FFP2-Maske
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„Fehler“ in Pandemie

Regierung will für Zukunft lernen

Im Mai ist der von der Regierung initiierte Prozess zur Aufarbeitung der Pandemie angelaufen, beigezogen wurde auch die Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Am Donnerstag, sieben Monate danach, wurde nun der Schlussbericht unter dem Titel „Nach Corona: Reflexionen für zukünftige Krisen“ präsentiert. Auf 175 Seiten werden alle Maßnahmen beleuchtet – von Lockdowns über Schulschließungen bis zur letztlich nie umgesetzten Impfpflicht. Für die Regierung gehe es darum, die begangenen Fehler zu erkennen – und aus diesen für die Zukunft zu lernen.

Der „Versöhnungsprozess“ bestand im Wesentlichen aus zwei Teilen: Der erste war eine sozialwissenschaftliche Analyse der Akademie der Wissenschaften zu Themen wie Wissenschaftsskepsis und Polarisierung. Der zweite wurde als Dialog mit der Bevölkerung bezeichnet: Darin sei es um vertiefende Interviews mit Fokusgruppen aus allen Bundesländern gegangen. Der Bericht zeige „eine Vielzahl von Fehlern“ auf, so Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer Pressekonferenz.

Die Pandemie sei „eine mehr als harte Zeit gewesen“, alle gesellschaftlichen Gruppen seien gleichermaßen betroffen gewesen, sagte der Bundeskanzler. „Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler“, es gelte, aus diesen „für die Zukunft zu lernen.“ Ziel sei stets gewesen, das Virus zu bekämpfen, der Feind sei das Virus gewesen. Das zentrale Motiv sei gewesen, „so viele Menschenleben wie möglich zu retten“. Das erkläre auch die Fehler, die passiert seien, so Nehammer.

„Würden vieles anders machen“

Mit dem Bericht könne man nun genauer hinschauen, damals habe man „keine Glaskugel gehabt“. „Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen“, so Nehammer. Klar sei: Man müsse als Politiker in der Öffentlichkeit „Worte mit mehr Bedacht wählen“. Eine Spaltung dürfe nicht mehr stattfinden: Es sei plötzlich „ein wir gegen die und ein die gegen uns geworden“, es habe keine Gemeinsamkeit mehr gegeben. Doch sei eine derartige Krise nur „gemeinsam“ zu bewältigen, so Nehammer.

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP), Alexander Bogner (ÖAW), Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Katharina Reich (Dir. Öffentl. Gesundheit)
APA/Eva Manhart
Polaschek, Bogner, Nehammer und Reich (v. l. n. r.) bei der Pressekonferenz

Nehammer: „Worte bedächtiger wählen“

Für Maßnahmen brauche es mehr Transparenz, auch hier seinen Fehler passiert. Man habe den Menschen nicht erklärt, wieso man etwa eine Impfpflicht beschlossen habe – noch dazu, weil man lange gesagt habe, dass es eine solche nicht geben werde. Der Bericht liefere eine „Innensicht“, es sei mit Impfbefürwortern und -gegnern gesprochen worden. Mit dem heutigen Wissen hätte man „jedes Wort bedächtiger“ kommuniziert, um die Verhärtung der Fronten zu verhindern.

Bogner: „Politische Rhetorik der Alternativlosigkeit“

Alexander Bogner von der ÖAW sprach von einem „erstaunlichen Projekt“ und einem „großartigen“ Bekenntnis der Bundesregierung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung. Die Politik habe sich mit den Ergebnissen auseinandersetzen können. Man habe mit einem 20-köpfigen Team selbstständig und unabhängig arbeiten können. „Akute Krisen erfordern ein anderes politisches Handeln als chronische Krisen“, so Bogner. Das zu erkennen sei wichtig, „weil sonst Krisenpolitik in den falschen Kulissen spielt“.

Nehammer: „Würden vieles anders machen“

Die Regierung hat ihre Aufarbeitung der Pandemie abgeschlossen. Bei der Pressekonferenz räumte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Medienvertreterinnen und Medienvertretern Fehler ein.

Künftig sei besonders darauf zu achten, den engen Blick „rasch wieder weit zu machen“. Sonst schränke man Handlungsmöglichkeiten ein, so Bogner. Bei der Impfpflicht habe die „politische Rhetorik der Alternativlosigkeit zu einer moralischen Aufladung und Polarisierung beigetragen“, so Bogner. Man hätte Pro und Kontra viel stärker gegenseitig erörtern müssen, es habe keine öffentliche Diskussion bzw. keine „ergebnisoffene Kontroverse“ gegeben.

Reich: Spaltung auf „dramatische Art und Weise“

Statt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), der verhindert war, sprach Katharina Reich, Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit. Zwar sei die Pandemie vorbei, doch habe sie gesellschaftlich „in einer dramatischen Art und Weise“ gespalten. Nun gehe es darum, wieder das Vertrauen zu stärken und aus der Sache zu lernen. Derzeit erlebe man die größte Welle bisher, allerdings seien die Spitäler nicht überlastet. Man habe weiterhin eine Überwachung der Daten sichergestellt. Sie verwies etwa auf das Abwassermonitoring.

Mayer-Bohusch zur CoV-Aufarbeitung

Andreas Mayer-Bohusch von der ZIB-Innenpolitik analysiert den von der Regierung präsentierten Schlussbericht der CoV-Aufarbeitung unter dem Titel „Nach Corona: Reflexionen für zukünftige Krisen“.

Polaschek will gegen Wissenschaftsskepsis kämpfen

ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek sprach wie Nehammer davon, dass es darum gegangen sei, möglichst viele Menschenleben zu retten. Konkret sprach er Wissenschaftsskepsis und Schulschließungen an. Letztere hätten sich am Wissen von damals orientiert. „Heute würde man sicher einiges anders machen“, so der Minister. Aber damals sei es nicht infrage gekommen, nicht zu handeln. „Mit dem Wissen von heute hätte man sich mehr Zeit genommen, diese Maßnahmen zu erklären“, so Polaschek.

Die Wissenschaftsskepsis sei nach wie vor hoch und von Faktoren wie Bildung, Alter und politischer Haltung unabhängig, so Polaschek. Er habe eine umfassende Strategie gestartet, dieses Vertrauen wieder zu stärken, auch auf Grundlage der neuen Erkenntnisse der nun vorgestellten Studie.

Krisenresilienz soll erhöht werden

Aus der Studie schloss die Regierung nun, dass die Krisenresilienz erhöht werden müsse. So wies Nehammer auf das Bundeskrisensicherheitsgesetz hin, das bereits im Sommer beschlossen worden ist und ein Bundeskrisensicherheitskabinett vorsieht. Noch etabliert werden soll ein Konzept für Krisenkommunikation, die regelmäßig und krisenunabhängig stattfinden soll.

Um Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe zu attraktiveren, seien bereits Schritte gesetzt worden. Die Weiterentwicklung des bestehenden Dokumentations- und Informationssystems für Analysen im Gesundheitswesen zu einer vollwertigen behördlichen Datenauswerteplattform stärke die Entscheidungsfindung.

Bund, Länder und Sozialversicherungsträger, aber auch die Forschung sollen Zugang zu den Gesundheitsdaten erhalten. Die Ableitungen aus der Studie hat der Ministerrat am Donnerstag beschlossen. Auch das neue Epidemiegesetz sei in den „letzten Fertigstellungszügen“, sagte Reich.

Empfehlungen an Wissenschaft, Medien und Bevölkerung

Empfehlungen richten sich neben der Politik – die etwa ihre Entscheidungen nachvollziehbar begründen, verständlich kommunizieren und ihre Entscheidungs- und Beratungsgremien fachlich vielfältig besetzen soll – an Wissenschaft, Medien und Bevölkerung. So sollen etwa Leistungsfähigkeit und Grenzen wissenschaftlicher Forschung und Lehre kommuniziert, das Verständnis dafür schon in Schulen geschaffen werden.

Von den Medien wünscht man sich ein Schaffen von Vertrauen, positives Denken und den Dialog als Grundsatz. Außerdem sollen Transparenz und Glaubwürdigkeit gesteigert werden. Konstruktiver Journalismus soll „handlungs- und lösungsorientiert sein und nicht ausschließlich Extreme darstellen und Ängste schüren“, heißt es in einer Medieninformation. Die Bevölkerung solle schließlich offen und respektvoll miteinander umgehen und miteinander anstatt übereinander reden.

FPÖ ortet „inszenierte Weißwaschung“

Wenig angetan von der Präsentation zeigte sich naturgemäß FPÖ-Obmann Herbert Kickl, der diese als „inszenierte Weißwaschung“ sowie als Ergebnis eines „Verhöhnungsprozesses“ der Bundesregierung bezeichnete. Diese habe etwa Lockdowns, Impf- und Maskenpflicht selbst verursacht. Er forderte Aufarbeitung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung und führte den „Corona-Fonds“ in Niederösterreich, wo die FPÖ mitregiert, als Positivbeispiel an.

Die Volkshilfe wies darauf hin, dass die negativen Folgen der Pandemie für armutsbetroffene Kinder noch andauern. Eine Umfrage im Sommer hätte dramatische Ergebnisse zutage gefördert: „Wenn 56 Prozent unserer Befragten im heurigen Sommer sagten, sie hätten eine ‚bessere finanzielle Absicherung der Kinder‘ gebraucht, um besser durch die Pandemie zu kommen, dann spricht das eine sehr deutliche Sprache“, meinte Volkshilfe-Präsident Ewald Sacher, der für armutsfeste soziale Sicherheitsnetze plädierte.