Benjamin Netanyahu
AP/Ohad Zwigenberg
Israels Regierung

Interner Streit bringt Netanjahu unter Druck

Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas dauert schon fast drei Monate und weitet sich stetig aus. Nun gab es offenbar einen bitteren Streit im Kriegskabinett, das Premier Benjamin Netanjahu anführt. Das Kabinett war im Sinne eines nationalen Schulterschlusses eingerichtet worden. Doch die politische Konkurrenz scheint intern stärker zu werden.

Der heftige Streit soll Medienberichten zufolge bei einer Sitzung des israelischen Kabinetts in der Nacht auf Freitag entbrannt sein. Rechtsgerichtete Minister hätten den Generalstabschef Herzi Halevi scharf angegriffen, der eine Kommission einsetzen will, um mögliche Fehler der Armee rund um den Überraschungsangriff der islamistischen Hamas am 7. Oktober auf Israel aufzudecken. Das berichteten unter anderem der öffentlich-rechtliche Sender Kan und die Zeitungen Times of Israel und „Jerusalem Post“. Kan zitierte einen Teilnehmer mit den Worten, es sei „totale Anarchie“ ausgebrochen.

Halevi sei verbal persönlich angegriffen worden. Die rechten Kabinettsmitglieder hätten vor allem den Zeitpunkt der angekündigten Untersuchung kritisiert, während die Kämpfe noch andauerten.

Herzi Halevi
AP/Maya Alleruzzo
Generalstabschef Halevi soll scharf attackiert worden sein

Netanjahu habe die Sitzung, bei der es eigentlich um die Zukunft des Gazastreifens nach dem Krieg gehen sollte, schließlich vertagt. Zuvor hätten schon mehrere Militärvertreter erbost den Raum verlassen, hieß es. Die Regierung bestätigte den Streit nicht.

Auf Konfrontationskurs

Benni Ganz, Minister im Kriegskabinett und politischer Rivale Netanjahus, machte den Berichten zufolge den Regierungschef selbst für den „politisch motivierten Angriff“ der Minister „mitten im Krieg“ verantwortlich. Ein solches Verhalten habe er noch nie bei einer Kabinettssitzung gesehen. Die Likud-Partei Netanjahus wies seine Kritik zurück.

Ganz, dessen Partei jüngsten Umfragen zufolge gegenwärtig mit Abstand stärkste Fraktion in Israel werden würde, verteidigte Medien zufolge zugleich Halevis Entscheidung, eine Kommission einzusetzen. Es sei gut und auch die Pflicht des Generalstabschefs, nach der Katastrophe vom 7. Oktober Verantwortung übernehmen zu wollen.

Auch das israelische Militär verteidigt die geplante Untersuchung. Es müsse aus seinen Fehlern lernen, sagte Sprecher Daniel Hagari am Freitagabend. Die Ergebnisse der Aufarbeitung sollen Hagari zufolge öffentlich bekanntgegeben werden.

Cupal (ORF) zu Streit in Israels Regierung

Tim Cupal (ORF) berichtet live aus Tel Aviv zu den derzeitigen Spannungen in Israels Notstandsregierung.

Die Times of Israel mutmaßte, die Auseinandersetzung der Armee mit eigenen Fehlern könne auch die Regierung unter Druck setzen, ihr eigenes Versagen in der Angelegenheit thematisieren zu müssen, was die Kritik der Minister motiviert haben dürfte. Netanjahu, gegen den schon seit Längerem ein Korruptionsprozess läuft, will eine Untersuchung erst nach dem Krieg. Kritiker werfen ihm vor, er zögere das Ende des Krieges hinaus, um sich an der Macht zu halten.

Pläne für Zeit nach dem Krieg

Auch die Berufung des früheren Verteidigungsministers Schaul Mofas an die Spitze der Untersuchungskommission sei auf scharfen Protest rechter Minister gestoßen, hieß es in israelischen Medien. Mofas hatte als Verteidigungsminister den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 überwacht. Rechtsextreme Minister fordern nun jedoch eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens nach dem Krieg und eine dauerhafte Militärpräsenz. Das lehnt Verteidigungsminister Joav Galant ab, dessen Plan für den „Tag danach“ vorsieht, die Palästinenser für den Gazastreifen in die Verantwortung zu nehmen.

Schwere Gefechte im Süden Gazas

Augenzeugen im südlichen Gazastreifen berichteten am Freitag indes von schweren Gefechten in der Gegend der Stadt Chan Junis. Ständig seien schwere Detonationen und Schüsse zu hören, berichtete ein dpa-Mitarbeiter. Die israelischen Truppen würden weiter in die Flüchtlingslager Nuseirat, Bureidsch und Maghasi vordringen. Bewohner seien mit Eselskarren auf der Flucht in Richtung Rafah und anderer Teile von Chan Junis sowie nach Deir al-Balah, hauptsächlich zu Orten, die von der israelischen Armee als sichere Gebiete angegeben worden waren. Lebensmittel seien knapp. Viele Menschen hätten nur noch prekäre Unterkünfte aus Plastikplanen.

Schreckliche Zustände

Ausländische Hilfsorganisationen berichteten über grausige Zustände in den wenigen noch im Gazastreifen arbeitenden Krankenhäusern. „Wir sehen Verletzungen, die überwiegend durch Explosionen und Splitter verursacht wurden“, wurde der leitende Chirurg des Universitätskrankenhauses Oxford und klinische Leiter des medizinischen Notfallteams, Nick Maynard, in einer Mitteilung der privaten Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) mit Sitz in New York zitiert. „Viele Erwachsene, Kinder und Babys werden mit traumatischen Amputationen von Armen und Beinen eingeliefert. Wir haben kleine Kinder mit den furchtbarsten Verbrennungen im Gesicht gesehen“, fügte Maynard hinzu.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte kurz nach Weihnachten mit, es seien nur noch 13 der ursprünglich 36 Krankenhäuser teilweise funktionsfähig. Sie seien völlig überbelegt und es fehle ihnen an Treibstoff, Medikamenten, Narkosemitteln, Lebensmitteln und Trinkwasser. Kleine Abhilfe schaffen Lieferungen aus dem Ausland.
Am Freitag warfen Flugzeuge der französischen und jordanischen Luftstreitkräfte sieben Tonnen humanitärer Hilfen und Medikamente für ein Feldlazarett in Chan Junis ab.

Die meisten Kinder unzureichend ernährt

Hilfsorganisationen können nach Angaben des UNO-Nothilfebüros (OCHA) seit Tagen keine dringend benötigte lebensrettende Hilfe in den Norden Gazas liefern. Wie OCHA mitteilte, seien die UNO und ihre Partnerorganisationen vier Tage lang nicht in der Lage gewesen, humanitäre Hilfe nördlich des Flusses Wadi Gaza zu liefern, da der Zugang verzögert oder verweigert worden sei und in dem Gebiet weiter gekämpft werde. Zu den dringend benötigten Hilfslieferungen gehörten auch Medikamente.

Auch die Lage für Minderjährige im Gazastreifen spitzt sich nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) weiter zu. 90 Prozent aller 1,1 Millionen jungen Menschen in dem Küstenstreifen seien Ende Dezember einer Untersuchung zufolge nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt gewesen. Die Zahl der Durchfallerkrankungen sei extrem gestiegen.