Menschenrechtler kommen mit dem Zählen nicht nach, seit die Hamas Israel überfallen hat und die israelische Regierung Krieg gegen die Terrororganisation führt. Denn seitdem steigt die Zahl der Festnahmen von Palästinensern – im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem. Und die israelischen Sicherheitskräfte verhängen danach immer öfter eine Administrativhaft.
Personen in Administrativhaft werden einem Militärrichter vorgeführt, erfahren aber nicht, wie die Vorwürfe lauten. Sie können bis zu sechs Monate festgehalten werden, nach einer Prüfung auch unbeschränkt. Wie lange jemand im Gefängnis bleiben muss, ist ebenso unklar wie die Anklage. Eine Berufung ist prinzipiell möglich, aber ohne Kenntnis der Vorwürfe und der Beweislage letztlich eine unüberwindbare Hürde.
„Verteidigung vor Militärgericht ist fast unmöglich“
Die Administrativhaft sollte nach internationalem Recht eine Ausnahme sein, beschrieb es Jessica Montell von HaMoked, einer israelischen Menschenrechtsorganisation, aber Israel setze „Hunderte fest, Tausende, ohne Anklage“ und nütze die Haft als Schild gegen eine Überprüfung. Palästinenser vor Militärgerichten zu verteidigen sei fast unmöglich, sagte der Jerusalemer Anwalt Maher Hanna.
In Haft sind in den meisten Fällen junge palästinensische Männer und Jugendliche im Westjordanland. Häufig, weil sie Steine oder Molotow-Cocktails auf Soldaten geworfen haben oder die Sicherheitskräfte Verbindungen zu militanten Gruppen vermuten. An den Umständen der Festnahmen und den Bedingungen in den Gefängnissen wird oft und heftig Kritik geübt.
Israel verteidigt notwendige Schutzmaßnahmen
Staat und Armee streichen hervor, dass die Häftlinge protokollgemäß behandelt würden und die Administrativhaft rechtmäßig und zur Terrorbekämpfung nötig sei. Maurice Hirsch, ein ehemaliger verantwortlicher Militärankläger im Westjordanland, wies in einem BBC-Interview sowohl auf die bestehenden Berufungsmöglichkeiten hin als auch auf die Möglichkeiten, die es zur Haftprüfung gebe.
Im Übrigen berief Hirsch sich auf die USA. Die Amerikaner würden die Administrativhaft im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba anwenden. „Wir wissen also, dass diese Maßnahme international anerkannt und akzeptiert“ sei, argumentierte Hirsch und fragte rhetorisch, warum nur Israel sie nicht anwenden dürfe. Schließlich müssen „wir mit der wahrscheinlich größten Terrorbedrohung jemals fertigwerden“.
Ausnahmezustand im Westjordanland
Aber nicht nur im Gazastreifen, wo Israel offen und mit allen Mitteln Krieg gegen die Hamas führt, kommt die Zivilbevölkerung unter die schweren Räder eines Ausnahmezustandes, sondern auch im Westjordanland mit seinen rund drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Dort regieren eigentlich die palästinensische Autonomiebehörde und die Fatah, aber im Grunde nur innerhalb der engen Grenzen, die die israelische Armee und auch die jüdischen Siedler ihnen ziehen.
Das harte israelische Regime gegenüber der palästinensischen Bevölkerung ist ein Grenzgang und „widerspricht in einer gewissen Weise unserer Absicht, nicht eine weitere Front zu eröffnen“, meinte Ami Ajalon, der frühere Direktor des Geheimdienstes Schin Bet. Je mehr Menschen getötet oder verhaftet würden, desto größer würden Hass und Widerstand. Aber auf der anderen Seite wolle Israel nicht den Preis weiterer Terroranschläge zahlen.