Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im EU-Parlament, in der ORF-Pressestunde
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EVP-Chef

Rechtsparteien gefährden Fortschritte der EU

Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) und Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, erwartet angesichts guter Umfragewerte für rechtspopulistische, europakritische Parteien einen „heißen“ EU-Wahlkampf. In der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag rechnete er zwar nicht damit, dass diese Parteien eine Mehrheit erhalten. Zugleich warnte er aber, dass die „Fortschritte, die wir in Europa gemacht haben“, infrage gestellt werden könnten.

Als Bedingungen für eine Zusammenarbeit seiner christdemokratisch-konservativen Parteienfamilie nannte Weber: „Pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat.“ Im Fall von Parteien wie der deutschen AfD, der Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen in Frankreich und auch der FPÖ sieht er das nicht gegeben.

Mit Blick auf die Freiheitlichen sagte der EVP-Chef: „Wer (den russischen Präsidenten Wladimir, Anm.) Putin gleichbehandelt mit (dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr, Anm.) Selenskyj steht außerhalb unserer Wertegemeinschaft.“ Die FPÖ tut das seiner Ansicht nach. Deswegen sei auch FPÖ-Obmann Herbert Kickl, als er Innenminister gewesen sei, im Kreis seiner EU-Amtskollegen mit Vorbehalt aufgenommen worden – man habe den Eindruck gehabt, dass alles, was im Innenministerrat gesagt werde, an Moskau weitergegeben werde.

Warum können Rechtspopulisten punkten?

Manfred Weber kritisierte die Einstellungen von Rechtsparteien in puncto EU

Wunsch nach „mehr Mehrheitsentscheidungen“

Laut Weber werden die EVP-Mitglieder auch dieses Mal wieder einen gemeinsamen Spitzenkandidaten bzw. eine Spitzenkandidatin aufstellen, der oder die bei einem Wahlsieg dann auch EU-Kommissionspräsident bzw. -präsidentin werden soll. Weber war 2019 der Spitzenkandidat, Kommissionspräsident wurde er aber nicht. Die Thematik wurde – an den Intentionen vor der Wahl vorbei – einmal mehr im Nachhinein von den Staats- und Regierungschefs paktiert.

Nach der Europawahl wünscht sich Weber „mehr Mehrheitsentscheidungen“ auf europäischer Ebene. Davon verspricht sich der deutsche CSU-Politiker eine Stärkung der EU-Außenpolitik und der Verteidigungsgemeinschaft. Wegen der derzeit nötigen Einstimmigkeit dauern Weber Beschlüsse in diesen beiden Bereichen zu lange.

Wahl des Kommissionspräsidenten

Die EVP will wieder einen Spitzenkandidaten bzw. eine Spitzenkandidatin für den Chefposten der EU-Kommission aufstellen

So befürwortete der 51-Jährige in der „Pressestunde“ vor dem Hintergrund einer Bedrohung durch Russland eine Aufrüstung auf Ebene der europäischen Verteidigung. „Russland rüstet auf. Putin fordert uns heraus“, so Weber. Der hybride Krieg gegen Russland sei bereits da, warnte Weber und nannte russische Wahlbeeinflussung in sozialen Netzwerken und von Moskau gelenkte Flüchtlingsströme über die Grenze nach Finnland und damit in die EU.

„Jeder weiß, dass es mit der Türkei nichts wird“

Was die EU-Erweiterung – etwa um die Westbalkan-Staaten – betrifft, will der EVP-Vorsitzende auf die wirtschaftlichen und politischen Potenziale für alle Beteiligten setzen. Zugleich müsse man aber die finalen Grenzen der EU festlegen. „Wir müssen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden“, verlangte Weber in diesem Zusammenhang. „Jeder weiß, dass es mit der Türkei nichts wird.“ Stattdessen will Weber die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei auf anderem Wege stärken.

Weber glaubt nicht, dass die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns, das wegen seiner rechtsstaatlichen Defizite und der betont EU-kritischen Regierung unter Viktor Orban von den meisten EU-Regierungen und den EU-Institutionen kritisiert wird, zu umgehen ist. Für die zweite Jahreshälfte 2024 erwartet der Europaabgeordnete daher eine „schwierige Zeit“. Trostpflaster für Weber ist, dass der Fokus nach der EU-Wahl im Juni nicht auf Gesetzesprozessen liegen werde, die der ungarische Ratsvorsitz zu managen hat, sondern auf Dingen wie Postenneubesetzungen und Politikneuausrichtung.

Erweiterung der EU

Die Türkei soll keinesfalls EU-Mitglied werden, so Weber

Weber kritisierte, dass Ungarn den Beschluss des EU-Finanzrahmens blockiert und nicht eher zustimmen will, bis EU-Gelder, die wegen der Rechtsstaatsdefizite in Ungarn einbehalten wurden, für das Land freigegeben werden. Einen Kuhhandel dürfe es in der Frage aber nicht geben, Ungarn müsse liefern und die Gesetze EU-konform machen. Man dürfe sich nicht von Orban auf der Nase herumtanzen lassen.

Indirekt kritisierte Weber das Veto Österreichs gegen die volle Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum. Die beiden Länder seien „fit“ dafür, betonte der Bayer. „Man hätte die Argumente der Bulgaren und Rumänen konstruktiver aufnehmen sollen.“

Kritik von FPÖ, SPÖ und Grünen

Der Leiter der FPÖ-Delegation im Europäischen Parlament, Harald Vilimsky, sieht in Webers Aussagen eine „übelste Form der Polemik“. In einer Reaktion via Aussendung stellte Vilimsky die Frage, ob Weber dafür exklusiv vom ORF eine Plattform erhalten habe oder ob nun auch ein Mitglied der Fraktion Identität und Demokratie (ID), zu der die FPÖ-Europaabgeordneten gehören, in die „Pressestunde“ eingeladen wird.

SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder zog in seiner Reaktion den von Weber betonten Anspruch der EVP als führende proeuropäische politische Kraft im EU-Parlament in Zweifel. Die EVP sei selbst nach rechts gerückt und habe wichtige Reformprojekte torpediert.

Auch die Grünen sehen die EVP und Weber eigentlich im Bunde mit der extremen Rechten. „Während er in der ‚Pressestunde‘ groß von der ‚Wahl um Grundsätzliches‘ spricht und sich von den europäischen Rechtsextremen abgrenzt, schließt sich die EVP unter seiner Federführung im Europäischen Parlament seit Monaten genau diesen rechtsextremen Kräften an“, kommentierte der Grüne-EU-Abgeordnete Thomas Waitz.

Die heurige EU-Wahl ist die zehnte Direktwahl zum Europäischen Parlament. Sie findet voraussichtlich von 6. bis 9. Juni in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union statt. Es werden 720 Abgeordnete gewählt, das sind um 15 mehr als im ausgehenden Parlament.