Bauernproteste in Berlin
Reuters/Nadja Wohlleben
Deutschland

Zorn der Bauern hat viele Gründe

In Deutschland sind die Bauern auf den Barrikaden. Anlass sind Subventionskürzungen für die Landwirtschaft. Am Montag gab es landesweit Proteste samt Straßenblockaden. Dass die Sparpläne inzwischen von der „Ampelregierung“ in Berlin teils zurückgenommen wurden, kann die Gemüter bisher kaum beruhigen. Die Gründe für die Wut sitzen tief und sind ein „Erbe“ der letzten Jahre.

Zu Beginn der Aktionswoche des Deutschen Bauernverbands (DBV) am Montag kam es zu großangelegten Protesten, Landwirtinnen und Landwirte blockierten mit Traktoren Autobahnauffahrten, vor dem Brandenburger Tor in Berlin fuhren über 500 Zugmaschinen und Lkws auf. Die Transportwirtschaft hatte sich den Protesten angeschlossen, in weiten Teilen Deutschlands kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.

Grund für die Aktionswoche und Proteste ist vor allem die geplante schrittweisen Streichung der Subventionen für Agrardiesel, Diesel, der als Kraftstoff für landwirtschaftliche Maschinen in Deutschland aktuell mit knapp 215 Euro pro 1.000 Liter gefördert ist. Diese Förderung soll laut Beschluss der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP bis 2026 langsam auslaufen. Für einen durchschnittlichen Betrieb macht sie aktuell knapp 2.800 Euro pro Jahr aus.

Deutscher Bauernprotest gegen Regierung

Tausende Bauern haben am Montag in ganz Deutschland Städte und Autobahnen aus Protest gegen Kürzungen bei den Agrarsubventionen durch die „Ampelkoalition“ abgeriegelt. Erste Zugeständnisse der SPD-Grünen-FDP-Koalition sind den Bauern zu wenig.

„Sterben auf Raten“

Ursprünglich hätte die Subventionen für Agrardiesel schon früher ganz fallen sollen. Geplante Streichungen von Begünstigungen bei der Kraftfahrzeugsteuer für Landwirtschaftsmaschinen wurden inzwischen wieder verworfen. Der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, forderte am Montag trotzdem eine vollständige Rücknahme der geplanten Subventionskürzungen.

Bauernproteste in München
APA/AFP/Michaela Rehle
Traktorkolonnen und deutschlandweite Proteste zum Auftakt der Aktionswoche der Bauern

„Das heißt ja am Ende ein Sterben auf Raten“, sagte Rukwied. Der Beschluss zum Agrardiesel erfolgte am Montag zusammen mit anderen Sparmaßnahmen für den Staatshaushalt (Haushaltsfinanzierungsgesetz) trotzdem. „Dies stellt insbesondere einen Beitrag zum Abbau klimaschädlicher Subventionen dar“, hieß es in dem Entwurf dazu. Insbesondere CDU und CSU hatten sich dagegen ausgesprochen und zeigten Verständnis für die Protestwelle. Mehrere deutsche Bundesländer kritisierten eine zu hohe Belastung der Landwirte bei den Haushaltskürzungen der „Ampelkoalition“, darunter Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und das Saarland.

„Viel Arbeit, wenig Verdienst?“

In der deutschen Presse traf das Thema Landwirtschaft, Strukturwandel und Subventionen am Montag auf entsprechendes Echo. Dort wurde auch mehrfach die Frage nach der wirtschaftlichen Situation der Bauern und den Gründen für ihre Unzufriedenheit gestellt.

„Viel Arbeit, wenig Verdienst“ titelte die „Bild“-Zeitung und fragte: „Geht es unseren Bauern wirklich so schlecht?“ Laut DBV waren die Betriebsergebnisse zuletzt deutlich gestiegen. Die „Süddeutsche Zeitung“ ging unter dem Titel „Der tiefere Grund für die Wut der Bauern“ der Frage nach dem Warum nach. Umwelt- und Klimaschutz würden auch in der Landwirtschaft immer wichtiger, hieß es in einer Analyse des TV-Senders MDR, stellten „aber die Beziehung zwischen Politik und Bauern vor große Herausforderungen“.

Unklare Perspektiven

Ein Grund für die Unzufriedenheit der Landwirte liegt ohnehin auf der Hand, nicht nur in Deutschland: der Strukturwandel. Große Betriebe werden größer, kleinere können dem Konkurrenzdruck nicht standhalten und müssen aufgeben. Weitere Gründe sind der Preisdruck seitens des Handels und schließlich, wiederum nicht nur in Deutschland, unklare Zukunftsperspektiven.

Die Bauern wissen etwa nicht, welche agrarpolitischen Rahmenbedingungen sie in einigen Jahren konkret erwarten und müssen trotzdem laufend viel Geld in ihren Betrieb und teure Maschinen stecken, um rentabel weitermachen zu können. „Überraschungen statt Planbarkeit und Kürzungen statt in Aussicht gestellter Milliardensubventionen: Aus dieser Enttäuschung ist nun extreme Wut geworden“, schrieb die „Süddeutsche“ dazu am Montag.

Alter Ärger trifft die „Ampel“

„Wenn Bauern an Regeln ersticken“, titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Die Landwirte brauchten mehr Planungssicherheit und zugleich freie Hand beim Umbau ihrer Betriebe für die Zukunft. Doch davon könne keine Rede sein, nun habe die „Kurzatmigkeit“ der deutschen Bundesregierung in der Frage das Fass zum Überlaufen gebracht.

Die „Süddeutsche Zeitung“ machte als Grund für die Unzufriedenheit der deutschen Bauern einen „agrarpolitischen Schlingerkurs“ als Erbe der Ära Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021, aus. Es gehe nicht nur um den Agrardiesel, „es geht vor allem auch um nicht eingehaltene Versprechen und enttäuschte Hoffnungen in der Vergangenheit“.

Nach Protesten 2019 und 2020 habe Merkel zu Agrargipfeln eingeladen, Kommissionen wurden eingesetzt, Vorschläge für eine Transformation der Landwirtschaft erarbeitet. Diese seien zum Ergebnis gekommen, dass klar sein müsse, „wo die Reise hingeht und welche Rahmenbedingungen staatlicherseits für die Landwirtschaft zukünftig gelten“, zitierte die „Süddeutsche“ den Leiter des Fachgebiets Landwirtschaft im deutschen Umweltbundesamt (UBA), Knut Ehlers. Nur: Es sei nichts oder zu wenig Konkretes passiert.

„Es ist die Industrialisierung der Landwirtschaft“

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen), dessen Partei das Sparpaket in der Regierung selbst mitträgt, forderte am Montag eine Debatte über den Wandel der Landwirtschaft.

Pfeifer (ORF) zu Streik der Landwirte

ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer spricht unter anderem über die Hintergründe des Streiks der Landwirte in Deutschland.

„Sie arbeiten sieben Tage die Woche, sind immer auf Abruf, und wenn andere ihren Jahresurlaub machen, haben sie Erntezeit. Ja, sie wirtschaften unter einem mächtigen ökonomischen Druck, dem Preisdruck durch die Discounter, der großen Schlachthöfe und Molkereien, dem schwankenden Weltmarkt“, sagte er in einem Video.

Es gebe gute und schlechte Jahre, vor allem aber gebe es ein strukturelles Problem, beschrieb Habeck, früher selbst Landwirtschaftsminister im Bundesland Schleswig-Holstein, die wirtschaftliche Situation der Bauern. Es müsse immer mehr produziert werden, kleine Höfe verschwänden. „Strukturwandel nennt man das. Ich finde: etwas beschönigend. Es ist die Industrialisierung der Landwirtschaft.“ Es gebe neben Subventionen auch andere Antworten auf die Probleme, etwa faire Preise, gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit, für Nachhaltigkeit, Klima- und Tierschutz.