zerstörte Gebäude im Norden des Gazastreifen
APA/AFP/Gil Cohen-Magen
Irrtümlich erschossen

Geiseln schrieben SOS auf Tücher

Nach der irrtümlichen Tötung dreier Geiseln hat Israels Armee weitere Details zum Vorfall in Nordgaza öffentlich gemacht. An einem Gebäude in der Nähe hätten sich Tücher befunden, auf denen in hebräischer Sprache „SOS“ und „Hilfe, drei Geiseln“ zu lesen gewesen sei. Israel öffnete indes den Grenzübergang Kerem Schalom zum Gazastreifen für Hilfslieferungen.

Auf den Stofftüchern seien mit Essensresten Botschaften geschrieben gewesen, teilte Israels Militär mit. Aufgehängt waren sie laut Armee an einem Gebäude etwa 200 Meter entfernt von jenem Ort, an dem die drei Geiseln am Freitag erschossen worden waren. Bereits am Samstag hatte das Militär unter Berufung auf erste Untersuchungen des Vorfalls erklärt, die drei Getöteten hätten eine weiße Fahne mit sich getragen.

Ein Soldat habe die drei Männer in mehreren zehn Meter Entfernung auftauchen sehen. Sie hätten alle keine Hemden angehabt. Der Soldat habe sich bedroht gefühlt und geschossen. Er habe angegeben, es seien „Terroristen“, und dann hätten mehrere andere Soldaten das Feuer auf die Geiseln eröffnet. Zwei seien sofort tot gewesen.

mit Lebensmitteln bemalte „SOS“ Schilder in Nordgaza
APA/AFP/Israeli Army
Die israelische Armee veröffentlichte Aufnahmen der mit Essensresten beschriebenen Stofftücher

Die dritte Geisel habe verwundet Schutz in einem Gebäude gesucht und auf Hebräisch um Hilfe gerufen. Zwar habe der Kommandant sofort das Einstellen des Feuers befohlen, aber es sei weiter auf die Geisel geschossen worden, die dann gestorben sei. „Das war gegen unsere Einsatzregeln“, sagte ein Armeesprecher. Ob die drei Geiseln ihren Entführern entkommen waren oder von diesen zurückgelassen wurden, ist bisher unklar.

Vater von Geisel mit scharfer Kritik

Generalstabschef Herzi Halevi bekräftigte, die Schüsse auf die Menschen seien falsch gewesen. „Was ist, wenn zwei Menschen aus Gaza mit einer weißen Flagge herauskommen, um sich zu ergeben, schießen wir dann auf sie? Auf keinen Fall“, so Halevi. Der Vorfall hatte in Israel für Entsetzen und Proteste gesorgt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einer „unerträglichen Tragödie“.

Der Vater einer der erschossenen Geiseln übte heftige Kritik am Militär. Die Tötung der drei Geiseln „war kein Fehler, es war eine Hinrichtung – im wahrsten Sinne des Wortes“, sagte er. Sein Sohn sei Mitglied der Eliteeinheit Jahalom gewesen. „Sie haben alles richtig gemacht – sie haben ihre Hemden ausgezogen, eine weiße Fahne aufgehängt und sind am helllichten Tag mitten auf der Straße marschiert und haben um Hilfe gerufen. Aber in unserer Armee wissen sie nicht, wie man sich an die Einsatzregeln hält“, sagte der Mann.

USA drängen auf nächste Phase

Die USA drängen Israel indes, im Krieg gegen die Hamas die nächste Phase einzuleiten. Israels intensive Boden- und Luftangriffe „können nicht immer so weitergehen“, hieß es. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kam am Montag in Israel an, wo er unter anderen Premier Netanjahu trifft.

Israel öffnet Grenzübergang Kerem Schalom

Israel öffnete unterdessen den Grenzübergang Kerem Schalom für Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Mit der Öffnung werde eine Vereinbarung Israels mit den USA umgesetzt, teilte die für die palästinensischen Gebiete zuständige Behörde (COGAT) mit.

Die humanitäre Lage in Gaza ist prekär. Ein Vertreter von Ärzte ohne Grenzen sagte am Montag, das Wasserversorgungssystem sei zusammengebrochen. Den Menschen stehe höchstens ein Liter Wasser am Tag zur Verfügung – „zum Trinken, Waschen und Kochen“. Laut UNO benötigen Menschen als Minimum 15 Liter pro Tag.

Die israelische Armee legte indes nach eigenen Angaben zufolge den bisher größten Tunnel der Hamas im Gazastreifen frei. Er befinde sich nur wenige hundert Meter von einem wichtigen Grenzübergang entfernt und ist so groß, dass kleine Fahrzeuge darin fahren können. Der Tunnel sei Teil eines größeren, verzweigten Netzes, das vier Kilometer lang sei und bis auf 400 Meter an den Grenzübergang Erez heranreiche, hieß es.

Bericht: Israel und Hamas offen für Feuerpause

Israel und die Hamas sollen indes nach Angaben aus ägyptischen Sicherheitskreisen offen für eine weitere Feuerpause sein. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Außerdem wurde die Freilassung von Geiseln der Hamas beziehungsweise Gefangenen aus israelischen Gefängnissen vereinbart.

Gaza: Rufe nach Waffenruhe

Angesichts Tausender katastrophaler Zustände im Gazastreifen fordern immer mehr Staaten eine neue Waffenruhe.

Auf israelischer Seite wird der Chef des Geheimdienstes Mossad, David Barnea, an einem neuen Abkommen arbeiten. Barnea habe von der Regierung grünes Licht für Verhandlungen erhalten, berichtete der Sender Channel 12. In den kommenden Tagen soll er in Europa hochrangige Vertreter Katars treffen. Der Golfstaat unterhält gute Verbindungen zur Hamas.

Noch über 100 Geiseln in Gaza

Die Hamas hatte bei ihrem Terrorangriff auf Israel rund 1.200 Menschen getötet mehr als 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Mehr als 100 von ihnen befinden sich nach wie vor dort. Bei den Gegenangriffen Israels im Gazastreifen wurden bisher nach Angaben des der Hamas unterstellten Gesundheitsministeriums bisher rund 19.000 Menschen getötet. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.