Demonstrant vor Polizei in Belgrad
Reuters/Marko Djurica
Wahlproteste

Festnahmen nach Tumulten in Belgrad

In Serbien ist es am Wochenende zu wiederholten heftigen Protesten nach der Parlamentswahl vor acht Tagen gekommen. Demonstrantinnen und Demonstranten forderten eine Annullierung des Ergebnisses, in der Hauptstadt Belgrad versuchte eine Gruppe von Personen, das Rathaus zu stürmen. Fenster gingen zu Bruch, die Polizei setzte Tränengas ein, es gab zahlreiche Festnahmen. Russland meldete sich mit Vorwürfen Richtung Westen zu Wort.

Eine Woche nach der Parlamentswahl in Serbien war es am Sonntag zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Tausende Menschen gingen in Belgrad auf die Straße. Die Menge versuchte, in das Rathaus einzudringen, einige Demonstranten kletterten auf das Gebäude, warfen Steine und schlugen Fenster ein. Gegen 22.00 Uhr drängte die Polizei die Demonstranten schließlich unter Einsatz von Tränengas vom Rathaus ab.

Eine internationale Wahlbeobachtungsmission erklärte, die Regierungspartei Serbische Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vucic habe sich durch Medienbeeinflussung und Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe wie Stimmenkauf einen unfairen Vorteil verschafft.

Außerdem sollen Autobusse Menschen aus dem serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas zur Belgrader Arena gebracht haben, wo sie Stimmen abgegeben hätten, ohne wahlberechtigt gewesen zu sein. Vucic erklärte, die Wahlen seien fair verlaufen. „Vucic ist ein Dieb“, skandierten die Demonstranten und „Öffnet die Tür!“

Festnahmen nach Tumulten in Belgrad

In Serbien ist es am Wochenende zu wiederholten heftigen Protesten nach der Parlamentswahl vor acht Tagen gekommen. Demonstrantinnen und Demonstranten forderten eine Annullierung des Ergebnisses, in der Hauptstadt Belgrad versuchte eine Gruppe von Personen, das Rathaus zu stürmen.

Festnahmen und Hungerstreik

Nach den Zusammenstößen zwischen oppositionellen Demonstranten und der Polizei wurden mehr als 35 Personen festgenommen, teilte Vucic mit. Bei den Protesten fordern Anhänger der prowestlichen Koalition Serbien gegen Gewalt eine Annullierung und Wiederholung der vorgezogenen Parlamentswahl sowie der Wahlen für das Belgrader Stadtparlament. Zuvor müssten aber gleichberechtigte Wahlbedingungen für alle Stimmberechtigten geschaffen und die Wählerverzeichnisse bereinigt werden, hieß es. Die Proteste sollen in Belgrad fortgesetzt werden.

tumulte bei Protest in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Ziel der Proteste vom Sonntag war das Rathaus von Belgrad, Fenster wurden eingeschlagen

Im Gebäude der staatlichen Wahlkommission befinden sich außerdem sieben führende Mitglieder des Bündnisses im Hungerstreik. Die seit einer Woche streikende Marinika Tepic sei aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands seit Freitag auf tägliche Infusionen angewiesen, teilte das Bündnis mit. Auch am Montagabend demonstrierten mehrere tausend Anhänger der Opposition in Belgrad. Es war der achte Protest in Folge.

Russland zieht Parallelen zu Protesten in Kiew 2014

Die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabic bedankte sich unterdessen bei russischen Nachrichtendiensten. Diese hätten ihre serbischen Kollegen informiert, dass ein Teil der serbischen Opposition die Wahlresultate infrage stellen und versuchen würde, gewaltsam an die Macht zu kommen. Das sei in einen „Sturm auf das Rathaus“ am Sonntagabend gemündet, sagte Brnabic gegenüber dem TV-Sender Pink.

Tumulte vor Rathaus in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Handgreiflichkeiten bei Protesten vor der Tür des Rathauses

Russland warf dem Westen vor, die Spannung in dem Moskau freundlich gesinnten Balkan-Land zu schüren. „Die Versuche des kollektiven Westens, die Lage in dem Land zu destabilisieren, sind offensichtlich“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Die Proteste in Serbien verglich sie mit denen auf dem Maidan in Kiew, die Anfang 2014 zum Sturz des damaligen Kreml-treuen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten.

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 17. Dezember hatte die SNS nach vorläufigen Ergebnissen 46,72 Prozent der Stimmen erhalten, gefolgt vom Mitte-links-Oppositionsbündnis Serbien gegen Gewalt mit 23,56 Prozent.

Vucic: „Das ist keine Revolution“

Vucic zeigt sich von Vorwürfen der Wahlfälschung nach wie vor demonstrativ unbeeindruckt. Am Donnerstag hatte er angesichts der auch aus dem Ausland kommenden Vorwürfe am Wahlverlauf schließlich auch eine „Einmischung“ aus dem Ausland am serbischen Wahlprozess angeprangert.

Auch die jüngsten Unruhen wurden aus Sicht Vucics vom Ausland angezettelt. Bei einer Ansprache vor dem Belgrader Rathaus habe Vucic Demonstranten als „Schläger“ bezeichnet, hieß es, denen es nicht gelingen werde, den Staat zu destabilisieren. „Das ist keine Revolution“, zitierte die Nachrichtenagentur AP dazu den serbischen Präsidenten.

Staatsanwaltschaft ordnet Prüfung an

Am Samstag ersuchte die Staatsanwaltschaft die Polizei, Hinweisen auf mögliche Unregelmäßigkeiten nachzugehen. Anhand der Erkenntnisse solle dann festgestellt werden, ob genügend Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungen vorlägen, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Die Behörde teilte zuletzt mit, dass ihr mehrere Verstöße gegen die Wahlordnung angezeigt worden seien, darunter die Aktivitäten in der Belgrader Arena. Die Generalstaatsanwaltschaft fügte ihrer Erklärung am Samstag ein Video bei, das zwei Frauen zeigen soll, die sich über Stimmenkauf unterhalten.

Protest in Belgrad
AP/Darko Vojinovic
In Belgrad kam es am Sonntag den siebenten Tag in Folge zu Protesten gegen die Wahl

Die zuständige Wahlkommission kündigte am Mittwoch an, in 30 Wahllokalen solle der Urnengang am 30. Dezember wiederholt werden. In diesen Wahllokalen hätten keine Ergebnisse ermittelt werden können.

„Völlige Polarisierung“

Für einen Schatten über der Wahl sorgte aus Sicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) indes auch die Omnipräsenz von Vucic. Obwohl er nicht zur Wahl gestanden sei, habe sich alles um ihn gedreht, sagte dazu am Tag nach der Wahl der Wahlbeobachter und ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka. Das habe zu „unfairen Verhältnissen“ geführt.

Hingewiesen wurde auch auf eine „völlige Polarisierung“ der serbischen Gesellschaft. Als „beunruhigend“ bezeichnete Wahlbeobachter und EU-Abgeordneter Andreas Schieder (SPÖ) die Berichte über Betrug – er forderte eine unabhängige Untersuchung.

„Serbien sicher keine Demokratie mehr“

„Serbien ist sicher keine Demokratie mehr. Das haben die Wahlen gezeigt, die nicht frei und fair waren“, sagte der Südosteuropa-Experte Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) im ORF-III-Interview. Es habe keine freie und faire Wahlauseinandersetzung gegeben: „Da kann die Opposition nicht punkten.“

Mit der Wahl habe der serbische Präsident zudem Zeit gewonnen – in der Auseinandersetzung mit der EU und deren Drängen auf die Klärung der Kosovo-Frage, so Dzihic. Von seinem bisherigen Kurs werde Vucic wohl nicht abweichen: keine Anerkennung des Kosovo, Balance zwischen dem Westen auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite.