Der Deutsche Bauernverband (DBV) distanzierte sich am Freitag von der Blockadeaktion von rund 100 Traktorfahrern gegen den deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck. „Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern“, teilte der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, zuletzt mit.
„Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein“, schrieb auch der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in der Früh. „Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen“, kritisierte der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich gegenüber der „Bild“-Zeitung (Samstag-Ausgabe) „schockiert“. „Das dürfen wir nicht hinnehmen“, so Steinmeier.
Aufgebrachte Landwirte hatten Habeck am Verlassen der Fähre gehindert, als er vom Urlaub auf Hallig Hooge zurückkehren wollte – später konnte dieser das Festland erreichen. Eine Sprecherin Habecks sagte der dpa am Donnerstag zu dem Vorfall am Fähranleger, der Minister sei für Gespräche bereit gewesen, die Sicherheitslage habe das aber nicht zugelassen. Die Staatsanwaltschaft Flensburg leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung ein.
Landwirte fordern mehr Zugeständnisse
Hintergrund des Protests ist der Streit über die Sparmaßnahmen der deutschen Regierung zur Kürzung der Subventionen zum Agrardiesel, die nur teilweise modifiziert wurden. Man wolle auf die Abschaffung des Kfz-Steuerprivilegs in der Landwirtschaft verzichten, um den „zum Teil erheblichen bürokratischen Aufwand“ für betroffene Unternehmen zu vermeiden, ruderte Berlin zuletzt zurück.
Zudem soll die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel zeitlich ausgedehnt und in mehreren Schritten vollzogen werden. Den Landwirten sind die neuen Zugeständnisse aber nach wie vor nicht genug. Mit der Abschaffung des Steuerprivilegs für Forst- und Landwirtschaft hätten Mehreinnahmen von 480 Millionen Euro entstehen sollen, so der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Durch die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel möchte die deutsche Regierung Mehreinnahmen von bis zu 440 Millionen Euro lukrieren.
Die zusätzlichen Kosten würden die Landwirte zwar nicht „die Existenz kosten“, sagte ein Bauer aus Saerbeck-Sinningen gegenüber dem WDR. „Aber es ist eine kleine Schraube, ein kleines Rädchen: Ausgaben steigen und Erlöse sinken.“ Der Protest richte sich „gegen den ganzen Strauß an Gesetzen, Verordnungen, der uns in letzter Zeit auferlegt worden ist“.
Weitere Proteste angekündigt
Bauernverbandspräsident Rukwied kündigte trotz der Korrekturen Proteste für kommende Woche an. „Wir fordern die komplette Rücknahme dieser Steuererhöhungen ohne Wenn und Aber. Ich rechne damit, dass Zehntausende Trecker zu unseren Sternfahrten in ganz Deutschland kommen werden“, sagte er der „Bild“. Rukwied kündigte an, dass das Verkehrsbeeinträchtigungen auslösen werde.
Zum Auftakt der Proteste am Montag wollen die Landwirte mit ihren Traktoren Kreuzungen und Auffahrten blockieren und an vielen Stellen im Land den Verkehr lahmlegen, berichtet der WDR. Als Höhepunkt der Proteste sei am 15. Jänner eine Großdemonstration in Berlin geplant.
Deutschland: Wütende Bauern behindern Habeck
Wütende Bauern haben den deutschen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert. Sie hätten gestern den Anleger in Schlüttsiel blockiert, sagte ein Polizeisprecher.
Rechte wollen Proteste vereinnahmen
Und auch andere politische Akteure machen für Demonstrationen und Kundgebungen mobil – allerdings mit eigenen Interessen, so der Tenor in deutschen Medien. Die teilweise als rechtsextrem eingestufte AfD sowie rechtsextreme Gruppen wie die Freien Sachsen riefen bereits dazu auf, sich den Protesten anzuschließen.
Die Partei, die aus den Protesten gegen die CoV-Maßnahmen hervorgegangen war, wolle die Bauernproteste mit eigenen Kundgebungen für sich vereinnahmen, schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auf Social Media kursieren zudem diverse Videos, die die Proteste der Bauern zum Anlass für einen Aufruf zu einer Art „Generalstreik“ nehmen.
„Es reicht! Am 8. Januar müssen alle Bürger Seite an Seite auf die Straße“ heißt es in einem der Videos, das mit Deutschland-Flaggen hinterlegt ist und „völkische Narrative“ bedient, berichtet der WDR. Manche würden sich nicht nur nach dem Ende der Bundesregierung, sondern nach einem Umsturz sehnen, schreibt auch das RND.
Bauernverband distanziert sich von „Generalstreik“
Der Bauernverband distanzierte sich zwar von derartigen Aufrufen und erklärte auf X (Twitter): „Für uns ist dabei klar: Rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale haben bei uns keinen Platz.“ Reichsbürger und „Umsturzpropagandisten“ seien bei den Demos und Kundgebungen „unerwünscht“.
Dass die Bauernproteste vielen rechtsextremen Akteuren als willkommene Gelegenheit für „Umsturzfantasien“ erscheinen, habe aber durchaus auch mit dem öffentlichen Auftreten mancher Bauernvereinigungen zu tun, so das RND. An mehreren Orten in Deutschland wurden zuletzt von Bauern Galgen aufgestellt, an denen eine Ampel hängt.
Warnung von deutschem Innenministerium
Das deutsche Innenministerium warnte am Freitag vor Versuchen von extremen Kräften, die Bauernproteste zu missbrauchen. Ein Sprecher der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, es sei davon auszugehen, dass insbesondere Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum und aus dem Spektrum derjenigen, die den Staat delegitimieren wollten, im Verlauf der Protestwoche versuchen würden, Veranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren.
„Die Bauernproteste, die in den kommenden Tagen über das Land schwappen, sind wahrscheinlich erst der Anfang einer riesigen Protestwelle, die in diesem Jahr auf uns zurollen wird“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, dem Berliner „Tagesspiegel“. In diesem Jahr wird ohnehin mit einer aufgeheizten Stimmung im Land gerechnet, weil etwa in Ostdeutschland drei Landtagswahlen anstehen, bei denen die AfD in Umfragen derzeit stärkste Kraft ist.