Protest in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Tumulte in Belgrad

Serbien-Wahl lässt Wogen weiter hochgehen

Mehrere tausend Anhängerinnen und Anhänger der serbischen Opposition haben am Sonntagabend in der serbischen Hauptstadt Belgrad gegen mutmaßlichen Betrug bei der vor einer Woche abgehaltenen Kommunalwahl demonstriert. Es war der siebente Protest in Folge. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung zogen diesmal zum Belgrader Rathaus, in das sie gewaltsam eindringen wollten. Einsatzkräfte der Polizei setzten Tränengas ein, wie örtliche Medien berichteten.

Die Demonstranten riefen „Öffnet die Tür“ und „Diebe“, während sie das Gebäude mit Eiern und Steinen bewarfen, wie Agenturen dazu berichteten. Als einige dann versuchten, in das Gebäude einzudringen, und dabei auch Fenster am Eingang einschlugen, hätten sich die Polizeikräfte zunächst im Gebäude verbarrikadiert und von dort Tränengas eingesetzt. Später sei es ihnen dann gelungen, die Menschenmenge wieder Richtung Stadtzentrum zu drängen. Mehrere Personen seien bei den Ausschreitungen festgenommen worden.

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen und Kommunalwahlen in vielen Städten, darunter Belgrad, hatte die Serbische Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vucic Siege errungen. In der Hauptstadt fiel deren Erfolg am 17. Dezember aber knapp aus. Nach Darstellung der Opposition war auch dieser nur durch massiven Betrug zustande gekommen.

tumulte bei Protest in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Ziel der Proteste vom Sonntag war das Rathaus von Belgrad

Eine internationale Beobachtermission und Medien berichteten von zahlreichen Unregelmäßigkeiten, darunter Fälle von Gewalt, Stimmenkauf und dem Füllen von Wahlurnen mit gefälschten Stimmzetteln. Zudem sollen Autobusse Menschen aus dem serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas zur Belgrader Arena gebracht haben, wo sie Stimmen abgegeben hätten, ohne wahlberechtigt gewesen zu sein.

Vucic: „Das ist keine Revolution“

Vucic zeigt sich von Vorwürfen wie diesen nach wie vor unbeeindruckt. Am Donnerstag prangerte er angesichts der auch aus dem Ausland kommenden Vorwürfe am Wahlverlauf schließlich auch eine „Einmischung“ aus dem Ausland am serbischen Wahlprozess an.

Auch die jüngsten Unruhen seien aus Sicht von Vucic vom Ausland angezettelt worden. Bei einer Ansprache vor dem Belgrader Rathaus habe Vucic AP-Anfragen zufolge die Demonstrierenden zudem als „Schläger“ bezeichnet, denen es nicht gelingen werde, den Staat zu destabilisieren. „Dies ist keine Revolution“, zitierte die Nachrichtenagentur dazu den serbischen Präsidenten.

Staatsanwaltschaft: Polizei soll Hinweise prüfen

Am Samstag ersuchte die Staatsanwaltschaft die Polizei, Hinweisen auf mögliche Unregelmäßigkeiten nachzugehen. Anhand der von den Polizisten gesammelten Erkenntnisse solle dann festgestellt werden, ob genügend Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungen vorlägen, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft in Belgrad heute.

Die Behörde teilte zuletzt in Belgrad mit, dass ihr mehrere Verstöße gegen die Wahlordnung angezeigt worden seien, darunter die Aktivitäten in der Belgrader Arena. Die Generalstaatsanwaltschaft fügte ihrer Erklärung am Samstag ein Video bei, das zwei Frauen zeigen soll, die sich über Stimmenkauf unterhalten.

„Frappantes Ausmaß“ an Unregelmäßigkeiten

Die zuständige Wahlkommission kündigte am Mittwoch an, in 30 Wahllokalen solle der Urnengang am 30. Dezember wiederholt werden. In diesen Wahllokalen hätten keine Ergebnisse ermittelt werden können. Die oppositionelle Koalition „Serbien gegen Gewalt“ forderte im Vorfeld eine Wahlwiederholung in Belgrad.

Im ganzen Land habe es am Wahlsonntag Unregelmäßigkeiten gegeben, allerdings hätten diese in der Hauptstadt ein „frappantes Ausmaß“ angenommen, kommentierte Srdjan Milivojevic, Kandidat für die Demokratische Partei, gegenüber dem TV-Sender N1 am Mittwoch.

Protest in Belgrad
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In Belgrad kam es am Sonntag den siebenten Tag in Folge zu Protesten gegen die Wahl

Kritik an Vucic-Omnipräsenz

Für einen Schatten über der Wahl sorgte aus Sicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) indes auch die Omnipräsenz von Vucic. Obwohl er nicht zur Wahl gestanden sei, habe sich alles um ihn gedreht, sagte dazu am Tag nach der Wahl der Wahlbeobachter und ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka. Das habe zu „unfairen Verhältnissen“ geführt.

Hingewiesen wurde auch auf eine „völlige Polarisierung“ der serbischen Gesellschaft. Als „beunruhigend“ bezeichnete Wahlbeobachter und EU-Abgeordneter Andreas Schieder (SPÖ) die Berichte über Betrug – er forderte eine unabhängige Untersuchung.

Neueinsteiger als möglicher Königsmacher

Obwohl die SNS von Vucic den vorläufigen Ergebnissen zufolge auch in Belgrad stimmenstärkste Kraft wurde, fehlen ihr möglicherweise Partner, um in der Stadtversammlung den nächsten Bürgermeister zu bestimmen. Königsmacher in Belgrad könnte nun die Liste des Rechtspopulisten Branimir Nestorovic sein, die mit fünf Prozent der Stimmen überraschend auch den Einzug in das Landesparlament schaffte.

Nestorovic schloss bisher aber aus, mit einem der beiden Parteienbündnisse zu koalieren. Der Quereinsteiger schaffte seinen Überraschungserfolg mit einem minimalen Wahlkampfbudget von umgerechnet rund 12.000 Euro vor allem über Präsenz in sozialen Netzwerken.

„Serbien ist sicher keine Demokratie mehr“

„Serbien ist sicher keine Demokratie mehr. Das haben die Wahlen gezeigt, die nicht frei und fair waren“, sagte der Südosteuropa-Experte Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) im ORF-III-Interview. Es habe keine freie und faire Wahlauseinandersetzung gegeben: „Da kann die Opposition nicht punkten.“

Mit der Wahl habe der serbische Präsident zudem Zeit gewonnen – in der Auseinandersetzung mit der EU und deren Drängen auf die Klärung der Kosovo-Frage, so Dzihic. Von seinem bisherigen Kurs werde Vucic wohl nicht abweichen: keine Anerkennung des Kosovo, Balance zwischen dem Westen auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite. Gerade in der Kosovo-Frage erwartete Dzihic im ORF-Interview eine Pattsituation und mögliche neue Spannungen. Die EU habe nicht die Möglichkeit, auf beide Seiten einzuwirken.