Israelische Soldaten
Reuters/Ronen Zvulun
Irrtümlich getötet

Geiseln in Gaza hielten weiße Fahne hoch

Einen Tag nachdem drei Geiseln in Nordgaza irrtümlich durch israelische Soldaten erschossen wurden, hat die Armee erste Ermittlungsergebnisse mitgeteilt. Die Geiseln sollen eine weiße Fahne gehalten haben. Der Vorfall sorgte für große Proteste, bei denen ein neues Abkommen zur Freilassung von Geiseln gefordert wurde. Berichten zufolge trafen sich am Samstag Vertreter von Katar und Israel, um darüber und über eine Feuerpause zu sprechen.

Laut Armee sollen die drei getöteten Geiseln, alle drei ohne Hemden, ein weißes Stück Tuch, gebunden an einen Stock, hoch gehalten haben. Das gilt nach der Haager Landkriegsordnung als Schutzzeichen und Symbol der Kapitulation. Die getöteten Männer seien mehrere Dutzend Meter entfernt von den Truppen aus einem Gebäude gekommen, sagte ein Vertreter des Militärs. Dabei seien sie ohne Hemd gewesen, einer habe einen Stock mit einem weißen Stück Stoff in der Hand gehalten.

Ein Soldat habe sich den Angaben nach bedroht gefühlt und das Feuer eröffnet. Zwei der Männer seien direkt getötet worden. Ein dritter Mann sei zurück in das Haus geflüchtet. Ein Kommandeur habe zwar angeordnet, das Feuer zu stoppen, doch als der dritte Mann zurück ins Freie getreten sei, sei erneut geschossen worden. Dabei sei auch dieser getötet worden. Den Angaben zufolge war auch ein Hilferuf auf Hebräisch zu hören.

„Vorgehen gegen unsere Einsatzregeln“

Das Vorgehen sei „gegen unsere Einsatzregeln“ gewesen, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus. Die Soldaten seien aufgefordert worden, zusätzliche Vorsicht walten zu lassen, wenn sie mit Personen in Zivilkleidung konfrontiert seien. Die Armee äußerte „tiefstes Bedauern über den tragischen Vorfall“. Daraus seien „sofortige Lehren“ gezogen worden und an alle israelischen Einheiten übermittelt worden.

Geiseln getötet: Israels Armee nimmt Stellung

Armeesprecher Jonathan Conricus nahm gegenüber CNN Stellung zu den versehentlich getöteten Geiseln. Die Soldaten wurden aufgefordert, zusätzliche Vorsicht walten zu lassen, wenn sie mit Personen in Zivilkleidung konfrontiert seien. Gegnerische Einheiten sollen aber auch häufig in Zivil gekleidet sein.

Der Armeesprecher machte aber auch deutlich, dass es sich um eine aktive Kampfzone gehandelt habe, wo Truppen bereits in Hinterhalte gelockt worden seien. Angreifer seien zudem oft in „Jeans und Sneakers“ unterwegs. Fast alle gegnerischen Einheiten, die die israelischen Truppen mit Panzerbüchsen angriffen, seien in Zivil gekleidet.

Israels Generalstabschef Herzi Halevi übernahm die Verantwortung für die versehentliche Tötung. „Die Armee und ich als ihr Kommandeur sind für das, was passiert ist, verantwortlich, und wir werden alles tun, um zu verhindern, dass sich solche Fälle in der Zukunft der Kämpfe wiederholen“, sagte er in einem Video. Zugleich stellte er klar, dass auf Menschen mit weißer Flagge, die sich ergeben wollen, nicht geschossen werden darf. Bei der Tötung der Geiseln seien Einsatzregeln verletzt worden, so Halevi.

„Kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat“

Die Leichen der drei Geiseln wurden Armeeangaben zufolge nach Israel gebracht. Die israelischen Streitkräfte identifizierten die versehentlich Getöteten als den 26-jährigen Alon Lulu Schamris und den 28-jährigen Musiker Jotam Haim, die beide aus dem Kibbuz Kfar Asa entführt worden waren, sowie den 25-jährigen Beduinen Samer al-Talalka aus dem Kibbuz Nir Am. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete den Vorfall als „unerträgliche Tragödie“.

Die US-Regierung nannte den Tod der drei Geiseln „herzzerreißend“ und „tragisch“. „Natürlich ist das kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Freitag. Der Fall eigne sich aber nicht, um ein allgemeines Urteil darüber zu fällen, ob das israelische Militär in der Lage sei, im Gazastreifen präzise vorzugehen, sagte Kirby weiter.

Nach jüngsten israelischen Angaben befinden sich noch 129 Geiseln im Gazastreifen. Hunderte Menschen, darunter auch Angehörige von Geiseln, demonstrierten Freitagabend vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, nachdem die versehentliche Tötung der drei Geiseln bekanntgeworden war. Die Demonstrierenden forderten ein schnelles neues Abkommen zur Freilassung der Verschleppten.

Tim Cupal (ORF) zu getöteten Geiseln

Tim Cupal (ORF) meldet sich aus Tel Aviv und spricht über die irrtümlich getöteten Geiseln in Gaza. Der Vorfall sorgte für große Proteste in Israel.

Auch am Samstag forderten viele Angehörige von Geiseln einen Stopp der Kampfhandlungen. „Wir nehmen nur Leichen in Empfang“, sagte Noam Perry, deren Vater Haim Perry sich noch in der Händen der radikalislamischen Hamas befindet. „Wir wollen, dass Sie den Kampf beenden und Verhandlungen beginnen“, sagte sie bei einer Veranstaltung des Forums für Geiseln und vermisste Familien in Tel Aviv am Samstag.

„Wir fühlen uns wie beim russischen Roulette“, sagte Ruby Chen, Vater einer 19-jährigen Geisel am Samstag. „Sie haben uns erklärt, dass die Bodenoffensive die Entführten zurückbringen würde“, sagte Chen. Seitdem seien zwar Geiseln zurückgekehrt, „aber nicht lebendig“, kritisierte er.

Berichte: Neue Verhandlungen über Geiselfreilassung

Netanjahu deutete am Samstag an, dass neue Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln laufen. Israels Offensive im Gazastreifen habe dazu beigetragen, dass es im November ein Teilabkommen zur Freilassung von Geiseln gegeben habe, sagte Netanjahu vor Journalisten. „Die Anweisungen, die ich dem Verhandlungsteam gebe, beruhen auf diesem Druck, ohne den wir nichts haben.“

Israel sei in einem „existenziellen Krieg“. Dieser müsse trotz der Kosten und des Drucks bis zum Sieg fortgeführt werden. Nachdem die Hamas besiegt worden sei, werde der Gazastreifen entmilitarisiert und unter die Sicherheitskontrolle Israels gestellt.

Zuvor hatte der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnes, den Ministerpräsidenten von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, in Oslo getroffen. Das berichtete das Nachrichtenportal Axios. Katar vermittelt in dem Krieg. Nach Berichten des „Wall Street Journal“ stünde auch eine Feuerpause für die weitere Freilassung israelischer Geiseln im Raum.

Neuer Resolutionsversuch im Sicherheitsrat möglich

Auch auf Ebene der UNO dürfte es Bewegung geben. Mehrere Versuche für eine Resolution zum Gaza-Krieg im UNO-Sicherheitsrat sind bereits gescheitert. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben einen neuen Resolutionsentwurf vorgelegt, der nun hinter den Kulissen diskutiert werde, hieß es aus Diplomatenkreisen.

Der Entwurf fordert vor allem die logistische Ermöglichung von mehr humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Bereits am Montag könnte darüber abgestimmt werden.