Ein Handy mit dem Twitter-Logo
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„Illegale Inhalte“

EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen X

Der erst im Sommer in Kraft getretene Digital Services Act (DSA) der EU-Kommission trägt erste Früchte. Am Montag eröffnete man in Brüssel ein Verfahren gegen die Kurznachrichtenplattform X (Twitter). Dadurch soll unter anderem geprüft werden, ob X gegen Regeln zum Risikomanagement und zur Moderation von Inhalten, zur Werbetransparenz und zum Datenzugriff für Forschende verstoßen hat, wie es hieß. Neue Vorwürfe nähren zudem die Kritik an der Plattform.

Neben der Erlaubnis, nun mögliche Verstöße zu prüfen, will die Kommission sich auch auf „Dark Patterns“ konzentrieren. Das sind Praktiken, mit denen darauf abgezielt wird, die Fähigkeit zur autonomen und informierten Auswahl maßgeblich zu verzerren oder zu beeinträchtigen.

Auch der „blaue Haken“ für Accounts soll auf den Prüfstand gestellt werden. Denn dieser könne womöglich „täuschend“ wirken, hieß es. X-Inhaber Elon Musk hatte ein Abomodell eingeführt, mit dem sich Nutzerinnen und Nutzer den blauen Haken kaufen können. Der Haken hatte zuvor die Echtheit der Profile von etwa Institutionen und Prominenten angezeigt.

Erstmalig unter DSA

Es ist das erste Verfahren, das aufgrund des neuen Gesetzes gegen eine Onlineplattform durchgeführt wird. Am Ende eines solchen Verfahrens könnte eine hohe Geldbuße stehen.

Elon Musk
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Twitter-Inhaber Elon Musk

X steht schon länger in der Kritik, nicht entschieden genug gegen Falschinformationen und Hassrede auf der Plattform vorzugehen, seit dort Musk das Sagen hat. Durch den DSA sind seit August die Plattformen verpflichtet, gegen illegale Inhalte wie zum Beispiel Hassrede und Hetze im Netz vorzugehen. Die EU-Kommission hatte bereits zuvor eine offizielle Anfrage an X gestellt, nachdem zahlreiche Hinweise auf illegale und irreführende Beiträge zum Krieg im Gazastreifen eingegangen waren. Auf X gibt es nach einer Studie der EU-Kommission den größten Anteil solcher Falschinformationen.

Bericht: Regeln zu Holocaust-Leugnung verwässert

Jüngste Berichte befeuern diese Kritik einmal mehr. Wie am Sonntag die irische Zeitung „Business Post“ meldete, seien nach der Übernahme von X durch Musk offenbar zahlreiche Regeln und Sanktionen verwässert worden. Konkret geht es etwa um Holocaust-Leugnung und rassistische Ausdrücke, die weniger hart bestraft werden sollen.

Der irischen Zeitung lagen Dokumente von Juni bis Oktober des Jahres vor, die als Richtlinie für die Moderation des Kurznachrichtendienstes dienen. Wurden Userinnen und User, die derartiges Material posten, früher gesperrt, soll das nun explizit nicht mehr zu einer Suspendierung führen, hieß es.

Neben der Leugnung des Holocausts führt auch das Übertragen von Bildern von Adolf Hitler und das Posten von rassistischen und homophoben Ausdrücken nicht mehr direkt zu einer Sperre. Transfeindliche Verhaltensweisen, etwa „Deadnaming“ (das Verwenden des bisherigen Vornamens etwa von Transpersonen), werden überhaupt nicht mehr geahndet. Viele Postings, die früher gelöscht worden wären, werden nun lediglich mit einem Hinweis versehen, so „Business Post“ weiter.

Verscheuchte Werbekunden

Musk sieht sich selbst als Verfechter der Redefreiheit und pocht seit seiner Übernahme der Plattform auf freie Meinungsäußerung um jeden Preis. Er selbst unterstützte auch einen Beitrag, der eine antisemitische Verschwörungstheorie enthielt. Fast gleichzeitig demonstrierten Hassredeforscher, wie Werbung bekannter Marken neben Nazi-Beiträgen angezeigt werden kann. X behauptete in der Folge, dass die Forscher die Plattform manipuliert hätten, um das von ihnen gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Musk entschuldigte sich später für seinen X-Beitrag und erklärte, er sei missverstanden worden.

Doch zahlreiche potente Werbekunden waren verärgert: Unternehmen wie Apple, Disney und IBM zogen ihre Werbegelder von X ab. Musk beschimpfte jüngst auch seine Werbekunden bei einem öffentlichen Auftritt wüst und warf ihnen vor, sie könnten damit das Scheitern der Plattform herbeiführen. Zuletzt erwartete die „New York Times“, dass Twitter bis Jahresende rund 70 Mio. Dollar Werbeeinnahmen entgehen könnten.

Konkurrenten wittern Chance

Musk, der reichste Mensch der Welt, hatte im Oktober 2022 rund 44 Milliarden Dollar für das damals noch Twitter heißende Unternehmen bezahlt. Schon vor der jüngsten Abwanderung von Werbekunden waren die Werbeerlöse von X nach seinen Angaben nur noch halb so hoch wie zu Twitter-Zeiten.

Musk setzt stärker auf Aboerlöse – diese Einnahmen können nach Berechnungen von Experten die Lücke bisher aber nicht ausfüllen. Für Twitter war Werbung traditionell die mit Abstand wichtigste Geldquelle. Der Finanzdienst Bloomberg schrieb vergangene Woche, X werde in diesem Jahr voraussichtlich einen Umsatz von 2,5 Milliarden Dollar erzielen. 2021 waren es noch mehr als fünf Milliarden Dollar.

Mehrere Konkurrenten sehen die Chance, mit Alternativen an die einstige Bedeutung von Twitter anzuknüpfen. Threads gilt dabei als ein besonders starker Kandidat. Der Ableger der Facebook-Mutter Meta ging erst vorige Woche in der EU an den Start. Andere Konkurrenten wie Mastodon und Bluesky sind bisher noch deutlich kleiner als X.