Hilfs-LKW am Grenzübergang Kerem Schalom
Reuters/Cogat Via X
Hilfslieferungen

Israel öffnete Grenzübergang Kerem Schalom

Israel hat den Grenzübergang Kerem Schalom für Hilfslieferungen in den Gazastreifen geöffnet. So soll die tägliche Menge an humanitärer Hilfe für Gaza erhöht werden. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet gerät Israel verstärkt unter Druck. Zuletzt mehrten sich auch international wieder die Rufe nach einer Waffenruhe.

„Ab heute werden die UNO-Hilfsgütertransporter einer Sicherheitskontrolle unterzogen und über Kerem Schalom direkt nach Gaza gebracht, um unsere Vereinbarung mit den USA einzuhalten“, erklärte die für Kontakte mit den Palästinensern zuständige israelische COGAT-Behörde, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist, am Sonntag. Dazu teilte die Behörde ein Bild mit aufgereihten Lkws. Laut der Nachrichtenagentur AFP überquerte auch ein erster Konvoi die Grenze. AFP bezog sich dabei auf Angaben eines Mitarbeiters des Roten Halbmonds.

Durch die Öffnung im Südosten des Gazastreifens nahe der Grenze zu Ägypten soll die Menge an Hilfsgütern erhöht werden, hieß es von der israelischen Behörde. Das Sicherheitskabinett in Israel hatte die Öffnung des Grenzübergangs vergangene Woche vorläufig genehmigt. Die Belastung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah in Richtung Gaza soll so verringert werden. Kerem Schalom war vor dem Krieg als Warenübergang in den Gazastreifen genutzt worden. Seit dem 7. Oktober war Kerem Schalom genutzt worden, um Lastwagen zu kontrollieren, bevor sie nach Rafah weitergeschickt wurden.

1,9 Millionen Menschen auf der Flucht

Die Lage für die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza aber bleibt weiterhin katastrophal. Das schwer beschädigte größte Krankenhaus von Gaza, Schifa, sei nur „minimal funktionsfähig“ und müsse dringend zumindest die grundlegendsten Funktionen wieder aufnehmen können, „um die Tausenden von Menschen, die lebensrettende medizinische Versorgung benötigen, weiter zu versorgen“, erklärte die WHO am Sonntag. In dem Krankenhaus würden nur noch eine Handvoll Ärzte, einige wenige Krankenschwestern sowie 70 Freiwillige unter „unglaublich schwierigen“ Bedingungen arbeiten.

Nach Angaben des UNO-Palästinenserhilfswerkes (UNRWA) sind fast 1,9 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht – mehr als 85 Prozent der Bevölkerung.

Appelle aus Berlin und London

Angesichts der Lage der Zivilbevölkerung wächst der Druck auf die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu weiter an. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und ihr britischer Amtskollege David Cameron riefen am Sonntag in einem gemeinsamen Gastkommentar zu verstärkten internationalen Anstrengungen für einen „nachhaltigen Waffenstillstand“ im Gazastreifen auf.

„Wir alle müssen alles tun, was wir können, um den Weg für einen nachhaltigen Waffenstillstand zu ebnen, der zu einem nachhaltigen Frieden führt“, schrieben Baerbock und Cameron in dem Gastkommentar, der in der „Sunday Times“ und der „Welt am Sonntag“ erschien. In dem Konflikt seien schon „zu viele Zivilisten gestorben“.

„Waffenstillstand, wenn er dauerhaft ist“

Cameron und Baerbock sprachen sich allerdings nicht für einen sofortigen Waffenstillstand aus – wenngleich sie Verständnis für solche Forderungen zeigten. Ein sofortiger Waffenstillstand würde jedoch missachten, warum Israel überhaupt gezwungen sei, sich selbst zu verteidigen. „Die Hamas hat Israel barbarisch angegriffen und feuert immer noch jeden Tag Raketen ab, um israelische Bürger zu töten“, so der Kommentar.

„Unser Ziel kann nicht einfach ein Ende der Kämpfe heute sein. Es muss ein Frieden sein, der über Tage, Jahre, Generationen andauert. Wir unterstützen daher einen Waffenstillstand, aber nur, wenn er dauerhaft ist“, heißt es in dem Gastartikel.

Zuvor hatte bereits US-Präsident Joe Biden Israel zu mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung aufgerufen. Die US-Regierung hatte zuletzt nach Gesprächen mit der israelischen Führung die Erwartung geäußert, dass Israel von einem militärischen Vorgehen mit „hoher Intensität“ zu „gezielteren“ Operationen übergehen werde.

Frankreich will Waffenruhe sofort

Im Gegensatz zu ihren deutschen und britischen Amtskollegen drängte die französische Außenministerin Catherine Colonna am Sonntag auf eine sofortige humanitäre Waffenruhe im Gazastreifen.

Außerdem forderte sie Aufklärung über den Tod eines Mitarbeiters ihres Ministeriums in Rafah. „Wir warten auf eine Klarstellung“, sagte sie nach einem Treffen mit Israels Außenminister Eli Cohen in Tel Aviv. Dem französischen Außenministerium zufolge starb der Mitarbeiter nach einem israelischen Angriff auf ein Wohngebäude in Rafah. Angaben zu Name, Nationalität und Alter des Beschäftigten wurden nicht gemacht.

Gaza: Druck auf Israel wächst

Angesichts Tausender toter Zivilisten und Zivilistinnen und katastrophaler Zustände im Gazastreifen fordern immer mehr Staaten eine neue Waffenruhe. Aber Israel scheint das nicht zu überzeugen, die Angriffe in Gaza gehen weiter.

Proteste nach Tod von Geiseln

Die Rufe nach einem umsichtigeren Vorgehen der israelischen Armee wurden indes auch in Israel lauter. Nicht zuletzt, nachdem vor dem Wochenende bekanntgeworden war, dass die Armee unabsichtlich drei Geiseln getötet hatte. Dabei sollen die drei Männer nach Angaben der Armee selbst eine weiße Fahne in die Höhe gehalten haben.

„Hilfe, drei Geiseln“

Am Sonntag gab die Armee bekannt, dass sich an den Wänden eines Gebäudes in der Nähe Schilder befunden hätten, auf denen in hebräischer Sprache „S.O.S.“ und „Hilfe, drei Geiseln“ zu lesen gewesen sei. Armeesprecher Daniel Hagari verbreitete Fotos, auf denen weiße Schilder aus Stoff zu sehen waren, die mit roter Farbe beschriftet waren. Sie seien an einem Gebäude aufgehängt gewesen, das etwa 200 Meter von dem Ort entfernt gewesen sei, an dem die Geiseln dann versehentlich erschossen worden seien.

Schon am Samstag forderten viele Angehörige von Geiseln bei einer Demonstration in Tel Aviv erneut einen Stopp der Kampfhandlungen, um eine Freilassung der Geiseln zu ermöglichen. Nach israelischen Schätzungen werden noch 112 Geiseln im Gazastreifen festgehalten.

Netanjahu: „Entschlossener denn je“

Netanjahu deutete bei einer Pressekonferenz Samstagabend an, dass neue Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln liefen. Zugleich machte er aber klar, dass Israel bei seiner harten Linie bleiben werde. Israel sei im Krieg „entschlossener denn je“.

Die Armee werde bis zum „totalen Sieg“ den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen fortsetzen. Der militärische Druck auf die Hamas müsse aufrechterhalten bleiben. Nur so könne sie besiegt und die Rückkehr aller Entführten erreicht werden.