Großdemonstration in der slowakischen Hauptstadt Bratislava
Reuters/Radovan Stoklasa
Proteste in Slowakei

Widerstand gegen Korruption formiert sich

Tausende Menschen gingen am Donnerstagabend gegen die seit Ende Oktober amtierende Regierung des linksnationalen Ministerpräsidenten Robert Fico in der Slowakei auf die Straße. Grund dafür sind die geplante Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption und eine starke Einschränkung des Rechtsstaats. Die Proteste gelten auch als Nachwehen des Attentats von 2018 – ob sie das Potenzial haben, Fico politisch ähnlich unter Druck zu setzen, ist jedoch fraglich.

Der von drei Oppositionsparteien organisierte Protest in der Hauptstadt Bratislava und mehreren anderen Städten des EU-Landes am Donnerstagabend richtet sich vor allem gegen die geplante Abschaffung der für organisierte Kriminalität und politische Verbrechen zuständigen Sonderstaatsanwaltschaft (USP), die seit 20 Jahren für Wirtschaftskriminalität und Korruptionsbekämpfung zuständig ist.

Die Opposition warnt vor einer Gefährdung des Rechtsstaats und wirft der Regierung vor, hochrangige Korruptionsfälle aus früheren Regierungszeiten von Ficos Partei (bis 2020) vertuschen zu wollen. Auch die geplante Herabsetzung des Strafrahmens für Delikte sowie die Verkürzung der Verjährungsfrist treibt die Menschen auf die Straße. Die rund 20.000 Protestierenden trugen am Donnerstag Transparente mit Aufschriften wie „Stop Fico!“ und „Fico ins Gefängnis!“, aber auch Wahlaufrufe für den liberalen Ex-Außenminister Ivan Korcok.

Großdemonstration in der slowakischen Hauptstadt Bratislava
APA/AFP/Tomas Benedikovic
Rund 20.000 Menschen gingen am Donnerstag gegen die geplanten Reformen auf die Straße

Folgen des Attentats von 2018 spürbar

Das Land ringe nach wie vor mit den Folgen des Attentats von 2018, bei dem der Journalist Jan Kuciak und seine Partnerin erschossen wurden, erklärt der Politikwissenschaftler Tobias Spöri im Gespräch mit ORF.at. Die Recherchen Kuciaks hatten die damalige Regierung unter Fico stark belastet und ergeben, dass Korruption und mafiöse Verfilzungen bis in höchste Kreise reichten.

„Es geht hier letztlich um die Frage, wie man mit politischen Strafen, Verbrechen und der organisierten Kriminalität umgeht, und die aktuellen Prozesse sind eine weitere Episode dieser langjährigen Geschichte“, so Spöri. Die Ermordung führte damals zu Massenprotesten und letztlich zum Rücktritt Ficos 2018. Auch der frühere Innenminister Robert Kalinak sowie der ehemalige Polizeipräsident Tibor Gaspar traten in der Folge zurück.

Der vermeintliche Drahtzieher des Attentats wurde im vergangenen Jahr freigesprochen, Fico, Kalinak und Gaspar sind seit Herbst 2023 in die Politik zurückgekehrt. Ficos Partei Richtung – Slowakische Sozialdemokratie (Smer-SSD) ging aus der Parlamentswahl vom 30. September als stärkste Kraft hervor und koaliert nun mit der gemäßigten, sozialdemokratischen Hlas und der prorussischen SNS.

Großdemonstration in Bratislava im Jahr 2018 nach der Ermordung des slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova
Reuters/Radovan Stoklasa
Auch 2018 gab es eine Großdemonstration in Bratislava nach der Ermordung des Journalisten Kuciak

EU durch Ungarn und Polen „sensibilisiert“

„Fico ist immer als Beschützer der Slowakei aufgetreten und hat sich bereits im Wahlkampf nochmals maßgeblich radikalisiert“, so Spöri mit Verweis auf den ungarischen Ministerpräsidenten. Wie auch Viktor Orban würde Fico zunehmend auf antiukrainische Rhetorik und Bedrohungsszenarien durch ausländische Mächte und einen „moralisch verdorbenen Westen“ setzen.

Sollte das Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden, würde das die Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei „massiv einschränken“. Die geplante Abschaffung sorgt auch vonseiten der EU-Kommission für Bedenken. Im Dezember gab die Europäische Staatsanwaltschaft nach Analyse des Gesetzesentwurfs eine Stellungnahme gegenüber der Europäischen Kommission ab, in der sie auf „schwere Risiken“ für die finanziellen Interessen der EU verwies, die ein solches Verfahren begründen können.

„Die EU ist mittlerweile sehr sensibilisiert wegen Polen und Ungarn“, erklärt Spöri. Ein Verfahren wie zuletzt in Ungarn sei nicht unwahrscheinlich, könne aber freilich erst dann auf den Weg gebracht werden, wenn das Gesetz tatsächlich auf dem Tisch liegt. Die Kommission werde wohl „sehr genau“ darauf schauen, dass die Slowakei nicht zu einem „zweiten Ungarn“ innerhalb der EU werde.

Richtungsweisende Präsidentschaftswahl im März

Entscheidend für die weitere Entwicklung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei dürfte in dem Zusammenhang auch die anstehende Präsidentschaftswahl im März sein. Präsidenten in der Slowakei können ein Veto gegen Gesetze einlegen bzw. diese vor dem Verfassungsgericht anfechten, aktuell wird das Amt von der Menschenrechtsaktivistin Zuzana Caputova geführt.

„Jetzt gibt es eine vergleichsweise liberale Präsidentin, die auch parteiübergreifend als Stimme der Vernunft und liberale Politikerin wahrgenommen wird“, so der Politikwissenschaftler. „Wenn diese Säule wegfällt, verliert die Slowakei zumindest eine starke Stimme für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“ Dass Caputova eine weitere Kandidatur mit dem Argument zurückzog, dass sie die Schmutzkampagne gegen ihre Familie nicht mehr aushalte, sei bezeichnend.

Der slowakische Premierminister Robert Fico
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Der slowakische Ministerpräsident Fico war bereits von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 Regierungschef

Enttäuschung und Misstrauen in Politik hoch

Ob die aktuellen Proteste ähnliche Konsequenzen für Fico haben könnten wie damals 2018, lasse sich noch nicht vorhersagen, so Spöri. Eine so schnelle und starke Dynamik wie damals zeichne sich noch nicht ab. Es komme aber darauf an, wie viele Menschen langfristig noch mobilisiert werden können – und es sei jedenfalls bemerkenswert, dass die Proteste seit Weihnachten andauern und nicht nur die oppositionelle und links ausgerichtete Blase Bratislavas auf die Straße gehe.

Wenn das Gesetz über Nacht durchs Parlament gepeitscht werde, werde das wohl noch wesentlich mehr Leute mobilisieren. „Was sicherlich nicht verschwindet, ist dieses extreme Misstrauen gegenüber der aktuellen Regierung, aber auch gegenüber der generellen politischen Elite in der Slowakei.“

Im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ hatte Zuzana Homer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bratislava die Slowaken nach der Rückkehr Ficos auf die politische Bühne als „ein Volk ohne Gedächtnis“ bezeichnet. Das Ausmaß der Enttäuschung und Desillusion über die Politik steche im regionalen Vergleich allerdings hervor, betont Spöri. „Es sagt schon sehr viel über das politische Klima in einem Land aus, wenn 90 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Politikerinnen und Politiker korrupt sind.“