Palästinenser flüchten mit diversen Fahrzeugen aus dem Gazastreifen in Khan Younis
AP/Mohammed Dahman
Offensive Israels

Wieder Massenflucht im Gazastreifen

Eine israelische Großoffensive hat eine neue Massenflucht unter bereits zuvor vertriebenen Bewohnern des Gazastreifens ausgelöst. Zehntausende traten die Flucht an, die UNO spricht von mehr als 150.000 Menschen. Unterdessen versuchen noch immer viele Ausländerinnen und Ausländer, den Küstenstreifen zu verlassen.

Eine aktuelle Großoffensive der israelischen Armee löste am Donnerstag eine Massenflucht aus den Bezirken Nuseirat, Bureidsch und Maghasi im Zentrum des dicht besiedelten Palästinenser-Gebiets aus. „Kleine Kinder, Frauen mit Babys auf dem Arm, Menschen mit Behinderungen und ältere Leute wissen nicht, wohin sie gehen sollen“, so das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) in sozialen Netzwerken.

Viele Menschen, die zuvor aus dem Norden ins Zentrum des Gazastreifens geflohen waren, versuchten, sich in der bereits völlig überfüllten Stadt Deir al-Balah in Sicherheit zu bringen. UNRWA bezeichnete die Evakuierungsanordnungen Israels als „gewaltsame Vertreibung“. Die israelische Armee hatte angesichts vorrückender Panzer erneut und wiederholt zum Verlassen der Kampfgebiete aufgerufen.

Infolge der Kämpfe sind laut UNRWA 40 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen von einer Hungerkatastrophe bedroht. „Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben, um das Finden von Nahrung und Wasser“, so der Gaza-Direktor von UNRWA, Thomas White, auf X. Es gehe darum, mehr Hilfsgüter zu den Menschen zu bringen, so White. „Die einzige verbleibende Hoffnung ist ein humanitärer Waffenstillstand.“

Auch Hunderte Ausländer verlassen Gebiet

Auch die Ausreisen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Palästinenserinnen und Palästinensern mit doppelter Staatsbürgerschaft aus dem Gazastreifen gehen weiter. Am Donnerstag sollten Hunderte aus dem abgeriegelten Küstenstreifen nach Ägypten ausreisen, wie aus einer Liste der palästinensischen Grenzbehörde am Grenzübergang Rafah hervorging.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs Israels gegen die militante Palästinenser-Organisation Hamas reisten bereits Hunderte Ausländerinnen und Ausländer sowie Personen mit mehreren Pässen über Rafah nach Ägypten aus. Viele von ihnen werden an der Grenze von Vertretern ihrer jeweiligen Botschaften empfangen, die dann die Weiterreise über den Flughafen Kairo organisieren.

Nach Angaben des ägyptischen Außenministeriums vom November hielten sich zeitweise etwa 7.000 Menschen aus 60 Ländern im Gazastreifen auf, die ausreisen wollten. Wie viele Ausländer und Palästinenser mit Zweitpass sich derzeit noch in Gaza aufhalten, ist unklar.

Bemühen um Österreicher

Im Gazastreifen befindet sich auch nach wie vor der österreichisch-israelische Doppelstaatsbürger Tal Shoham. Er wird allerdings wohl von der Hamas als Geisel festgehalten. Shohams Frau und Kinder kamen durch eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas über Geiselfreilassungen im Gegenzug für eine Feuerpause und die Freilassung palästinensischer Gefangener frei.

Wie die „Kleine Zeitung“ berichtete, bemüht sich der außenpolitische Sonderberater von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Peter Launsky-Tieffenthal, um die Befreiung des 38-jährigen Shoham.

Der Diplomat Launsky-Tieffenthal, früher UNO-Untergeneralsekretär und später Sprecher der türkis-blauen Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Außenamtsgeneralsekretär, trat heuer im Herbst in den Ruhestand, wurde aber bald Nehammers Sonderberater und habe mittlerweile wieder ein Büro im Bundeskanzleramt, schrieb die Zeitung. Vorige Woche habe Launsky-Tieffenthal Gespräche in Israel, Ägypten und Katar rund um Shoham geführt. Diese gestalteten sich schwierig.

Heftige Kämpfe im Zentrum und in Chan Junis

Am Mittwoch mahnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einem Telefonat mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu erneut eine „dauerhafte Feuerpause“ ein. Macron habe gegenüber Netanjahu seine tiefe Besorgnis „über die sehr hohen Opferzahlen“ und die große humanitäre Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht.

Ungeachtet der zahlreichen internationalen Aufforderungen zur Mäßigung hat Israel den Einsatz seiner Bodentruppen kurz vor Weihnachten aber verstärkt, der Fokus liegt derzeit auf dem Zentrum des Gazastreifens. Am Donnerstag wurden besonders heftige Gefechte aus Bureidsch gemeldet. Anrainer und militante Kämpfer erklärten, israelische Panzer würden von Norden und dem Osten in den Ort vordringen.

Weitere Eskalation in Nahost befürchtet

Israel soll Soldaten an der Grenze zum Libanon in Alarmbereitschaft gesetzt haben. Grund dafür sind zunehmende Luftangriffe auf Israel durch die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon.

Palästinensischen Angaben zufolge wurden 50 Palästinenser bei israelischen Angriffen im Gazastreifen getötet. Neben dem Zentrum war auch erneut Chan Junis im Süden Schauplatz heftiger Kämpfe. Auch in diese Stadt hatten sich zuvor viele Menschen aus dem Norden geflüchtet. Der Rote Halbmond schrieb auf X (Twitter), es seien bei einem Angriff in der Nähe des Al-Amal-Krankenhauses in Chan Junis am Donnerstag zehn Menschen getötet und zwölf weitere verletzt worden.

Bereits am Mittwoch hatte es nach Angaben der Sanitäter und des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums beim Bombardement eines Wohngebäudes in dem Gebiet mehr als 20 Tote gegeben. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Ein israelischer Armeesprecher sagte am Donnerstag, man gehe den neuen Berichten nach. Israel vermutet, dass sich in Chan Younis die Führungsspitze der Hamas versteckt hält.

UNO-Soldat im Libanon verletzt

Seit Ausbruch des neuen Konflikts kommt es auch immer wieder zu gewaltsamen Gefechten an der Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon. Dort ist die von Israels Erzfeind Iran unterstützte Hisbollah-Miliz aktiv. Bei einem israelischen Angriff in der Nacht auf Mittwoch im Grenzort Bint Dschbail waren libanesischen Angaben zufolge drei Personen getötet worden. Der australische Außenminister Mark Dreyfus betätigte am Donnerstag auf X, dass darunter zwei Australier waren.

In der Nacht auf Donnerstag wurde im Libanon ein Soldat der UNO-Beobachtermission UNIFIL an der Grenze zu Israel von Unbekannten verletzt. UNIFIL verurteilte jegliche Angriffe auf UNO-Soldatinnen und -Soldaten und forderte die libanesischen Behörden auf, „eine umfassende und schnelle Untersuchung einzuleiten und alle Täter vor Gericht zu stellen“.

An der Grenze gab es am Donnerstag erneut gegenseitigen Beschuss. Israels Armee meldete zahlreiche Raketenstarts aus dem Nachbarland auf israelische Orte. Das israelische Militär ist im Norden nach eigenen Angaben in hoher Bereitschaft.

Ägypten: Keine Antwort auf Friedenspläne

Weder Israel noch die Hamas antworteten bisher auf den von Ägypten eingebrachten Entwurf zur Lösung des Konflikts. Der ägyptische Staatssicherheitsdienst (SIS) teilte am Donnerstag mit, dass keine der betroffenen Parteien bisher reagiert habe.

Ägypten hatte einen Entwurf zur Beendigung des Gaza-Krieges in mehreren Stufen erarbeitet. Laut SIS umfasst er drei aufeinanderfolgende und miteinander verbundene Phasen. Endgültiges Ziel sei ein Waffenstillstand. Nach einer Antwort der betroffenen Parteien werde er im Detail ausgearbeitet, hieß es.