Beschädigte Gebäude in Gaza Stadt
Reuters/Amir Cohen
Hamas-Angriff auf Israel

100 Tage Krieg in Gaza

Vor 100 Tagen haben Kämpfer der radikalislamischen Hamas Israel in einem beispiellosen Überfall angegriffen. Seither herrscht Krieg im Gazastreifen. Es ist der bisher längste und tödlichste zwischen Israel und den Palästinensern seit der Gründung Israels im Jahr 1948. Ein Ende der Kämpfe in Nahost ist nicht abzusehen.

Israel erklärte den Krieg als Reaktion auf den grenzüberschreitenden Angriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem die militante islamische Gruppe etwa 1.200 Menschen, überwiegend Zivilpersonen, getötet und etwa 250 weitere als Geiseln genommen hatte.

Israel reagierte daraufhin mit wochenlangen intensiven Luftangriffen im Gazastreifen, bevor es die Operation zu einer Bodenoffensive ausweitete. Ziel ist es nach den Angaben Israels, die Hamas zu zerschlagen und die Freilassung der bis dato noch über 100 Geiseln zu erreichen, die sich nach wie vor in der Gewalt der Hamas befinden.

Angehörige protestieren

Die Angehörigen der Geiseln kämpfen weiter für deren Freilassung. Plakate der Entführten säumen immer noch Straßen, die Menschen tragen T-Shirts mit der Aufforderung „Bringt sie nach Hause“. Das Forum der Geiselfamilien errichtete im Zentrum von Tel Aviv den Nachbau eines kurzen Tunnelstücks. In derartigen Anlagen unter der Erde soll die Hamas Berichten zufolge die Geiseln gefangen halten. Am Samstag gingen in Tel Aviv Tausende Menschen für die Freilassung der Hamas-Geiseln auf die Straße. Solidaritätsdemos gab es weltweit, auch Demos für das Ende der Gewalt in Gaza.

Ein Mann in einem für ein Kunstprojekt angelegten Tunnel in Tel Aviv.
AP/Leo Correa
In Tel Aviv wurde ein Abbild eines Hamas-Tunnels als Kunstinstallation eröffnet

Eine gewaltsame Befreiung der Verschleppten durch das israelische Militär gilt Berichten zufolge als nahezu undurchführbar. Die von der Hamas angelegten Tunnel durchziehen demnach auf Hunderten Kilometern den gesamten Gazastreifen. Den Kämpfern der islamistischen Organisation dienen sie als unterirdische Kommandozentralen, Rückzugs- und Lagerräume sowie Transportwege. Die Angehörigen der Geiseln knüpfen ihre Hoffnungen an eine Verhandlungslösung.

Große Zerstörung im Gazastreifen

Die Offensive Israels richtete im Gazastreifen große Zerstörung an. Doch mehr als drei Monate später ist die Hamas immer noch weitgehend intakt. Die Gesundheitsbehörden der Hamas geben an, dass die Zahl der Todesopfer bereits 23.000 überschritten habe, was etwa einem Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens entspricht. Tausende weitere werden vermisst. Hinzu kommen weitere Tausende Verletzte.

Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wurden vertrieben: Zehntausende von Menschen mussten in spärliche Zeltlager im südlichen Gazastreifen flüchten, die ebenfalls unter israelischen Beschuss geraten.

Ein Mann geht in Tel Aviv an einer Wand mit Fotos der Geiseln vorbei
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Rund 100 Geiseln befinden sich noch in der Gewalt der Hamas

Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung des Gazastreifens an Hunger leidet. Nur 15 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen sind nach Angaben der UNO teilweise funktionsfähig, sodass das medizinische System kurz vor dem Zusammenbruch steht. Kinder haben monatelang die Schule verpasst und haben keine Aussicht auf eine Rückkehr zum Unterricht. Schätzungen zufolge wurden etwa die Hälfte der Gebäude im Gazastreifen auf der Grundlage von Satellitenanalysen beschädigt oder zerstört.

Das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) bekräftigte am Samstag daher seinen Appell für eine humanitäre Feuerpause. „Massenhafter Tod, Zerstörung, Vertreibung, Hunger, Verlust und Trauer haben in den letzten 100 Tagen die von uns allen geteilte Menschlichkeit befleckt“, schrieb das Netzwerk in einer Erklärung.

Spannungen in gesamten Nahen Osten

Der Konflikt weitete sich mittlerweile auf den gesamten Nahen Osten aus und droht zu eskalieren. Fast unmittelbar nach dem Hamas-Angriff begannen die vom Iran unterstützten Hisbollah-Kämpfer im Libanon, Israel anzugreifen, was israelische Vergeltungsangriffe zur Folge hatte.

Demonstration für Palästina in London
Reuters/Kevin Coombs
Die Rufe nach Frieden in Nahost werden weltweit immer lauter

Zuletzt hatte es einen Luftangriff am 2. Jänner gegeben, für den Israel verantwortlich gemacht wird und bei dem ein hoher Hamas-Funktionär in Beirut getötet wurde. Die Hisbollah antwortete mit schwerem Beschuss auf israelische Militärstützpunkte, während Israel mehrere Hisbollah-Kommandeure bei gezielten Luftangriffen tötete.

Gleichzeitig verübten die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen eine Reihe von Angriffen auf zivile Frachtschiffe im Roten Meer. Unterdessen griffen vom Iran unterstützte Milizen US-Streitkräfte im Irak und in Syrien an. Die USA sandten Kriegsschiffe ins Mittelmeer und ins Rote Meer, um die Gewalt einzudämmen. Am späten Donnerstag bombardierten das US-amerikanische und das britische Militär mehr als ein Dutzend Ziele der Huthis im Jemen. Diese begannen bereits mit Vergeltungsschlägen.

Netanjahu fest im Sattel

Der Anschlag vom 7. Oktober traf Israel mit voller Wucht und erschütterte auch das Vertrauen vieler Israelis in ihre Führung. Während sich ein paar israelische Sicherheitsbeamte entschuldigten, die Gefahr eines Überfalls der Hamas nicht richtig eingeschätzt zu haben, und bereits signalisierten, nach dem Krieg zurückzutreten, scheint Premierminister Benjamin Netanjahu fest im Sattel.

Luftaufnahme zeigt zerstörte Gebäude in Gaza Stadt
APA/AFP
Israel reagiert auf den Überfall der Hamas am 7. Oktober mit schweren Luftanschlägen auf den Gazastreifen

Auf einer Pressekonferenz am Samstag kündigte er an: „Niemand wird uns aufhalten.“ „Es ist möglich und notwendig, bis zum Sieg weiterzumachen, und das werden wir tun“, sagte der Regierungschef. Ihm wird von Kritikerinnen und Kritikern vorgeworfen, er habe während seiner gesamten Amtszeit die Palästinenser ignoriert. Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag in Tel Aviv für den Rücktritt Netanjahus.

Friedensinitiativen lehnte der Regierungschef schon vor dem 7. Oktober ab. Stattdessen hatte er versucht, die Beziehungen zu anderen arabischen Ländern zu normalisieren, in der Hoffnung, die Palästinenser unter Druck zu setzen. Kurz vor dem 7. Oktober prahlte Netanjahu noch mit seinen Bemühungen, Beziehungen zu Saudi-Arabien zu knüpfen.

Ausgang ungewiss

Pläne für die Nachkriegszeit werden heute nur selten erwähnt – und wenn, dann von den USA. Diese wollen eine wiederbelebte Palästinensische Autonomiebehörde, die den Gazastreifen regiert, sowie Schritte in Richtung einer Zweistaatenlösung. Israel ist dagegen und will eine langfristige Militärpräsenz in Gaza aufrechterhalten. Doch die USA sind gegen eine Besetzung des Gazastreifens durch Israel.

Erst vor wenigen Tagen lehnte Israel einen von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geforderten Stopp des Militäreinsatzes gegen die Hamas strikt ab. Auch den Vorwurf des Völkermordes in Gaza wies das Land entschieden zurück. Der Wiederaufbau der Region wird jedenfalls noch viele Jahre dauern, die Aufarbeitung des Leides auf allen Seiten ebenfalls.