Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg
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EuGH

Häusliche Gewalt ist Fluchtgrund für Frauen

Wegen häuslicher oder anderweitiger Gewalt können Frauen aus Drittstaaten Schutz in der EU erhalten. Die Mitgliedsstaaten können sie als Flüchtlinge anerkennen bzw. zumindest subsidiären Schutz vor einer Abschiebung gewähren, wie am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschied. Amnesty International Österreich sprach gegenüber ORF.at von einem „wegweisenden“ Urteil.

Im konkreten Fall hatte eine Kurdin türkischer Staatsangehörigkeit in Bulgarien um internationalen Schutz nachgesucht. Sie sei zwangsverheiratet worden, habe sich aber scheiden lassen. Daraufhin sei sie von ihrem Ex-Mann und ebenso von ihrer Herkunftsfamilie bedroht worden und fürchte, Opfer eines „Ehrenmordes“ zu werden.

Hierzu urteilte nun der EuGH, dass Frauen unter solchen Umständen als Flüchtlinge anerkannt werden können bzw. ihnen subsidiärer Schutz zugesprochen werden kann. Über den konkreten Fall entscheiden nun die Richter in Bulgarien – sie müssen dabei aber die Rechtsprechung des EuGH beachten. Bei der Flüchtlingseigenschaft gehe es um die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Der subsidiäre Schutz wiederum gilt für jeden Drittstaatsangehörigen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, insbesondere wenn sie tatsächlich Gefahr laufen, getötet zu werden oder Gewalt zu erfahren.

EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt das EU-Recht aus und stellt sicher, dass es in allen Mitgliedsstaaten korrekt zur Anwendung kommt. Zudem entscheidet er in Rechtsstreiten zwischen nationalen Regierungen und EU-Institutionen und kann in bestimmten Fällen von Privatpersonen befasst werden.

Frauen als „soziale Gruppe“

Frauen könnten in diesem Sinn als „soziale Gruppe“ angesehen werden. „Folglich kann ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind“, entschied der EuGH.

Konkret dann, wenn ihnen von einem Angehörigen ihrer Familie oder ihrer Gemeinschaft tatsächlich angedroht wird, wegen eines angenommenen Verstoßes gegen kulturelle, religiöse oder traditionelle Normen getötet zu werden oder andere Gewalttaten zu erleiden. Subsidiärer Schutz könne gewährt werden, wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, einer Frau im Herkunftsland aber „ernsthafter Schaden“ drohe, etwa eine Hinrichtung, Tötung oder eine andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Zur Begründung verwies der EuGH auch auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2011. Das Übereinkommen von Istanbul sei für die EU bindend und erkenne Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung an. Die Konvention ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa, in Österreich trat die Konvention am 1. August 2014 in Kraft.

Amnesty sieht „wegweisenden“ Entscheid

Die Entscheidung des EuGH sei „wegweisend“, so Aimee Stuflesser, Juristin und Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich, gegenüber ORF.at. „Jede Frau, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen ist, hat das Recht, Asyl zu suchen und Schutz zu bekommen – das wurde vom EuGH damit eindeutig festgestellt.“

Die klare Feststellung könnte von nun an als Präzedenzfall dienen und die Entwicklung ähnlicher Rechtsprechungen in anderen EU-Ländern oder Rechtsbereichen beeinflussen. „Darüber hinaus könnte die Entscheidung auch dazu beitragen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines umfassenderen Schutzes geflüchteter Frauen zu schärfen und die rechtlichen Standards in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt zu stärken“, so Stuflesser weiter.

FPÖ sieht „Dammbruch“

Kritik an dem Urteil kam von der FPÖ. Das Urteil sei ein weiterer Beweis dafür, „wie der EuGH mit seiner Rechtsprechung die illegale Masseneinwanderung anheizt, und ist ein ‚Dammbruch‘ in die Richtung, faktisch allen Menschen auf dieser Welt, die in ihrer Heimat von Zwangsehen oder anderen Auswüchsen archaischer Kulturen betroffen sind, das Recht auf Asyleinwanderung zu uns einzuräumen“, so EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky und FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer.