Flaggen vor dem Hauptquartier der EU-Kommission in Brüssel
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Orban verließ Raum

EU eröffnet Beitrittsgespräche mit Ukraine

Der EU-Gipfel in Brüssel hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien beschlossen. Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag mit. Ungarns Regierungschef Viktor Orban soll während der Entscheidung den Raum verlassen haben. Auch mit Bosnien-Herzegowina werden die Gespräche eröffnet, sobald die nötigen Bedingungen erfüllt sind. Georgien erhält EU-Kandidatenstatus.

EU-Ratspräsident Michel bezeichnete die Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien als „historischen Moment“. „Er zeigt die Glaubwürdigkeit der westlichen Union, die Stärke der westlichen Union“, sagte Michel nach dem Beschluss, der von 26 der 27 Mitgliedsstaaten getragen wird.

Der ungarische Ministerpräsident Orban, der sich gegen diesen Schritt gestemmt hatte, war zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht im Raum. Michel zeigte sich zuversichtlich, dass der Gipfel „in den nächsten Stunden“ auch zu einer Einigung bei den milliardenschweren Finanzhilfen für die Ukraine kommen könne. Gemeint ist der mehrjährige Finanzrahmen, der bis 2027 reicht.

der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
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Präsident Selenskyj ist mit der Entscheidung der EU zufrieden

Von der Leyen: „Strategische Entscheidung“

Die Ukraine und Moldawien warten bereits sei Längerem auf eine Entscheidung über den Start von Beitrittsverhandlungen. Die EU-Kommission hatte diesen Schritt im November empfohlen, der Europäische Rat musste aber noch zustimmen. Dass die Kommission das trotz noch nicht erfüllter Auflagen getan hatte, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals damit, dass die noch ausstehenden Reformen bereits auf den Weg gebracht seien.

Heute bezeichnete von der Leyen die Aufnahme der Gespräche mit der Ukraine und mit Moldawien als „strategische Entscheidung“: „Dieser Tag wird in die Geschichte der Union eingehen. Wir sind stolz, dass wir unsere Versprechen einhalten, und freuen uns für unsere Partner.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb auf X (Twitter) von einem „Sieg für die Ukraine“ und „für ganz Europa“. Die Einigung kam allerdings überraschend. Denn Ungarns Regierungschef Orban hatte zuvor noch seinen Widerstand angekündigt. Bis auf Ungarn hatten sich alle Mitgliedsländer zu Gipfelbeginn für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen starkgemacht.

Orban distanziert sich

In einem Facebook-Video, das nach der Entscheidung veröffentlicht wurde, distanzierte sich Orban von der Aufnahme der Gespräche mit der Ukraine. Man habe sich acht Stunden gegenseitig aneinander abgearbeitet. Ungarn wolle diese falsche Entscheidung nicht mittragen und habe sich deshalb enthalten. „Es ist eine völlig unsinnige, irrationale und falsche Entscheidung, unter diesen Umständen Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen“, so der Regierungschef.

Ungarn werde seinen Standpunkt nicht ändern. Die anderen 26 EU-Länder hätten aber darauf bestanden, dass diese Entscheidung getroffen werde. Deshalb habe er seinen Kollegen und Kolleginnen mitgeteilt, sie können ihren eigenen Weg gehen. Orban begründete seine Haltung mit Reformauflagen, die die Ukraine noch nicht erfüllt habe.

der ungarische Premierminister Viktor Orban
APA/AFP/Miguel Medina
Premier Orban ist mit der Entscheidung der EU nicht zufrieden

Orban drohte seit Längerem mit dem Veto gegen den Start von Beitrittsgesprächen und Finanzhilfen für die Ukraine. Davon rückte er auch nicht ab, nachdem die Kommission Mittwochnachmittag zehn Milliarden Euro der rund 30 Mrd. gesperrten EU-Hilfen für Ungarn freigegeben hatte.

Deal mit Orban?

Vorwürfe, dass er mit der Blockade die wegen Rechtsstaatsdefiziten eingefrorenen EU-Mittel für sein Land freipressen wolle, wies Orban kategorisch zurück. „Es geht hier nicht um einen Handel. Es geht hier nicht um einen Deal“, sagte er. Ungarn stehe für Prinzipien.

Unklar blieb zuletzt, ob es mit Orban auch eine Absprache gibt, die weitere Blockaden mit Blick auf den Beitrittsprozess der Ukraine ausschließt. Bevor die erste Verhandlungsrunde einberufen wird, muss nämlich noch einvernehmlich der Verhandlungsrahmen mit Regeln und Prinzipien für die Gespräche vereinbart werden. Ungarn könnte dabei theoretisch erneut mit einer Blockade drohen.

Ungeachtet dessen dürften die Beitrittsverhandlungen viele Jahre dauern. Theoretisch kann ein Beitrittskandidat auch nie Mitglied werden. Wichtig sind Beitrittsgespräche vor allem für die EU. Sie sichert bei ihnen ab, dass ein Bewerberland alle EU-Rechtsvorschriften in nationales Recht übernimmt. Auch gilt ein Beitritt der Ukraine vor Kriegsende als ausgeschlossen – unter anderem, weil Kiew dann militärischen Beistand einfordern könnte.

Moldawien „schlägt neues Kapitel auf“

Moldawiens Präsidentin Maia Sandu begrüßte das grüne Licht des EU-Gipfels für Beitrittsverhandlungen mit ihrem Land. „Die Republik Moldau schlägt heute ein neues Kapitel auf“, erklärte sie. Es stehe noch harte Arbeit bevor, aber ihr Land sei „bereit, sich der Herausforderung zu stellen“.

EU-Beitrittsgespräche mit Ukraine beschlossen

Der EU-Gipfel in Brüssel hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien beschlossen. Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel auf X (Twitter) mit.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach von „gewaltigen Neuigkeiten“ für die beiden Länder. Tschechiens Regierungschef Petr Fiala nannte den Beschluss eine „absolut entscheidende Botschaft“, welche die EU aussende. Auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz begrüßte die Entscheidung.

NEOS lobt Entscheidung, FPÖ kritisiert

Aus Österreich äußerten sich NEOS und FPÖ zu der Entscheidung auf dem EU-Gipfel. Für NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter bedeutet der Gipfelbeschluss einen „historischen Tag für Europa, für den Zusammenhalt, für den Frieden und die Freiheit. Europa lässt sich nicht spalten, trotz polternder Autokraten wie Orban, die nur Chaos sähen wollen, sondern rückt in Krisenzeiten näher zusammen.“

FPÖ-Mandatarin Petra Steger ließ ausrichten, dass die EU mit der Entscheidung „weiter an der Eskalationsspirale“ drehe und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) dabei „Schützenhilfe“ leiste. „Das ist ein Sündenfall erster Güte. Nehammer kennt die Erwartungshaltung der Österreicher, ist aber nicht in der Lage, das auch umzusetzen, sondern folgt lieber dem ‚Herdentrieb‘ in der EU und holt sich die Befehle offensichtlich von den Eliten und Eurokraten, statt die Interessen der eigenen Bevölkerung zu vertreten“, so Steger.