Kinder vor beschädigtem Gebäude in Rafah, Gaza
APA/AFP/Said Khatib
„Menschliches Schachbrett“

Lage für Zivilisten in Gaza verheerend

Die israelische Armee setzt ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen unvermindert fort. Es seien unter anderem Tunnelschächte der islamistischen Hamas und Militäranlagen attackiert worden, teilte die Armee Dienstagfrüh mit. Schwer betroffen ist jedoch auch die Zivilbevölkerung, die nach Angaben der UNO keine sicheren Fluchtziele mehr hat.

„Es gibt keinen sicheren Ort im Gazastreifen“, sagte Gemma Connell, Leiterin des UNO-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gegenüber der BBC über die Situation der Zivilbevölkerung. Viele Palästinenser seien den Evakuierungsbefehlen der israelischen Armee gefolgt und hätten sich in den ausgewiesenen Gebieten in Sicherheit gebracht, um dann festzustellen, dass es in dem dicht besiedelten Gebiet nur noch wenig Platz gebe.

Es sei ein „menschliches Schachbrett“, auf dem Tausende von Menschen, die bereits mehrfach vertrieben worden seien, erneut auf der Flucht seien, ohne dass es eine Garantie gebe, dass ihr Ziel sicher sei. „Was ich im Al-Aksa-Krankenhaus in Deir al-Balah gesehen habe, war ein absolutes Blutbad“, so Connell. Es gebe viele Verletzte mit „extrem schweren Wunden, die aber nicht behandelt werden können, weil so viele Menschen vor ihnen in der Schlange für eine Operation stehen und das Krankenhaus völlig überlastet ist“.

Menschen durchsuchen beschädigtes Gebäude in Rafah, Gaza
APA/AFP/Said Khatib
Viele Menschen im Gazastreifen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz

Israel: Hamas hindert Zivilisten an Flucht

Die israelische Armee habe versucht, Zivilisten aus den umkämpften Gebieten zu bringen, aber die Hamas versuche das systematisch zu verhindern, erklärte ein israelischer Militärsprecher dazu. In der Nacht sei eine Terrorzelle in Dschabalja ausgeschaltet worden, die versucht habe, Sprengstoff nahe einem israelischen Panzer zu platzieren. Die Truppen hätten die Terroristen bekämpft. Ein Kampfflugzeug habe sie dann getötet. Die Angaben des Militärs konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Auch in der südlichen Stadt Chan Junis seien am Vortag Hamas-Terroristen getötet worden, teilte die Armee weiter mit. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte an dem Tag nach einem Truppenbesuch in dem abgeriegelten Küstenstreifen gesagt, Israel werde „den Kampf in den kommenden Tagen vertiefen“. Netanjahu sprach von einem langen Kampf, dessen Ende nicht kurz bevorstehe. Nur durch militärischen Druck könnten die von der Hamas in den Gazastreifen entführten Menschen befreit werden.

Geiselangehörige fordern Feuerpause

Angehörige der Geiseln riefen unterdessen von der Tribüne aus im Chor immer wieder „Jetzt, jetzt, jetzt“, um ihrer Forderung nach sofortigen Maßnahmen für die Befreiung der noch mehr als 100 festgehaltenen Geiseln Nachdruck zu verleihen. Sie hielten Transparente, auf denen unter anderem „80 Tage Hölle“ stand, wie in Videos zu sehen war und die Zeitungen Times of Israel und „Haaretz“ berichteten. Viele fordern eine zweite Feuerpause für einen Austausch der Verschleppten gegen in Israel inhaftierte Palästinenser.

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert seit mittlerweile 80 Tagen an. Auslöser war ein großangelegter Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem rund 1.140 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden waren.

Hamas will „erbitterten, brutalen“ Kampf weiterführen

Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahja Sinwar, schrieb nach Angaben der Organisation vom Montag in einem Brief an den Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, Ismail Hanija, sowie andere Mitglieder des Gremiums: „Die Kassam-Brigaden (der bewaffnete Arm der Hamas, Anm.) führen einen erbitterten, brutalen und beispiellosen Kampf gegen die israelischen Besatzungstruppen.“ Auch der Islamische Dschihad teilte nach Angaben des Nachrichtensenders al-Jazeera am Montag mit, man werde als Reaktion auf das Blutvergießen im Gazastreifen weiterkämpfen.

Sinwar reagierte damit möglicherweise auf Berichte über einen ägyptischen Vorschlag, den Gaza-Krieg zu beenden. Hanija war zuletzt mit einer Delegation zu Gesprächen in Ägypten gewesen. Er gilt als Auslandschef der Hamas und lebt in Katar.

Vorschlag für Feuerpause aus Ägypten auf dem Tapet

Israelische Beamte hatten am Montag laut Times of Israel zuvor bestätigt, dass Ägypten einen neuen Vorschlag für eine Feuerpause und die Freilassung weiterer israelischer Geiseln im Gazastreifen unterbreitet habe. Der saudische TV-Kanal Aschark News hatte unter Berufung auf informierte Quellen berichtet, Ägyptens Vorschlag sehe eine Beendigung des Krieges in mehreren Stufen vor. In der ersten Phase würde es darum gehen, eine mindestens zwei Wochen andauernde Feuerpause mit Geiselfreilassungen durchzusetzen. Danach würde es um einen palästinensischen Dialog unter der Schirmherrschaft Ägyptens gehen.

El-Gawhary (ORF) über den Friedensplan

Laut Medienberichten will Israel über einen von Ägypten vorgelegten Plan zum Ende des Krieges im Nahen Osten beraten. Laut ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary handelt es sich aber eher um eine Gesprächsbasis als einen ausgereiften Plan.

Eine dritte Phase sehe dann einen vollständigen Waffenstillstand und ein umfassendes Abkommen zum Austausch von Geiseln und Gefangenen vor. In einem letzten Schritt würde Israel seine Armee abziehen, während alle Vertriebenen zu ihren Wohnorten zurückkehren könnten.