Chinesische Militärhubschrauber
APA/AFP/Hector Retamal
Taiwan-Wahl

Bangen in China und USA

Heuer finden in so vielen Demokratien wie in keinem Jahr zuvor Wahlen statt, die wegweisend für die internationale Entwicklung der nächsten Jahre sein werden. Eine der wichtigsten wird gleich am Samstag in Taiwan abgehalten. Nicht nur Taiwan, sondern auch die Großmächte China und USA zittern dabei mit. Denn im schlimmsten Fall könnte das Wahlergebnis die mit Ukraine- und Nahost-Krieg ohnehin bereits gegebene geopolitische Dramatik mit einem Schlag weiter stark erhöhen.

Die Insel, auf der mehr als 23 Millionen Menschen leben und die nicht einmal halb so groß wie Österreich ist, gehört angesichts der wachsenden Konkurrenz zwischen der Volksrepublik China und den USA geopolitisch aktuell zu den besonders „heißen“ Zonen. Die Sorge ist groß, dass der Ausgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am Samstag zu einer Konfrontation zwischen Peking und Washington führt, obwohl die Präsidenten beider Länder, Xi Jinping und Joe Biden, im November einen Anlauf unternahmen, die Beziehungen zumindest zu stabilisieren.

Die Volksrepublik China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz und erkennt deren Unabhängigkeit nicht an. Peking setzt Taiwan und alle Staaten weltweit, die sich dem Land annähern, militärisch und diplomatisch stark unter Druck. Die USA sind der wichtigste Verbündete Taiwans – aber selbst Washington brach 1979 unter dem Druck von Pekings Ein-China-Politik die offiziellen Beziehungen zu Taiwan ab.

Von Kuomintang gegründet

Nach der erfolgreichen kommunistischen Revolution in Festland-China 1949 zogen sich die besiegten Vertreter der nationalchinesischen Regierung auf die Insel zurück. Unter Staatsgründer Chiang Kai-shek und seiner Kuomintang-Partei wurde Taiwan viele Jahre als Einparteienstaat geführt. Es folgten eine rasante wirtschaftliche Entwicklung und eine schrittweise Demokratisierung.

Taipeh: „Grauzonentaktik“ von Peking

In den letzten Jahren verstärkte Peking im Taiwan-Konflikt sein Säbelrasseln und drohte immer wieder mit einem militärischen Überfall auf die Insel. Am Dienstag löste ein chinesischer Satellitenstart in Taiwan einen Raketenalarm aus. Seit Dezember lässt Peking immer wieder Ballone, wie sie etwa für Wettermessungen verwendet werden, über Taiwan streifen. Fast täglich fliegen chinesische Kampfjets laut taiwanischen Angaben über die inoffizielle Mittellinie in der Meerenge oder dringen in die Luftverteidigungszone ein. Auf den Besuch der damaligen Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im vergangenen Jahr wurde mit Militärmanövern reagiert. Taipeh spricht von Einschüchterung und einer „Grauzonentaktik“ Pekings.

Die USA werfen China vor, sich dafür zu rüsten, Taiwan 2027 militärisch einnehmen zu können. Die Sorge ist aber nun, dass das empfindliche Verhältnis zwischen China, Taiwan und den USA bereits durch die Wahl aus dem Lot gerät. Unter der noch amtierenden Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) riss der Kontakt zwischen den Regierungen der beiden Länder ab.

DPP-Kandidat Lai in Umfragen voran

Aussichtsreichster Kandidat – für die Wahl reicht die relative Mehrheit – ist der derzeitige Vizepräsident Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Die oppositionelle Kuomintang (KMT) nominierte den Bürgermeister der größten Stadt, Neu-Taipeh, Hou Yu-ih. Und als dritter rittert Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (TPP) um das Präsidentenamt. Umfragen sahen zuletzt Lai vor Hou, Ko war darin relativ abgeschlagen.

Die USA befürchten laut „Economist“, dass ein Sieg von Lai, dessen DPP am stärksten auf Unabhängigkeit drängt, zur Eskalation mit China führen könnte. China nannte Lai bereits einen „Zerstörer des Friedens“, während sich Lai selbst als „pragmatischen Arbeiter für Taiwans Unabhängigkeit“ bezeichnete. Zuletzt betonte er aber, Taiwan sei bereits ein eigenständiges Land und müsse daher nicht seine Unabhängigkeit ausrufen. Auch das ist freilich eine Position, die Peking erzürnt.

Peking favorisiert Kuomintang-Kandidaten

Der Kuomintang-Kandidat Hou wird von Peking favorisiert. Obwohl die KMT der alte ideologische Erzfeind ist, vereint Peking und die KMT der Wunsch nach einem China. Hou lehnt allerdings Pekings Vorstellung, die „ein Land, zwei Systeme“ vorsieht, ab. Dieses Modell wird nach dessen gewaltsamer Aufhebung in Hongkong von einer großen Mehrheit in Taiwan abgelehnt. Auch im Fall einer Wahl Hous sind also wohl verstärkte Spannungen programmiert.

Die eigentliche Gefahr liegt aber nicht in den Positionen der Kandidaten. Jude Blanchette von der US-Denkfabrik Centre for Strategic and International Studies (CSIS) weist gegenüber dem „Economist“ vielmehr auf die Gefahr einer ungeplanten Eskalation, etwa durch Überreaktion auf eine chinesische Provokation angesichts der zur Wahl stehenden Personen, hin. Die Frage sei weniger, ob der neue Präsident den Status quo radikal ändere. „Die Frage ist vielmehr: Wie wird ein unerfahrener Führer mit der Veränderung des Status quo durch äußere Faktoren umgehen?“