Demonstranten in Belgrad
AP/Darko Vojinovic
Zweifel an Wahlergebnis

Serbiens Opposition auf den Barrikaden

Einen Tag nach der laut Wahlbeobachtern von Unregelmäßigkeiten überschatteten Parlamentswahl in Serbien haben Tausende Menschen in Belgrad gegen den Wahlverlauf demonstriert. „Vucic, du Dieb“ und „Vucic, hau ab“ riefen die Demonstrierenden bei dem Protestmarsch am Montagabend an die Adresse von Präsident Aleksandar Vucic gerichtet.

Laut am Montagabend von der Wahlkommission veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen kam Vucics rechtspopulistische Serbische Fortschrittspartei (SNS) bei der Wahl am Sonntag auf 46,7 Prozent der Stimmen, das lose Oppositionsbündnis Serbien gegen Gewalt auf 23,5 Prozent. Eine internationale Beobachtermission aus Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des EU-Parlaments und des Europarats berichtete allerdings von einer Reihe von „Unregelmäßigkeiten“ bei dem Urnengang, darunter Fälle von Gewalt, Stimmenkauf und das Füllen der Wahlurnen mit gefälschten Stimmzetteln.

Der Opposition zufolge sollen zudem Zehntausende Bewohner der bosnisch-serbischen Republika Srpska in Bussen herangeschafft worden sein, um illegal in Belgrad ihre Stimme abzugeben. Die führende Oppositionskraft Serbien gegen die Gewalt (SPN) forderte die staatliche Wahlkommission auf, den Urnengang für die Stadtverwaltung Belgrads zu annullieren. Damit soll der Weg für die Abhaltung von Neuwahlen in der serbischen Hauptstadt frei werden.

Oppositionsführer im Hungerstreik

Laut Opposition soll es sich um etwa 40.000 Menschen handeln, die Personalausweise mit fiktiven Wohnadressen in Belgrad erhalten hatten. Die Oppositionsführer Marinika Tepic und Miroslav Aleksic kündigten an, in einen unbefristeten Hungerstreik zu treten, bis die Wahlergebnisse der Belgrader Wahl annulliert würden.

Serbien: Vorwürfe wegen Wahlbetrugs

„Das ist ein klarer Sieg, und das macht mich glücklich“, hat der serbische Präsident Aleksandar Vucic nach den Parlaments- und Kommunalwahlen in 65 Gemeinden am Sonntag gesagt. Nach Auszählung von 94 Prozent der Stimmen erreichte seine Fortschrittspartei (SNS) 47 Prozent. Opposition und Wahlforscher warfen der Regierungspartei Wahlbetrug und Stimmenkauf vor. Die proeuropäische Opposition rief in Belgrad zu Protesten auf.

OSZE-Wahlbeobachter kritisierten am Montag die Omnipräsenz von Vucic. Obwohl er nicht zur Wahl gestanden sei, habe sich alles um ihn gedreht, sagte der Wahlbeobachter und ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka. Das habe zu „unfairen Verhältnissen“ geführt. Hingewiesen wurde auch auf eine „völlige Polarisierung“ der serbischen Gesellschaft. Als „beunruhigend“ bezeichnete Wahlbeobachter und EU-Abgeordneter Andreas Schieder (SPÖ) die Berichte über Betrug – er forderte eine unabhängige Untersuchung.

Neueinsteiger als möglicher Königsmacher

Obwohl die SNS von Vucic den vorläufigen Ergebnissen zufolge auch in Belgrad stimmenstärkste Kraft wurde, fehlen ihr möglicherweise Partner, um in der Stadtversammlung den nächsten Bürgermeister zu bestimmen. Königsmacher in Belgrad könnte nun die Liste des Rechtspopulisten Branimir Nestorovic sein, die mit fünf Prozent der Stimmen überraschend auch den Einzug in das Landesparlament schaffte.

Nestorovic schloss bisher aber aus, mit einem der beiden Parteienbündnisse koalieren zu wollen. Der Quereinsteiger schaffte seinen Überraschungserfolg mit einem minimalen Wahlkampfbudget von umgerechnet rund 12.000 Euro vor allem über Präsenz in sozialen Netzwerken.

Analyse der Wahl in Serbien

Der Politologe Vedran Dzihic analysiert die Wahl in Serbien.

„Serbien ist sicher keine Demokratie mehr“

„Serbien ist sicher keine Demokratie mehr. Das haben die Wahlen gezeigt, die nicht frei und fair waren“, sagte der Südosteuropa-Experte Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) im ORF-III-Interview. Es habe keine freie und faire Wahlauseinandersetzung gegeben: „Da kann die Opposition nicht punkten.“

Mit der Wahl habe der serbische Präsident zudem Zeit gewonnen – in der Auseinandersetzung mit der EU und deren Drängen auf die Klärung der Kosovo-Frage, so Dzihic. Von seinem bisherigen Kurs werde Vucic wohl nicht abweichen: keine Anerkennung des Kosovo, Balance zwischen dem Westen auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite. Gerade in der Kosovo-Frage erwartete Dzihic im ORF-Interview eine Pattsituation und mögliche neue Spannungen. Die EU habe nicht die Möglichkeit, auf beide Seiten einzuwirken.