Polens Regierungschef Donald Tusk
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Polen

Tusks Umbau als Mammutaufgabe

Gut eine Woche nach dem Machtwechsel in Polen treibt die neue proeuropäische Regierung von Donald Tusk erste Umwälzungen voran: Erst wurde die Führung der Geheimdienste ausgewechselt, dann die gesamte Führung der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen. Auch eine Entpolitisierung der Gerichte steht auf der To-do-Liste der neuen Regierung. Einfach wird der angestrebte Staatsumbau für Tusk aber nicht.

„Den von PiS acht Jahre lang durchgedrückten Staatsumbau rückgängig zu machen wird ein beispielloser Kraftakt“, hieß es in einem Kommentar des Deutschlandfunks zuletzt. Besonderes Augenmerk wird auf die Rolle des PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda sowie des von der PiS kontrollierten Verfassungsgerichtshofs gelegt. Polen sei eine „lädierte Demokratie, im Inneren zutiefst gespalten und außenpolitisch isoliert“, schrieb der „Spiegel“ kürzlich. „Tusks Aufgabe ist es nun, das Land zurück nach Europa zu führen. Das wird schwer – aber es kann gelingen.“

Tusk führt ein proeuropäisches Dreierbündnis der ehemaligen Opposition an, das bei der Parlamentswahl im Oktober die Regierungsmehrheit gewonnen hatte. Weil die seit 2015 regierende nationalkonservative PiS den Machtwechsel verzögerte, konnte Tusk sein Amt erst in der vergangenen Woche antreten. In seiner Regierungserklärung mahnte Tusk die Einhaltung der Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein.

Seither scheint der frischgebackene Regierungschef zu versuchen, illiberale Reformen sowie Postenbesetzungen der seit 2015 regierenden nationalkonservativen PiS-Partei Schritt für Schritt rückgängig zu machen. Das reicht von Umwälzungen bei Medien über staatliche Institutionen und Firmen bis zu den Geheimdiensten. Noch kurze Zeit vor dem Machtwechsel hatte sich die PiS mit unkündbaren Posten – darunter zahlreiche neue Richter – versorgt, wie mehrere Medien berichteten.

Politisierte Justiz als Hürde

In Europa wird etwa besonders genau beobachtet, ob es Tusks Regierung gelingen wird, die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem neuen Justizminister Adam Bodnar zu. Der Verfassungsrechtler war von 2015 bis 2021 Polens Menschenrechtsbeauftragter.

Polens neuer Justizminister, Adam Bodnar
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Die Erwartungen an Polens Justizminister Adam Bodnar sind groß

Das neu gewählte Parlament ebnete bereits den Weg für erste Schritte zur Rücknahme der umstrittenen Reform. Die Abgeordneten votierten für eine Resolution, die mehrere Maßnahmen der PiS-Regierung für verfassungswidrig erklärt. Dabei geht es im Kern um die Zusammensetzung des einflussreichen Landesjustizrates, dessen Aufgabe es ist, Richter und Richterinnen zu ernennen.

EU-Kommission vorsichtig optimistisch

Dessen Mitglieder seien auf illegalem Weg ernannt worden und müssten zurücktreten, heißt es in der Resolution. 2018 hatte die PiS seine ursprüngliche Zusammensetzung so geändert, dass die Mehrheit der Mitglieder nicht mehr von anderen Richtern, sondern vom Parlament ernannt wurde. Die Resolution habe symbolische Bedeutung, sagte Justizminister Bodnar vor dem Parlament laut Nachrichtenagentur PAP. Duda hat die Justizreform der PiS wiederholt unterstützt, was eine Rücknahme trotz des Parlamentsvotums erschweren könnte.

Wegen Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit stieß die Justizreform der PiS in Brüssel auf besonders scharfe Kritik. Milliarden von EU-Geldern für Polen wurden deshalb eingefroren. Polens neue proeuropäische Regierung will nun rasch die Justizreform der PiS rückgängig machen. Bei einem Besuch in Warschau am Mittwoch begrüßte EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova den Willen des neuen Kabinetts, rechtsstaatliche Probleme zu lösen.

Experte erwartet „viele Blockaden und Hindernisse“

„Auf dem Weg zu einem vollwertigen, rechtsstaatlichen System wird es viele Blockaden und Hindernisse geben“, fasste Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations, die Herausforderungen im CNN-Interview zusammen. Fraglich ist auch, wie der neue Kurs unter Tusk mit höchstgerichtlichen Urteilen zur Abtreibung und auch dem Verhältnis von nationalem Recht zu EU-Recht zusammenpasst.

Führung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk ausgetauscht

Bei Medien und Geheimdiensten kam es indes zu einem Köpferollen: Die Vorstandschefs und die Aufsichtsräte des Fernsehsenders TVP, des Radios sowie der Nachrichtenagentur PAP wurden am Mittwoch entlassen, wie das Kulturministerium in Warschau mitteilte. Der Nachrichtensender TVP Info wurde kurz darauf abgeschaltet, dort waren am Mittwoch nur noch Weihnachtsmotive in Dauerschleife zu sehen. Auch die Website war nicht mehr verfügbar.

Neue Aufsichtsräte seien bereits ernannt, diese würden neue Vorstände wählen, hieß es. Der Umbau und die inhaltliche Neuausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählt zu den Prioritäten der neuen Regierung. Sie wirft den Medien vor, sie hätten in den vergangenen acht Jahren unter der PiS-Regierung Parteipropaganda verbreitet.

Wer andere Regeln für die Leitung der Medien wolle, müsse zuerst das entsprechende Gesetz ändern, sagte Präsident Duda dem Radiosender Zet. „Das ist Anarchie. Es ist Anarchie, das geltende Recht zu umgehen“, sagte er. Bei der Agentur PAP wollte der bisherige Chef Wojciech Surmacz seine Absetzung nicht hinnehmen, wie das Portal Gazeta.pl berichtete. Gleichzeitig sei der neue Leiter Marek Blonski im Haus und habe erste Personaländerungen angeordnet.

Parlament: „Wiederherstellung der Unparteilichkeit“

Am Dienstagabend hatte das Parlament einen Entschluss zur „Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit und Unparteilichkeit“ der öffentlich-rechtlichen Medien verabschiedet. Darin hieß es, diese Medien hätten ihren gesetzlichen Auftrag verloren, zuverlässige und unparteiische Informationen zu liefern, und seien zu Parteimedien geworden.

PiS-Politiker protestierten daraufhin. Kundgebungen vor der Fernsehzentrale fanden am Mittwoch aber keinen großen Zulauf. Bereits vergangene Woche wurde vor dem Gebäude demonstriert. Internationale Organisationen hatten die einseitige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien über den Wahlkampf kritisiert.

Protest vor der TVP-Zentrale in Warschau am 14.12.2023
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PiS-Anhänger demonstrierten am 14. Dezember vor dem TVP-Gebäude, Dienstagnacht kam es dort zu einem weiteren Protest

Führung der Geheimdienste ausgewechselt

Am Dienstag verkündete Tusk nach Beratungen mit Duda sowie dem zuständigen Ausschuss außerdem, dass die Chefs der Antikorruptionsbehörde CBA, des Inlands- und des Auslandsgeheimdienstes sowie der beiden militärischen Aufklärungsdienste ausgetauscht wurden. Neue Chefin der Antikorruptionsbehörde wird Agnieszka Kwiatkowska-Gurdak, die Führung des Inlandsgeheimdienstes übernimmt Oberst Rafal Syrysko.

Die Parteien der jetzigen Regierung werfen der PiS unter anderem vor, sie habe die Geheimdienste dazu eingesetzt, ihre politischen Gegner auszuspionieren. Polens Ministerpräsident kündigte zudem an, er werde bald einen Nachfolger für Polizeichef Jaroslaw Szymczyk ernennen. Der General hatte im vergangenen Dezember für landesweites Gelächter gesorgt, weil er im Polizeipräsidium versehentlich die Explosion eines Granatwerfers auslöste, den ihm ukrainische Kollegen geschenkt hatten. Szymczyk, ein Favorit der PiS, blieb trotzdem im Amt.

Wirbel gibt es nicht zuletzt um Zentralbankchef Adam Glapinski: Duda stärkte Glapinski am Donnerstag demonstrativ den Rücken. Die Regierung hingegen wirft dem Finanzmanager vor, er habe die Unabhängigkeit der Notenbank untergraben, die Geldpolitik zugunsten der langjährigen PiS-Regierung ausgestaltet und womöglich gegen Verfassungsregeln verstoßen. Deshalb prüft die Dreierkoalition, Glapinski vor Gericht zu bringen. Der 73-Jährige ist seit Mitte 2016 Gouverneur der Narodowy Bank Polski (NBP) und weist die Vorwürfe zurück.