Ukranischer Soldat vor einer Memory Wall mit Fotos von gefallenen Soldaten
Reuters/Valentyn Ogirenko
Mehr Soldaten nötig

Ukraine sucht auch im Ausland

Im Kampf gegen die russische Invasion benötigt das ukrainische Militär mehr Personal. Zuletzt war von einem Bedarf von 450.000 bis 500.000 zusätzlichen Soldaten die Rede. Woher diese kommen sollen, war bis zuletzt unklar. Verteidigungsminister Rustem Umjerow kündigte nun allerdings an, dass die Armee auch im Ausland nach Wehrpflichtigen suchen werde. Ganz klar scheint das Vorhaben noch nicht zu sein.

Ukrainer im wehrfähigen Alter von 25 bis 60 Jahren im Ausland sollten aufgefordert werden, sich in den Rekrutierungszentren der Streitkräfte zu melden. Das kündigte Umjerow in einem Interview mit „Bild“, Welt TV und „Politico“ an. Der Minister sprach zwar von einer Einladung. Er machte aber klar, dass es Sanktionen geben werde, wenn jemand der Aufforderung nicht folge. „Wir besprechen noch, was passieren soll, wenn sie nicht freiwillig kommen“, sagte er.

Ein Sprecher der Armee ruderte allerdings zurück. „Es steht keine Diskussion über eine Einberufung aus dem Ausland auf der Tagesordnung“, wurde der Sprecher in ukrainischen Medien zitiert. „Wenn Bürger der Ukraine der Armee beitreten wollen, kommen sie in die Ukraine, um beizutreten.“

Tatsache ist, dass das Militär Hunderttausende neue Soldaten mobilisieren möchte, um die russische Invasion abzuwehren. Die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen sind jedoch noch nicht geklärt. Minister Umjerow sagte, wichtig sei Gerechtigkeit. Künftig solle für die Betroffenen vorher klar sein, wie sie ausgebildet und ausgerüstet würden, wo und wann sie dienten und wann sie wieder entlassen würden.

Kriterien aufgeweicht, Debatte über Soldatinnen

Aktuell sollen über 800.000 ukrainische Soldaten im Einsatz sein, rund 300.000 von ihnen unmittelbar an der fast 1.000 Kilometer langen Front. Nach Berichten über miserable Einberufungsziffern, systematischen Freikauf vom Wehrdienst und korrupte Chefs der Einberufungsstellen entließ Präsident Wolodymyr Selenskyj im August alle Regionalchefs der Kreiswehrersatzämter. Doch die Mobilisierungszahlen brachen weiter ein.

Ukraines Verteidigungsminister Rustem Umerow
Reuters/Ukrainian Presidential Press Service
Verteidigungsminister Umjerow will im Ausland nach Ukrainern suchen, die eingezogen werden sollen

Vor allem in den Großstädten werden die Einberufungspläne laut Medien inzwischen nur noch mit einstelligen Prozentwerten erfüllt. Zwar dürfen Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren nicht ausreisen, dennoch steigen die Fluchtzahlen. Wie vielen die Flucht gelingt, kann nur geschätzt werden. Doch allein in den EU-Staaten waren im Oktober laut Eurostat über 700.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 64 Jahren als Flüchtlinge registriert.

Um mehr Personen für das Militär rekrutieren zu können, soll auch das Reservistenalter von 27 auf 25 Jahre gesenkt werden. Zudem wurden die Kriterien für die Diensttauglichkeit aufgeweicht – Männer mit nur einem Arm oder einem amputierten Unterschenkel gelten als bedingt diensttauglich. Auch die Einberufung von Frauen steht zur Diskussion. Selenskyj lehnt eine Gesetzesänderung dazu jedoch bisher ab. Mehr als fünf Prozent oder rund 43.000 Angehörige der Streitkräfte sind Frauen, davon über 5.000 unmittelbar an der Front.

Militärübung nahe Kiew
AP/Efrem Lukatsky
Der Krieg in der Ukraine nähert sich dem dritten Jahr

Ringen um westliche Hilfen

Russlands Präsident Wladimir Putin, der seit dem 24. Februar 2022 einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, setzt seit Langem darauf, dass dem Nachbarn irgendwann die Kämpfer ausgehen. Der russische Präsident hat nicht nur die Zahl der Soldaten erhöht, sondern lockt auch Tausende Freiwillige vor allem mit vergleichsweise hohem Sold an die Front. Und Putin behauptet, die Initiative im Krieg liege wieder bei den russischen Soldaten, während die Ukrainer in der Defensive seien.

Selenskyj muss allerdings nicht nur das Personalproblem lösen, sondern auch weiter um Hilfen aus dem Westen kämpfen. Die Spitzen des US-Senats hatten am Dienstag eingeräumt, dass der Kongress in diesem Jahr keine neuen Militärhilfen für die Ukraine billigen wird. Hintergrund ist Widerstand bei den Republikanern gegen weitere Hilfen für Kiew. US-Präsident Joe Biden hatte den Kongress im Oktober um neue Ukraine-Hilfen in Höhe von rund 61 Milliarden Dollar (knapp 56 Mrd. Euro) gebeten.

Verteidigungsminister Umerow zeigte sich optimistisch, dass die USA die Ukraine auch im kommenden Jahr unterstützen werden. „Beide Seiten im Kongress unterstützen ja die Sache. Und sie verstehen auch, dass die Kräfte des Bösen die Weltordnung verändern wollen.“ Er glaube nicht, „dass die USA aussteigen“, sagte der Minister. Er begründete seinen Optimismus mit den ständigen Konsultationen mit den Partnern: „Sie lassen uns alle zuversichtlich sein, dass wir an unserer Planung festhalten können.“