der ungarische Premierminister Viktor Orban nach dem EU Gipfel in Brüssel
AP/Omar Havana
EU-Beitrittsgespräche

Durchbruch für Ukraine ohne Orban

Für die Ukraine ist der Weg für Beitrittsverhandlungen mit der EU frei, die Auszahlung weiterer Milliardenhilfen der 27 Mitgliedsländer ist jedoch vorerst am Widerstand Ungarns gescheitert. Die EU-Staats- und Regierungschefs gaben am Donnerstag bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel grünes Licht für Verhandlungen mit der Ukraine sowie Moldawien. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kritisierte das zwar scharf, verzichtete aber auf ein Veto – nicht jedoch bei den Hilfsgeldern.

Hinter dem grünen Licht für EU-Beitrittsverhandlungen steht ein Verfahrenstrick – konkret nahm Orban an der entscheidenden Abstimmung am späten Donnerstagabend nicht teil. Es sei vorab mit dem ungarischen Premier abgesprochen gewesen, dass er den Raum für die Zeit verlasse, hieß es aus EU-Kreisen. Medienberichten zufolge bat ihn der deutsche Kanzler Olaf Scholz, die Sitzung zu verlassen. So konnte Orban bei seinem Nein zu den Beitrittsverhandlungen bleiben, ohne sie zu blockieren.

In der Nacht auf Freitag verhinderte Orban dann eine Einigung zu einem für die Ukraine geplanten 50 Milliarden Euro schweren Finanzhilfepaket. Die Verhandlungen müssen deswegen nun im Jänner fortgesetzt werden. „Wir werden Anfang nächsten Jahres auf dieses Thema zurückkommen und versuchen, Einstimmigkeit zu erzielen“, wie Ratspräsident Charles Michel dazu mitteilte. Orban machte seine Zustimmung zu Ukraine-Hilfen am Freitag dann von der Freigabe aller EU-Mittel für Ungarn abhängig.

Selenskyj: „Ein Sieg, der motiviert“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich zu dem nächtlichen Veto Orbans zunächst nicht. Die Entscheidung zum Start von EU-Beitrittsverhandlungen hatte er zuvor als Erfolg für die Ukraine und ganz Europa bezeichnet. „Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt“, schrieb der Staatschef auf X (Twitter).

der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
AP/NTB Scanpix/Cornelius Poppe
Präsident Wolodymyr Selenskyj ist mit der Entscheidung der EU zufrieden

Michel bezeichnete die Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien als „historischen Moment“. Näher gerückte Beitrittsgespräche gibt es auch für Bosnien – diese sollen laut Gipfelbeschluss eröffnet werden, sobald die nötigen Bedingungen erfüllt seien. Zudem erhält Georgien EU-Kandidatenstatus. „Er zeigt die Glaubwürdigkeit der westlichen Union, die Stärke der westlichen Union“, sagte Michel nach dem Beschluss, der von 26 der 27 Mitgliedsstaaten getragen wird.

Die EU-Kommission hatte den Start der Beitrittsverhandlungen im November grundsätzlich empfohlen, der Europäische Rat musste aber noch zustimmen. Dass die Kommission das trotz noch nicht erfüllter Auflagen getan hatte, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals damit, dass die noch ausstehenden Reformen bereits auf den Weg gebracht seien. Die nun beschlossene Aufnahme von Beitrittsgesprächen bezeichnete von der Leyen als „strategische Entscheidung“: „Dieser Tag wird in die Geschichte der Union eingehen.“

Orban: „Schlechte Entscheidung“

Ungarn kann nach den Worten von Orban den EU-Beitritt der Ukraine noch immer blockieren. Er nennt die am Donnerstag vom EU-Gipfel beschlossene Aufnahme von Beitrittsgesprächen eine „schlechte Entscheidung“. Er habe diese nicht mittragen wollen und deshalb den Saal verlassen, sagte er am Freitag im staatlichen Hörfunk. Nur so kam die notwendige Einstimmigkeit der EU-Staats- und Regierungschefs zustande.

Am Ende des „sehr langen Prozesses“ aber könne das ungarische Parlament immer noch die Aufnahme der Ukraine in die EU verhindern, wenn das notwendig sei, sagte Orban.

EU-Beitrittsgespräche mit Ukraine beschlossen

Der EU-Gipfel in Brüssel hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien beschlossen. Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel auf X (Twitter) mit.

Was sein „Veto gegen zusätzliches Geld für die Ukraine“ und gegen die mehrjährige Finanzplanung der EU betrifft, teilte Orban später mit, dass man sich nächstes Jahr „nach ordentlichen Vorbereitungen“ wieder damit befassen werde.

Moldawien „schlägt neues Kapitel auf“

Moldawiens Präsidentin Maia Sandu begrüßte das grüne Licht des EU-Gipfels für Beitrittsverhandlungen mit ihrem Land. „Die Republik Moldau schlägt heute ein neues Kapitel auf“, erklärte sie. Es stehe noch harte Arbeit bevor, aber ihr Land sei „bereit, sich der Herausforderung zu stellen“.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach von „gewaltigen Neuigkeiten“ für die beiden Länder. Tschechiens Regierungschef Petr Fiala nannte den Beschluss eine „absolut entscheidende Botschaft“, welche die EU aussende. Scholz sprach von einem „starken Zeichen der Unterstützung“.

Nehammer hebt Entscheidung für Bosnien hervor

Es sei wichtig, diese positiven Signale zu senden, reagierte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einem schriftlichen Statement zum Entschluss zu den Beitrittsverhandlungen, der laut ihm „größtenteils symbolischen Charakter“ habe. „Wir wollen, dass sowohl der Westbalkan als auch die Ukraine, Moldau und Georgien, eine proeuropäische Haltung haben, und sich an uns annähern.“

Nehammer begrüßte insbesondere die Entscheidung zu Bosnien: „Wir haben uns jahrelang intensiv für Bosnien eingesetzt und werden dies auch weiterhin so fortsetzen.“

NEOS lobt Entscheidung, FPÖ kritisiert

Aus Österreich äußerten sich NEOS und FPÖ zu der Entscheidung auf dem EU-Gipfel. Für NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter bedeutet der Gipfelbeschluss einen „historischen Tag für Europa, für den Zusammenhalt, für den Frieden und die Freiheit. Europa lässt sich nicht spalten, trotz polternder Autokraten wie Orban, die nur Chaos sähen wollen, sondern rückt in Krisenzeiten näher zusammen.“

FPÖ-Mandatarin Petra Steger ließ ausrichten, dass die EU mit der Entscheidung „weiter an der Eskalationsspirale“ drehe und Nehammer dabei „Schützenhilfe“ leiste. „Das ist ein Sündenfall erster Güte. Nehammer kennt die Erwartungshaltung der Österreicher, ist aber nicht in der Lage, das auch umzusetzen, sondern folgt lieber dem ‚Herdentrieb‘ in der EU und holt sich die Befehle offensichtlich von den Eliten und Eurokraten, statt die Interessen der eigenen Bevölkerung zu vertreten“, so Steger.