Sayyed Hassan Nasrallah spricht per Video zu Anhängern
AP/Hassan Ammar
Tod von Hamas-Führer

Hisbollah sieht „gefährliches Verbrechen“

Die Tötung eines Anführers der islamistischen Hamas im Libanon hat zu einer weiteren gefährlichen Eskalation des Konflikts mit Israel geführt. Während Israels Militär Berichte über eine gezielte Tötung von Saleh al-Aruri nicht kommentieren wollte, kündigte der Chef der Hisbollah-Miliz, Hassan Nasrallah, am Mittwochabend im Libanon Vergeltung an: Die Tötung sei „ein großes, gefährliches Verbrechen, zu dem wir nicht schweigen können“.

Nasrallah sprach von einem „eklatanten israelischen Angriff“. Ein „Krieg mit uns wird sehr kostspielig sein“, jeder, der Krieg gegen den Libanon führe, werde es „bereuen“, da die Hisbollah „bis zum Ende kämpfen“ werde, sagte er. Wenn Israel gegen den Libanon Krieg führe, „wird es keine Obergrenzen für den Kampf der Hisbollah geben“. „Was seit dem 7. Oktober geschehen ist und was in Zukunft geschehen wird, hat Israel geschwächt“, sagte er.

Nasrallah warf Israel vor, bei seinen Angriffen auf den Gazastreifen „das eigentliche Ziel“ zu verfolgen, alle Palästinenser aus dem Gebiet zu vertreiben. Nasrallah verwies auf die „Menschen, die gezwungen sind, ihre Häuser im Gazastreifen, im Westjordanland und teilweise im Südlibanon zu verlassen“. „Wir haben die großen Gefahren gesehen (…) aber gleichzeitig haben wir auch den Widerstand und den Trotz gesehen (…) die Weigerung, den Gazastreifen aufzugeben“, sagte er.

„Größter Völkermord dieses Jahrhunderts“

Nasrallah beschuldigte Israel, „die Menschen auszuhungern und den größten Völkermord dieses Jahrhunderts“ gegen die Palästinenser in Gaza zu führen. Er sagte auch, dass „es die Amerikaner sind, die das Ende des Krieges in Gaza verhindern“, indem sie Israel bei seinen Vergeltungsmaßnahmen nach den Hamas-Angriffen mit voller Kraft unterstützen würden.

Ein US-Verteidigungsbeamter, der anonym bleiben wollte, erklärte Mittwochabend gegenüber AFP, Aruri sei einem Angriff Israels zum Opfer gefallen. Israel äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Armeesprecher Daniel Hagari betonte, Israel bleibe „konzentriert auf den Kampf gegen die Hamas“, sei aber zugleich „in hohem Maße auf jedes Szenario“ vorbereitet.

Anschlagsort in Beirut
APA/AFP
Aruri kam am Dienstag ums Leben, er soll schon länger Zielperson gewesen sein

Aruri war als Vizeleiter des Politbüros der Hamas der zweithöchste Anführer der islamistischen Palästinenserorganisation im Ausland. Er war am Dienstagabend bei einer Explosion ums Leben gekommen. Nasrallahas Ansprache war schon vorher geplant. Nasrallah kündigte an, sich am Freitag erneut an die Öffentlichkeit zu wenden. „Bestimmte aktuelle Themen werde ich am Freitag statt heute Abend besprechen“, sagte er.

Geschwächte Regierung

Die Regierung im Libanon steht einem Medienbericht zufolge mit der Hisbollah im Kontakt, um sie von einer möglichen Gegenreaktion abzuhalten. Der geschäftsführende Außenminister, Abdallah Bou Habib, sagte dem britischen Radiosender BBC Radio 4 am Dienstagabend, dass seine Regierung mit der Hisbollah spreche, um „sie davon zu überzeugen, dass sie nicht selbst reagieren sollte“.

Doch die Regierung im Libanon ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Zurzeit wird das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geleitet. Seit über einem Jahr scheitert die Wahl eines Präsidenten immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite.

El-Gawhary (ORF) über die weitere Eskalation in Nahost

Nach dem Tod eines Anführers der islamistischen Hamas im Libanon wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary analysiert, wie groß die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen dem Iran und Israel ist.

Neue Gefechte an Grenze

Noch Dienstagabend unternahm die Hamas nach eigenen Angaben einen ersten Angriff auf eine Gruppe israelischer Soldaten nahe der Grenze. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben. Am Mittwoch gab es wieder Beschuss an der israelisch-libanesischen Grenze. Israels Armee registrierte eigenen Angaben zufolge mehrere Raketenstarts aus dem Nachbarland, die israelischen Zielen gegolten hätten. Das Militär habe als Reaktion die Orte des Beschusses angegriffen.

Soldaten hätten zudem Terroristen im Libanon sowie „die terroristische Infrastruktur der Hisbollah“ dort attackiert. Die Schiitenmiliz teilte mit, mindestens fünf Ziele in Israel angegriffen zu haben. Die Hisbollah meldete auch zwei weitere getötete Mitglieder. Sie teilte aber nicht mit, wann und wo genau diese ums Leben gekommen sind.

Israel will keine Verantwortung übernehmen

„Wer auch immer das getan hat, es muss klar sein, dass das keine Attacke auf den libanesischen Staat war. Es war nicht einmal eine Attacke auf die Hisbollah“, sagte der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Mark Regev, dem US-Fernsehsender MSNBC im offensichtlichen Bemühen um eine Entschärfung der explosiven Lage. Der Angriff habe offenbar allein der Hamas gegolten. Hamas-Chef Ismail Hanija reagierte daraufhin, der Mord an Aruri sei ein terroristischer Akt und eine Verletzung der Souveränität des Libanon.

Fortschritte, um einen „Geiseldeal“ zu erreichen, seien nun nicht mehr möglich, meldete unterdessen die israelische Zeitung „Haaretz“ unter Berufung auf arabische Diplomatenkreise. Die Gespräche konzentrierten sich jetzt darauf, eine Eskalation zwischen Israel und dem Libanon zu verhindern, schrieb die israelische Zeitung am Dienstagabend. Das „Attentat“ habe die Situation verändert.

Bericht: Mossad-Chef weist auf Beteiligung Israels hin

Doch Mossad-Chef David Barnea wies einem Bericht zufolge auf eine Beteiligung Israels hin. Jede arabische Mutter werde wissen, dass, wenn ihr Sohn an dem Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen sei, sein Blut an seinem eigenen Kopf sein werde, zitierten israelische Zeitungen Barneas Worte auf der Beerdigung des früheren Mossad-Chefs Zvi Zamir am Mittwoch. Die „Jerusalem Post“ sah darin einen „deutlichen Hinweis“ auf eine israelische Beteiligung an einer gezielten Tötung Aruris. Barnea erwähnte ihn aber nicht namentlich.