Rettungskräfte in Irbil, Irak
AP/Julia Zimmermann
Iran

Angriffe schüren Sorge vor Nahost-Eskalation

Die jüngsten iranischen Angriffe auf den Irak, Syrien und Pakistan lassen international die Sorgen vor einer weiteren Eskalation in der Region steigen. In Islamabad und Bagdad stoßen die Erklärungen aus Teheran auf taube Ohren. Mit den Angriffen wollte der Iran gleich mehrere Botschaften senden, sagte Iran-Experte Walter Posch im Gespräch mit ORF.at – nicht zuletzt an Israel.

Laut iranischen Aussagen galten die jüngsten Angriffe auf die westpakistanische Provinz Belutschistan am Dienstag, bei denen zwei Kinder getötet und weitere Personen verletzt wurden, „Terroristen“ mit Verbindungen zu Israel. Zuvor berichteten iranische Medien, dass der Angriff der Dschihadistengruppe Dschaisch al-Adl gegolten habe. Dschaisch al-Adl hatte zuletzt zwei Anschläge im Iran verübt.

Im Falle des Angriffs auf die autonome Kurdenregion des Irak in der Nacht von Montag auf Dienstag, aus der der Tod von vier Zivilisten gemeldet worden war, gab Teheran an, ein „Spionagehauptquartier“ des israelischen Geheimdienstes Mossad zerstört zu haben. In puncto Syrien teilte der Iran hingegen mit, Versammlungsorte von Kommandanten der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) getroffen zu haben.

Anschlagsort in Kerman am 3. Jänner 2024, Iran
Reuters/Wana News Agency
Der Iran drohte nach dem Anschlag auf die Stadt Kerman mit über 80 Toten Anfang Jänner mit Vergeltung

Auf ihrer Website sprach die Iranische Revolutionsgarde (IRGC) im Zusammenhang mit den Angriffen von Vergeltung unter anderem für die jüngsten Terroranschläge im Iran sowie die Tötung eines hochrangigen IRGC-Offiziers Ende Dezember in Syrien. Bei einem Anschlag auf eine Trauerfeier anlässlich des Todestags des iranischen Generals Ghassem Soleimani in der Stadt Kerman Anfang Jänner kamen mehr als 80 Menschen ums Leben – der IS reklamierte den Anschlag für sich.

Seit der Islamischen Revolution von 1979 ist Israel der erklärte Erzfeind des Iran. Teheran hat seit den 1990er Jahren seine Beziehungen ausgebaut, um mit der Unterstützung schiitischer Milizen eine „Achse des Widerstands“ gegen Israel zu schaffen. Dem Verbund gehören die islamistische Hamas, die Hisbollah im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen an.

Experte: „Warnung“ an Israelis

Iran-Experte Posch von der Landesverteidigungsakademie sieht vor allem im iranischen Angriff auf Idlib in Syrien eine eindeutige Botschaft an Israel. Bei dem Raketenangriff auf den IS, den der Experte für glaubwürdig hält, gehe es Teheran darum zu beweisen, dass „sie 1.200 Kilometer punktgenau schießen können“. „Das ist auch die Entfernung nach Tel Aviv. Damit schickt der Iran an die Israelis eine Warnung“, sagte Posch. Konkret werde Israel vor einer Ausweitung des Konflikts gewarnt, so Posch.

Im Angriff auf das Wohnhaus eines Geschäftsmannes in der autonomen Kurdenregion des Irak sieht der Iran-Experte hingegen in erster Linie eine Warnung an die hiesigen Kurden, die vom iranischen Regime in der Vergangenheit unterstützt worden waren. Bei dem Angriff kam Berichten zufolge unter anderem der kurdische Geschäftsmann Peschrau Disaji ums Leben, dem gute Verbindungen nach Israel nachgesagt werden.

Posch vermutet, dass der Iran den kurdischen Parteien KDP und PUK im Irak signalisieren wollte, bei ihren Beziehungen zu Israel Vorsicht walten zu lassen. Dass der Iran aber eine Geheimdienstzentrale zerstört habe, glaubt Posch nicht. Auch der Irak wies jene Darstellung zurück.

Rettungskräfte in Irbil, Irak
AP/Julia Zimmermann
Bei dem Angriff im Irak wurde Behörden zufolge das Haus des Geschäftsmannes Peschrau Disaji getroffen

US-Experte: „Angriffe als Signal“ im In- und Ausland

„Aus Teherans Sicht dienen diese Angriffe als Signal der Bereitschaft sowohl für das inländische als auch für das internationale Publikum“, schrieb Masud Mostajabi von der US-Denkfabrik Atlantic Council in einer Analyse. Die Angriffe würden zeigen, dass „der Iran über die Mittel und den Willen verfügt, auf Drohungen gegen Iraner und das iranische Heimatland zu reagieren, ohne einen größeren regionalen Konflikt mit Beteiligung der Vereinigten Staaten wesentlich zu riskieren“, so der Experte.

Pakistan und Irak über Angriffe entsetzt

Der Irak, der politisch und militärisch eng mit dem Iran zusammenarbeitet, sowie Pakistan ließen die Erklärungen aus Teheran nicht gelten. „Die Verletzung von Pakistans Souveränität ist vollkommen inakzeptabel und kann ernsthafte Konsequenzen haben“, hieß es aus dem pakistanischen Außenministerium. Der iranische Botschafter dürfe laut Islamabad derzeit nicht nach Pakistan zurückkehren, außerdem wurde der pakistanische Botschafter aus Teheran abgezogen.

Auch der Irak zog seinen Botschafter aus Teheran ab. Zudem legte Bagdad eine Beschwerde beim UNO-Sicherheitsrat ein. Die Beschwerde beziehe sich auf die „iranischen Raketenaggressionen, die auf die Stadt Erbil abzielten und die zu unschuldigen zivilen Opfern und zu Schäden an öffentlichem und privatem Eigentum führten“, hieß es. Die Angriffe seien eine „eklatante Verletzung der Souveränität des Irak“. International kam viel Kritik am Vorgehen des Iran – darunter aus den USA, Frankreich, Österreich bis hin zu Papst Franziskus. Die Arabische Liga plant eine Dringlichkeitssitzung.

Heikle Phase

„Es ist eine Phase, die jetzt – auch wenn geschossen wird – im Idealfall noch in Diplomatie und in Verhandlungen münden kann, die aber auch die Vorbereitung zu einer Klärung der Fronten der Narrative und zu einem größeren Konflikt werden kann“, sagte Posch. „Es bleibt eigentlich immer noch die typische iranische Art. Es sind Warnungen, es sind Provokationen“, so der Experte.

Zuletzt warnte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian beim Weltwirtschaftsforum in Davos am Mittwoch davor, dass sich die Spannungen im gesamten Nahen Osten verschärfen könnten. „Ein Ende des Genozids in Gaza wird dazu führen, dass Angriffe und Spannungen in der Region beendet werden“, sagte er.

Eine weitere Eskalation in der Region hält der Iran-Experte Posch für möglich. „Ich glaube, dass es den Iranern nicht gelingen wird, dieses Spiel (der Provokationen, Anm.) auf ewig weiterzutreiben.“ Aktuell sei zu erkennen, dass das „Selbstvertrauen“ des Regimes im Iran „viel größer ist, als es noch vor zwei Jahren war“ und dass auch die „Raketentechnik offensichtlich besser fortgeschritten“ sei.

Chance für Israel?

Ob Teheran sein Verhältnis zu Islamabad und Bagdad nachhaltig geschadet hat, lässt sich aktuell schwer einschätzen. Die Angriffe könnten diese mit Blick auf für beide Staaten notwendige Unterstützung aus den USA schwer auf sich sitzen lassen. Fraglich ist laut Posch etwa, ob es sich beim Abzug der Botschafter um eine „symbolische Geste“ in Richtung USA handle, oder ob das auf ernstere diplomatische Verstimmungen schließen lasse.

Für Israel stelle sich die Frage, ob man „dem amerikanischen Präsidenten das Verhalten der USA dem Iran gegenüber als Schwäche auslegen“ und „ihm dann einen Forderungskatalog stellen“ könne. Israel geriet wegen seines Vorgehens im Gazastreifen zuletzt unter Druck. Die Angriffe der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf die Schifffahrt im Roten Meer haben unterdessen das Potenzial, immer weitere Parteien in den Konflikt hineinzuziehen. Die Huthis zählen wie die islamistische Hamas und die libanesische Schiitenorganisation Hisbollah zur „Achse des Widerstands“, einem Netzwerk im Kampf gegen Israel.