Logo des Internationalen Gerichtshof in einem Gerichtssaal
APA/AFP/Anp/Remko De Waal
„Im Krieg mit Hamas“

Israel wehrt sich gegen Völkermordvorwurf

Israel hat den von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geforderten Stopp des Militäreinsatzes gegen die Hamas im Gazastreifen strikt abgelehnt. Auch den Vorwurf des Völkermordes wies der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, am Freitag in der Anhörung in Den Haag zurück – er sprach von grob verzerrenden Interpretationen Südafrikas.

Die Opfer des Gaza-Krieges und das Leiden der Zivilbevölkerung gingen allein auf das Konto der Terrororganisation Hamas. „Israel ist im Krieg mit der Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk“, sagte Becker. „Der Antragsteller versucht, das inhärente Recht Israels, sich zu verteidigen, zu untergraben (…) und Israel wehrlos zu machen“, so der Rechtsberater.

Er forderte die Richterinnen und Richter auf, die Forderung Südafrikas nach einer entsprechenden Sofortmaßnahme des IGH zurückzuweisen. Israels Anwalt Malcolm Shaw erklärte darüber hinaus, das Gericht sei gemäß der Völkermordkonvention nicht befugt, das Land anzuweisen, seinen Militäreinsatz zu stoppen.

der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker
Reuters/Thilo Schmuelgen
Rechtsberater Becker spricht von einem Versuch, „Israel wehrlos zu machen“

Südafrikas Vorwürfe

Südafrika hatte im Dezember vor dem Gerichtshof Klage eingereicht. Am ersten Tag der Anhörung am Donnerstag forderten seine Vertreter das Gericht auf, Sofortmaßnahmen zu verhängen und Israel anzuweisen, die Offensive im Gazastreifen umgehend einzustellen.

Die Angriffe aus der Luft und auf dem Boden, bei denen nach palästinensischen Angaben bisher fast 24.000 Menschen getötet wurden, zielten darauf ab, „die Palästinenser im Gazastreifen als Teil der größeren nationalen, rassischen und ethnischen Gruppe der Palästinenser zu vernichten“, argumentierte Südafrika in seiner Klageschrift.

Wildner (ORF) zum Prozess gegen Israel

Nikolaus Wildner berichtet über die Meinung der Bevölkerung Israels zum Prozess gegen ihr Land.

Die Rechtsvertreterin Südafrikas, Adila Hassim, sprach vor Gericht von einem „systematischen Muster, das auf Absicht des Völkermordes hinweist“. In der Klageschrift wird von Südafrika aufgeführt, dass Israel es versäume, während des mehr als drei Monate dauernden Krieges gegen die radikalislamische Hamas die Bevölkerung im Gazastreifen mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, Treibstoff, Unterkünften und anderer humanitärer Hilfe zu versorgen.

Belastende Äußerungen

Auch werden Äußerungen israelischer Minister als Beleg für die Absicht des Völkermordes angeführt. Südafrika spricht von „direkter und öffentlicher Anstiftung zum Völkermord“. Zitiert werden Drohungen, Gaza unbewohnbar zu machen, sowie Forderungen von rechtsextremen Ministern, Palästinenser dauerhaft zu vertreiben.

Dagegen sagte Israels Vertreter Becker in der Anhörung, die Militäraktionen seien ein Akt der Selbstverteidigung gegen die Hamas und „andere Terrororganisationen“. Südafrikas Interpretationen der Ereignisse seien grob verzerrt. „Wenn es Völkermordakte gab, dann wurden sie gegen Israel verübt“, sagte Becker.

„Israel befindet sich in einem Verteidigungskrieg gegen die Hamas, nicht gegen das palästinensische Volk, um sicherzustellen, dass sie keinen Erfolg hat“, so Becker. „Die Schlüsselkomponente des Völkermordes, die Absicht, ein Volk ganz oder teilweise zu zerstören, fehlt völlig.“

Propalästinensische Proteste in der Nähe des Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Niederlande)
Reuters/Thilo Schmuelgen
Während der Anhörung demonstrierten in Den Haag Unterstützer und Unterstützerinnen der Palästinenser

Südafrika traditioneller PLO-Verbündeter

Die Völkermordkonvention von 1948, die unter dem Eindruck des Holocaust entstand und von Israel und Südafrika unterzeichnet wurde, definiert Völkermord als „Handlungen, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“.

Südafrika setzt sich seit dem Ende der Apartheid 1994 für die Sache der Palästinenser und ihren Wunsch nach einem eigenen Staat ein. Das geht darauf zurück, dass seinerzeit die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) von Jassir Arafat den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) unterstützte, der gegen die Herrschaft der weißen Minderheit in Südafrika kämpfte.

Zähes Prozedere

Entscheidungen des IGH sind rechtsverbindlich, doch hat das Gericht keine Möglichkeit zur Durchsetzung. In den Anhörungen in dieser Woche geht es nur um die mögliche Gewährung von Sofortmaßnahmen seitens der Richter. Sie bestehen in der Regel darin, einen Staat aufzufordern, alles zu unterlassen, was den Rechtsstreit verschärfen könnte. Eine Entscheidung über die Maßnahmen wird in den Wochen nach den Anhörungen erwartet.

Sollte das Gericht feststellen, dass es auf den ersten Blick zuständig ist, wird der Fall im Friedenspalast in Den Haag weiterverhandelt. Das gilt auch dann, wenn sich die Richter gegen Sofortmaßnahmen entscheiden sollten. Das Hauptverfahren zum Völkermordvorwurf kann sich über Jahre hinziehen.