Emmanuel Macron
AP/Christophe Ena
Kritik von allen Seiten

„Todeskuss“ bringt Macron in Bedrängnis

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung stecken in der Krise: Das umstrittene Einwanderungsgesetz, das mit Hilfe des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen beschlossen wurde, sorgt weiter für Kritik – von außen, aber auch aus den eigenen Reihen. Am Donnerstag forderten zahlreiche Prominente einen Rückzieher, Medien sehen einen „Todeskuss“ für Macron. Dieser rechtfertigte sich für das Gesetz, sorgte unterdessen aber mit Aussagen zu einem ganz anderen Thema für Stirnrunzeln.

Die vergangenen knapp zwei Wochen waren für die Regierung in Paris alles andere als harmonisch: Eigentlich wollte man das seit einem Jahr in Arbeit befindliche Einwanderungsgesetz verabschieden, dieses wurde aber in der Nationalversammlung, dem französischen Unterhaus, abgewiesen.

Daraufhin wurde versucht, einen gangbaren Kompromiss zu finden – mit Unterstützung der konservativen Republikaner aus der Opposition. Macron hat in der Nationalversammlung seit der Parlamentswahl im Juni 2022 keine absolute Mehrheit mehr und ist daher auf Stimmen der Opposition angewiesen.

Kompromiss mit zahlreichen Verschärfungen

Das verschärfte den Ton des Gesetzes allerdings gehörig. Reguläre Migrantinnen und Migranten sollen Sozialleistungen wie Wohnzuschüsse und Familiengeld erst später als bisher erhalten. Das Parlament soll künftig auch über jährliche Immigrationsquoten debattieren. Zudem soll die Straftat des irregulären Aufenthalts wieder eingeführt werden.

Marine Le Pen und Emmanuel Macron
APA/AFP/Ludovic Marin
Le Pen bezeichnete das Gesetz als „ideologischen Sieg“

Diese Änderungen reichten für eine Mehrheit im zweiten Anlauf – diese kam ausgerechnet mit Stimmen von Le Pens RN zustande, der eigentlich gar nicht an dem endgültigen Text mitwirkte. Le Pen feierte den Beschluss dennoch als einen „ideologischen Sieg“, der die „nationale Priorität“, also die Bevorzugung von Französinnen und Franzosen festschreibe.

Riss durch eigene Reihen

Dieser indirekte Sieg für den RN – und damit das prominenteste Gesicht der französischen Rechten, Le Pen – bezeichneten Medien bald als „Todeskuss“ für Macron. Denn während das Gesetz eine parlamentarische Mehrheit fand, bedeutete das gleichzeitig einen Riss durch Macrons eigene Reihen.

Fast ein Viertel der Abgeordneten aus Macrons Renaissance-Partei und deren Koalitionspartner stimmten gegen das Gesetz oder enthielten sich ihrer Stimme. Gesundheitsminister Aurelien Rousseau trat am folgenden Tag gar zurück. Das brachte Macron in Erklärungsnot.

Macron sieht kein Anbiedern an Le Pens Partei

Am Mittwochabend verteidigte er in einem Fernsehinterview das Gesetz – und sieht auch kein Einbrechen vor den Forderungen der Rechten. Das Gesetz ziele ganz klar darauf ab, Migranten von der irregulären Einwanderung nach Frankreich abzuhalten und damit auch eine Überlastung des Sozialsystems zu verhindern, sagte Macron am Mittwochabend im Fernsehsender France 5. Er sieht in dem Gesetz einen „Schutzschild“, den das Land „dringend braucht“, so Macron weiter. Es werde „ermöglichen, das zu bekämpfen, was den Rassemblement National stärkt“, sagte Macron im Hinblick auf das große Migrationsthema.

Er „respektiere“ die Entscheidung von jenen Abgeordneten, die gegen sein Gesetz stimmten, so Macron weiter. Eine geschrumpfte Mehrheit sehe der Präsident dadurch aber nicht. Macron gestand aber auch ein, dass er mit Teilen des Gesetzes alles andere als zufrieden sei. „Mache ich Luftsprünge? Nein. Es gibt Dinge darin, die mir nicht gefallen. (…) Die Frage für die Regierung war, ob wir es blockieren, weil wir Teile davon nicht mögen. Nein. Wenn man regiert, muss man schwierige Entscheidungen treffen. (…) Das Land hat auf dieses Gesetz gewartet“, zitierte der „Guardian“ aus dem zweistündigen Interview.

„Bröckelt“ die „Macronie“?

Viele französische Medien schreiben nun, dass Macron angeschlagen sei. Auch im französischsprachigen Ausland sind sich viele Medien einig, dass die RN-Unterstützung gleich ein „Todeskuss“ für die gesamte „Macronie“ gewesen sein könnte, wie etwa der belgische Rundfunk RTBF in einem Artikel schreibt.

Aurelien Rousseau
APA/AFP/Ludovic Marin
Gesundheitsminister Aurelien Rousseau trat am Mittwoch zurück

Auch der frühere französische Präsident Francois Hollande übte scharfe Kritik: Das Gesetz sei eine „Niederlage für die Republik“. „Wenn die Wähler – und ich war einer von ihnen –, die in gutem Glauben für Emmanuel Macron gestimmt haben, um den Rassemblement National zu blockieren (…), feststellen, dass die Vorschläge dieser Partei nun Gesetze der Republik sind, ist das eine Demütigung“, sagte er in einem Interview mit „Le Monde“.

Prominente sprechen sich gegen Gesetz aus

Am Donnerstag protestierten auch zahlreiche Prominente gegen das neue Gesetz, darunter Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, Ex-Fußballstar Eric Cantona, Politiker aus dem linken Lager wie Parteichef Olivier Faure von den Sozialisten und Jean-Luc Melenchon von den Linkspopulisten, aber auch die Bürgermeisterinnen von Paris und Lille, Anne Hidalgo und Martine Aubry.

Sie riefen Macron zum Verzicht auf das umstrittene Einwanderungsgesetz auf. „Es öffnet der nationalistischen Ideologie des Rechtsextremismus Tor und Tür und ist ein Verrat des Versprechens, das Macron seinen Wählern gegeben hat“, heißt es in dem veröffentlichten Aufruf in der Zeitung „L’Humanite“. „Wir appellieren an den Präsidenten, aufzuwachen und den Text nicht zu unterzeichnen.“

Es wird sich erst zeigen, was mit dem umstrittenen Gesetz nun passiert – Macron kündigte an, dass dieses zuerst vom Verfassungsrat überprüft werden solle. Dieser hat einen Monat Zeit, um sich zu äußern. Klar ist aber auch, dass die fehlende Mehrheit im Parlament auch künftig bedeuten könnte, dass Macron sich Le Pens Partei bei Forderungen annähert, um Vorhaben durchzusetzen.

Depardieu-Sager sorgte für Aufsehen

Dass der Druck auf Macron bald nachlässt, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Auch abseits der Regierungsarbeit sorgt er mit Aussagen für Aufsehen. So verteidigte er bei seinem Interview auch den wegen Vergewaltigungs- und Missbrauchsvorwürfen in die Kritik geratenen Schauspielstar Gerard Depardieu. „Es gibt eine Sache, bei der Sie mich nie sehen werden, und das sind Menschenjagden“, sagte Macron. „Ich verabscheue das.“ Er sei ein „großer Bewunderer“ von Depardieu, der ein „großartiger Schauspieler“ sei, sagte Macron weiter.

Auch damit wird er in den eigenen Reihen für wenig Freude gesorgt haben. Die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak hatte Depardieus Verhalten gegenüber Frauen erst vor wenigen Tagen als „Schande für Frankreich“ bezeichnet und seinen Ausschluss aus der Ehrenlegion eingeleitet. „Nein, wir sind nicht stolz auf Gerard Depardieu“, sagte auch Ex-Präsident Hollande am Donnerstag als Reaktion auf Macrons Aussagen.