Überschwemmter Bauernhof bei Timmersloh, Niedersachsen
APA/dpa/Sina Schuldt
Dauerregen in Deutschland

Kritische Lage in Hochwassergebieten

Das Hochwasser vor allem im Nordwesten Deutschlands nimmt kein Ende. Zumindest bis Donnerstag sagt der Deutsche Wetterdienst (DWD) Dauerregen mit gebietsweise großen Regenmengen voraus. Danach soll aber bereits das nächste Tief Deutschland erreichen. Schon jetzt sind viele Orte und Regionen überschwemmt, die Böden können kein zusätzliches Wasser aufnehmen, Deiche stehen unter Druck. In Niedersachsen geht die Reserve von 1,9 Millionen Sandsäcken zur Neige.

Andere deutsche Bundesländer mussten dem Bundesland mit 1,5 Millionen zusätzlichen Sandsäcken aushelfen. Diese werden etwa zur Stärkung von Deichen eingesetzt. In Niedersachsen herrscht diese Hochwasserlage bereits seit den Tagen vor Weihnachten. Nach einer kurzen Regenpause über den Jahreswechsel gibt es seit Dienstag auch in anderen Gebieten Deutschlands wieder starken Niederschlag.

Besonders betroffen sind neben Niedersachsen Teile von Nordrhein-Westfalen, das südliche Sachsen-Anhalt und der Norden Thüringens. Laut Angaben des DWD auf X (Twitter) von Mittwochvormittag fielen in den vergangenen 48 Stunden in manchen Regionen über 80 Liter pro Quadratmeter. Vielerorts herrscht bei den Pegelständen der Flüsse Meldestufe drei. Das bedeutet die Gefahr größerer Überschwemmungen. Angesichts der anhaltenden Regenfälle wird ein weiterer Anstieg der Pegelstände erwartet.

Sandsäcke auf überschwemmter Straße in Verden, Deutschland
Reuters/Fabian Bimmer
In vielen Orten versuchen die Menschen mit Sandsäcken ihre Häuser zu schützen

Neues Tief für Nacht auf Freitag erwartet

Der DWD kündigte noch für Mittwoch neue Warnungen vor Dauerregen an. Bestehende Warnungen sollen demnach bis Samstag verlängert werden – vor allem im Westen und Zentrum Deutschlands. Für Donnerstag wird prognostiziert, dass ein weiteres Tief von der Bretagne Richtung Norddeutschland zieht. „Es greift in der Nacht zum Freitag mit seinem Niederschlagsgebiet auf den Westen und Nordwesten Deutschlands über und erfasst im Laufe des Freitags die Nordhälfte“, so der DWD.

Für Mittwoch und Donnerstag erwartete der DWD Regenmengen zwischen 30 und 50 Litern pro Quadratmeter. Im Bergland – vor allem in Staulagen – könnten es auch 60 bis 120 Liter pro Quadratmeter innerhalb von 30 bis 60 Stunden sein.

Aktuelle Pegelstände deutscher Gewässer (Stand 3.1.2024)

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) will nach seinem Besuch des Hochwassergebiets in Niedersachsen auch das Gebiet in Sachsen-Anhalt besuchen.

Hilfe aus Frankreich

„Wir haben noch ein paar harte Tage vor uns, um gegen dieses Hochwasser zu kämpfen“, sagte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Mittwoch gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Besonders kritisch sei die Situation im Nordwesten zwischen Weser und Ems.

„Dort steigen die Pegel leider wieder“, sagte Behrens. Niedersachsen erhielt neben den Sandsäcken auch andere Unterstützungsangebote, etwa Helfer und Helferinnen des Katastrophenschutzes aus Brandenburg. Aus Frankreich kommt ein 1,2 Kilometer langer Notdeich.

Kampf gegen Hochwasser im Norden Deutschlands

Die Lage in den Überschwemmungsgebieten bleibt angespannt. Besonders kritisch ist die Situation im Norden des Landes. In Oldenburg bedroht das Hochwasser Teile der Stadt. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor weiterem Starkregen in den nächsten Tagen.

Deiche durchnässt

Die Deiche seien bereits seit vielen Tagen im Wasser und sehr durchnässt, sagte Behrens. Auch die Wiesen seien „weit überschwemmt“, und es gebe nach wie vor einige Städte, die von Hochwasser bedroht seien. In Oldenburg wurde ein mobiler Deich aufgebaut. Gebäuden mit mehreren hundert Menschen droht eine Evakuierung. Der mobile Deich soll als Sicherung dienen, sollte der Huntedeich den Wassermassen nicht mehr standhalten.

Mobiler Damm in Oldenburg, Deutschland
APA/dpa/Hauke-Christian Dittrich
Ein mobiler Deich in Oldenburg wurde zur Sicherung gebaut, sollte der Huntedeich brechen

Einsatzkräfte arbeiten seit Tagen daran, viele Orte und Städte gegen Überschwemmungen zu sichern und zusätzliche Schutzbarrieren zu errichten. Im Hochwassergebiet an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt und Thüringen wird die Schulpflicht in einigen Orten ausgesetzt. Eine Notbetreuung soll es aber geben. In der Nacht auf Mittwoch trat in Thüringen die Leina im gleichnamigen Ort über die Ufer.

In der Gemeinde Lilienthal bei Bremen können knapp hundert Menschen aufgrund des Hochwassers seit dem 28. Dezember nicht in ihre Häuser und Wohnungen. Zum Schutz von Häusern wurde zudem möglichst nah am Deich eine Barriere mit extragroßen Sandsäcken errichtet. Ein solcher Sack wiege bis zu 1,3 Tonnen, sagte eine Sprecherin der Gemeinde.

Pflanzen bis zu 60 Zentimeter unter Wasser

Auswirkungen auf die Landwirtschaft lassen sich noch nicht vorhersagen, hieß es etwa vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es hänge auch davon ab, wie viele Tage die Pflanzen noch vollständig unter Wasser stehen. Denn durch das Wasser können sie weniger Sauerstoff und Nährstoffe aufnehmen.

Derzeit stünden Pflanzen bis zu 60 Zentimeter unter Wasser, sagte Andreas Marx vom Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Aufgrund der nun gefüllten Wasserspeicher bestehe dafür heuer eine geringe Dürregefahr.

Bessere Krisenvorbereitung gefordert

Der Hydrologe Ralf Merz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung forderte am Mittwoch im Deutschlandfunk ein Umdenken beim Schutz vor Überschwemmungen. Er erwartet aufgrund des Klimawandels häufiger solche langen Hochwasserereignisse. Es müsse darüber nachgedacht werden, ob der aktuelle Hochwasserschutz noch funktioniere. Es gebe beispielsweise viel weniger Flussauen als natürliche Überschwemmungsgebiete.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) forderte eine bessere Vorbereitung auf solche Krisen. Die Defizite insbesondere bei der materiellen Ausstattung seien eklatant, kritisierte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Nach der Hochwasserkatastrophe im deutschen Ahrtal 2021 sei das Bewusstsein der politisch Verantwortlichen für den Bevölkerungsschutz gestiegen. „Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig.“