „Schocktherapie“ einen radikalen Sparkurs geplant. Von zuvor scharf kritisierten Plänen, die Zentralbank und die Landeswährung Peso abzuschaffen, ist vorerst keine Rede mehr. Fix scheint aber, dass der Staatsapparat drastisch abgebaut wird und Argentiniens Bevölkerung auf noch härtere Zeiten zusteuert.

„Alle Verträge, die der Staat im vergangenen Jahr abgeschlossen hat, stehen auf dem Prüfstand“, sagte Regierungssprecher Manuel Adorni Mitte Dezember. Die Zahl der Ministerien werde von 18 auf neun halbiert, das Personal auf verschiedenen staatlichen Ebenen um 34 Prozent reduziert. „Es ist wichtig zu verstehen, dass der Staat schrumpfen muss. Wir haben es mit einem aufgeblähten Staatsapparat zu tun“, sagte Adorni.

Zudem verwies er darauf, „dass die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst von den 46 Millionen Argentiniern bezahlt werden müssen“. Ausschreibungen für neue öffentliche Bauvorhaben sollen gestrichen und alle Staatsbediensteten entlassen werden, die seit weniger als einem Jahr im Amt sind. Zudem sollen die Subventionen für Energie und Verkehr ab Februar gekürzt sowie Zuschüsse für Provinzen drastisch reduziert werden, berichtete „El Pais“.

Auch eine Abwertung der Landeswährung Peso um 50 Prozent kündigte die Regierung an. „Das Ziel ist einfach, eine Katastrophe zu verhindern und die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen“, sagte Finanzminister Luis Caputo. Durch die Kürzungen erhofft sich die Regierungen Einsparungen in der Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „Es gibt keine Alternative zur Austerität“, hatte auch der neue Präsident Milei bereits am Tag seiner Angelobung die Bevölkerung auf harte Zeiten der Sparsamkeit eingestimmt.

Der neue argentinische Präsident Javier Milei am Tag seiner Angelobung
Reuters/Matias Baglietto
Am Tag seiner Angelobung kündigte Milei harte Monate für Argentinien an

Maßnahmen als „Rundumschlag“

Die angekündigten Pläne bezeichnet Felix Dorn vom Institut für Internationale Entwicklung an der Uni Wien als „Rundumschlag“. Es handle sich um Maßnahmen, die man mit einem präsidialen Dekret einfach umsetzen könne. In der aktuellen Situation sei es aber „extrem gefährlich“, Sozialpläne und Pensionen zu kürzen und „absolut nicht sinnvoll“. Auch in den letzten Jahren sei der Devisenhandel vereinfacht worden, während die Inflation gestiegen sei, so Dorn gegenüber ORF.at.

Tatsächlich könnten die Dinge noch schlimmer werden, bevor sie besser werden, schrieb der „Economist“. Das hätte wohl drastische Folgen: Bereits kurz nach dem Amtsantritt der neuen liberalen Regierung war die jährliche Inflationsrate auf 160,9 Prozent gestiegen. Allein im November stiegen die Preise um 12,8 Prozent, vor allem für Gesundheit, Lebensmittel und Telekommunikation, so das „Handelsblatt“. Der wirtschaftliche Berater Martin Rapetti sagte gegenüber dem „Economist“, er rechne damit, dass sich die monatliche Inflation nun mindestens verdoppeln und länger hoch bleiben werde.

Passanten gehen in Buenos Aires (Argentinien) an einem Bekleidungsgeschäft vorbei
APA/AFP/Luis Robayo
Viele Argentinierinnen und Argentinier sehen in Milei einen Ausweg aus der alltäglichen Armut

Frage des „sozialen Konflikts“

Die große Frage sei, wie lange die „Schmerzen“ andauern würden. Freilich könne Mileis Pochen auf Haushaltsdisziplin die Märkte auch davon überzeugen, dass Argentinien nicht auf eine Katastrophe zusteuere. Das Vertrauen des Marktes werde aber „vom Ausmaß des sozialen Konflikts abhängen“, so Rapetti.

Die Armut in der Bevölkerung werde voraussichtlich weiter steigen – und damit auch die Unzufriedenheit, so auch Dorn von der Uni Wien. Zwar würde Milei wohl weiterhin Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen, die Situation sei aber „sehr instabil“ – gerade bei den Gewerkschaften, die in Argentinien sehr stark seien. „Hier wird noch etwas gebremst im Moment, weil er ja von einer demokratischen Mehrheit gewählt wurde.“ Es zeichne sich aber bereits ab, dass andere neoliberale Kräfte künftig profitieren könnten.

Gebäude der argentinischen Zentralbank in Buenos Aires
AP/Natacha Pisarenko
Im Wahlkampf hatte Milei angekündigt, die Zentralbank abzuschaffen – das Vorhaben ist wohl vorerst auf Eis gelegt

Wirtschaftskrise verschaffte Milei Aufwind

Die Ankündigung von Sparmaßnahmen bei Amtsantritt sei in Argentinien normalerweise politischer Selbstmord, schrieb der „Economist“. Sie würden zudem weit mehr als nur die Beschäftigten im öffentlichen Dienst betreffen. Mileis düstere Botschaft sei am Tag der Angelobung aber dennoch mit Beifall aufgenommen worden: Fans hätten wie Milei während des Wahlkampfes Kettensägen in die Luft gehalten, um auf sein Versprechen zu verweisen, den Staat zu verkleinern.

Aufwind im Wahlkampf verschaffte Milei vor allem die bereits seit Jahren andauernde, schwere Wirtschaftskrise. Vor 100 Jahren galt Argentinien noch als eines der reichsten Länder der Welt. Heute schlittert das 46 Millionen Einwohner zählende Land von einer Krise in die nächste, rund 40 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze.

Libertarismus

Der Libertarismus ist eine politische Bewegung, die in der individuellen Freiheit den höchsten Wert sieht und staatlicher Autorität skeptisch gegenübersteht. Anarchokapitalisten sind auch gegen einen „Minimalstaat“, Klassisch-Liberale zeigen eine gewisse Offenheit für die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat.

„Niemand weiß, was passieren wird“

„La Peluca“ (dt.: „die Perücke“), wie Milei wegen seiner unfrisierten Haare genannt wird, steht außerhalb des traditionellen Parteienspektrums des südamerikanischen Landes aus Peronisten und Konservativen und war im Wahlkampf durch radikale Ankündigungen aufgefallen. Er bezeichnete sich stets als „Anarchokapitalisten“, die Klimakrise als „sozialistische Lüge“ und präsentierte sich bewusst als Anti-System-Kandidat.

Aktuell zeichne sich ein gemäßigterer Kurs ab, so die Einschätzung von Dorn vom Institut für Internationale Entwicklung. „Ich würde aber nicht meine Hand dafür ins Feuer legen – worauf man sich definitiv einigen kann, ist, dass niemand genau weiß, was passieren wird.“ Immerhin sei Milei im Gegensatz zu US-Präsident Donald Trump, zu dem ihm öfter eine Ähnlichkeit attestiert wurde, eine relativ neue Figur auf dem politischen Parkett.

Klar sei aber auch, dass manche seiner Ankündigungen aus dem Wahlkampf schwer durchsetzbar seien. Etwa die Abschaffung der Zentralbank sei verfassungstechnisch nicht so leicht möglich, für andere Vorhaben brauche er wiederum eine Mehrheit im Kongress, die er nicht habe. „Man kann davon ausgehen, dass neoliberale Politik verfolgt wird, diese aber nicht ganz so drastisch ausfällt.“