Migranten fahren ein einem Boot zur Insel Lampedusa in Italien
Reuters/Yara Nardi
Strengere Regeln

EU einigt sich auf Asylreform

Das Asylsystem in der EU wird grundlegend reformiert. Nach jahrelangen Diskussionen verständigten sich Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten und des Europaparlaments endgültig auf entsprechende Gesetzestexte, wie die spanische Ratspräsidentschaft und die EU-Kommission Mittwochfrüh mitteilten. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen der bisherigen Regeln. Ziel ist es, die irreguläre Migration einzudämmen.

Die Einigung auf die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität. Künftig soll es einheitliche Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen geben. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten.

Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Die Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt. Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Abgelehnte Asylwerberinnen und Asylwerber sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden.

EU einigt sich auf Asylreform

Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments haben sich nach jahrelangen Debatten auf eine Reform des Asylsystems verständigt. Der neue Asyl- und Migrationspakt soll deutlich strengere Regeln beinhalten. Ziel ist es, die irreguläre Migration einzudämmen.

Neue Regeln im Detail

Im Kern geht es bei den fünf Gesetzestexten um schärfere Asylregeln sowie eine Entlastung von Hauptankunftsländern wie Italien und Griechenland. Die Asylagentur der Europäischen Union rechnet in diesem Jahr mit mehr als einer Million Anträge, das wäre der höchste Wert seit 2015 und 2016.

Grafik zu Asylanträgen
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

Erstmals soll es direkt an den EU-Grenzen Asylverfahren geben, um Migrantinnen und Migranten mit besonders geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Das betrifft etwa Menschen aus Marokko, Tunesien und Bangladesch. Denn sie haben eine höchstens 20-prozentige Anerkennungsquote in der EU, die nun der Maßstab wird. Die Menschen sollen in Grenznähe festgehalten und von dort aus direkt abgeschoben werden. Juristisch werden sie dabei als nicht eingereist betrachtet.

Das Asylverfahren und die Abschiebung sollen in der Regel je zwölf Wochen dauern. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein. Bei besonders vielen Ankünften soll eine Krisenverordnung greifen. Auch Menschen mit höheren Anerkennungschancen sollen dann die Grenzverfahren durchlaufen, sie können dann sogar 18 statt zwölf Wochen festgehalten werden.

Metsola: „Wegweisendes Abkommen“

„Die EU hat sich auf ein wegweisendes Abkommen verständigt, um Migration und Asyl zu regeln“, schrieb die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, auf X (Twitter). „Ich bin sehr stolz, dass wir mit dem Migrations- und Asylpakt Lösungen geliefert und gebracht haben.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erleichtert über die Einigung: „Sie bedeutet, dass die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Menschenhändler. Damit schützen wir diejenigen, die in Not sind.“

Auch der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, bezeichnete den EU-Asylkompromiss als „sehr positiven Schritt“ und gratulierte der EU und der EU-Kommission. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) stehe bereit, um bei der Umsetzung „zu beraten und unterstützen“, sagte er.

Ungarn, einer der stärksten Kritiker des Abkommens, wies die Einigung hingegen „aufs Schärfste“ zurück. „Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen“, sagte Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch vor Journalistinnen und Journalisten.

Reform seit 2015/16 in Arbeit

An der Reform wird bereits seit der Flüchtlingskrise 2015/16 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit der immensen Zahl an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert, und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen.

Das hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der Dublin-Verordnung sollen Asylwerberinnen und Asylwerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Daraufhin schlug die EU-Kommission erstmals bereits 2016 neue Regeln vor.

Migranten warten 2015 in Berlin auf die Registrierung
IMAGO/Jochen Eckel
2015 war die EU überfordert von der großen Zahl von Flüchtlingen vor allem aus Syrien

Die Verhandlungen gestalteten sich allerdings bis zuletzt als sehr zäh. Während Ländern wie Ungarn die Vorschläge nicht scharf genug waren, äußerten Hilfsorganisationen und Teile von Linken und Grünen Bedenken, dass die Menschenrechte bei den Asylverfahren nicht genügend geachtet würden.

Karner: Schritt in die richtige Richtung

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gab sich vorsichtig optimistisch. „Das Ergebnis scheint ein Schritt in die richtige Richtung“, teilte er in einem Statement mit. „Strenge und schnelle Verfahren an den EU-Außengrenzen sowie Zusammenarbeit mit Drittstaaten waren und sind die klaren Forderungen Österreichs mit dem Ziel einer deutlichen Entlastung unseres Landes.“

Auch die österreichischen ÖVP-Abgeordneten Angelika Winzig und Lukas Mandl zeigten sich in einer Presseaussendung erfreut über die Einigung. NEOS begrüßte, „dass nach jahrelangen mühsamen Verhandlungen nun endlich eine Einigung … gefunden wurde“. Besonders positiv sehe man, „dass es künftig einheitliche Verfahren an den EU-Außengrenzen geben soll“, sagte Asyl- und Migrationssprecherin Stephanie Krisper in einer Aussendung.

FPÖ: Wird „Grundproblem“ nicht ändern

Die SPÖ will den Text zuerst darauf prüfen, ob die Grundrechte geschützt werden, bevor man im Parlament darüber abstimmt. „Neue Regeln müssen praktisch funktionieren und bestehende Probleme lösen, nicht verschärfen“, sagte die SPÖ-EU-Abgeordnete Theresa Bielowski in einer Aussendung.

Deutlichere Kritik kam von den Grünen. „Rechtsstandards und -garantien werden aufgeweicht, Grenzverfahren und Inhaftierungen werden großes menschliches Leid hervorrufen, und das Sterben im Mittelmeer wird nicht beendet“, sagte Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament.

Für die FPÖ wird der EU-Migrationspakt „an der seit Jahren anhaltenden illegalen Massenzuwanderung unter Missbrauch des Asylrechts nichts ändern“. Er gehe „in keiner Weise das Grundproblem der offenen Grenzen an“, teilte der FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Harald Vilimsky, in einer Aussendung mit.

„Missachtung der Menschenrechte“

Wenig Grund zur Freude sehen mehrere Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. Die am Mittwoch erzielte Einigung sei „ein menschenrechtlicher Dammbruch und ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die EU für eine restriktive Migrationspolitik entschieden hat“, teilte Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, mit.

Heftige Kritik kam auch von der NGO Sea-Watch. Das Ergebnis sei „eine der eklatantesten Missachtungen der Menschenrechte und des Leids an den europäischen Grenzen“, wie die Organisation in einer Aussendung mitteilte. Mit dem neuen EU-Migrationspakt würden das individuelle Recht auf Asyl in der EU beendet und noch mehr Tote auf See verursacht.

„More of the same“

Auch Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich äußerte sich auf X kritisch über die Einigung. Genaue Inhalte seien noch nicht bekannt. Was bekannt ist, sei „kein Paradigmenwechsel, sondern ‚more of the same‘“ und würde „nationale Alleingänge“ begünstigen und das „Gemeinsame“ unterminieren.

Dass der beschlossene Kompromiss nicht zu einer Lösung der Asylprobleme der EU führen wird, befürchtet auch die christliche Hilfsorganisation Caritas Europa. „Anstatt das EU-Asylsystem zu stärken und gerechter zu gestalten, ziehen es die EU-Mitgliedsstaaten vor, ihre Asylzuständigkeit auf Nicht-EU-Länder zu verlagern, Ankünfte zu verhindern und die Rückführung zu beschleunigen, wodurch Migranten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werden“ – mehr dazu in religion.ORF.at.

Knaus: Unklar, wie Länder davon profitieren

Der Migrationsexperte Gerald Knaus, der die Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) leitet, bezeichnete das Übereinkommen auf X als „riesige und komplizierte Reform“. Dadurch würden „keine echten Probleme gelöst“. Außerdem sei weiter unklar, wie Zielländer wie Deutschland, Frankreich, Österreich und Ankunftsländer wie Italien von der Reform profitieren sollten.

Diese Reform werde auch nicht besser umgesetzt werden als die derzeitigen EU-Vorschriften einschließlich Dublin. „Die Kluft zwischen den Vorschriften und ihrer Durchsetzung wird größer werden“, so der Migrationsexperte.

Einen „Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte“ sieht man bei Ärzte ohne Grenzen Österreich. Die Asylreform sei „der Nährboden für systemische Gewalt, Pushbacks und lange, willkürliche Inhaftierungen“, hielt Marcus Bachmann, humanitärer Berater der Organisation, in einer Aussendung fest.