Seit Jahrzehnten ist Shell in Nigeria aktiv. Jetzt will das britisch-niederländische Unternehmen seine Geschäfte in dem westafrikanischen Land „optimieren“. Laut dem Konzern soll ein Konsortium aus fünf Erdölunternehmen die Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC) übernehmen und Shell dafür in zwei Tranchen 2,4 Mrd. Dollar (rund 2,2 Mrd. Euro) in die Kassen spülen. Zugleich entledigt sich Shell damit auch eines dunklen Flecks auf der ohnehin scheckigen Weste des Ölunternehmens.
Die Naturverschmutzung im Nigerdelta gilt geradezu als Symbol für Umweltschäden durch die Ölforderung. Schätzungen gehen davon aus, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl in die Umwelt gelangten – sei es durch Unfälle, durch schlecht gewartete oder sabotierte Leitungen. Viele Menschen in der Region haben kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser, Landwirtschaft und Fischerei sind ebenso beeinträchtigt wie die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Lebenserwartung im Nigerdelta liegt deutlich unter der im restlichen Land.
Jahrzehntelange Aufräumarbeiten
Im Jahr 2022 stimmte SPDC nach einem jahrelangen Rechtsstreit einer Strafzahlung von knapp 95 Millionen Euro an Gemeinden im Nigerdelta zu. Dabei ging es freilich „nur“ um Umweltschäden durch Öllecks in den 1970er Jahren. Bereits vor mehr als zehn Jahren veröffentlichte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) eine Studie, wonach die Säuberungsarbeiten in den betroffenen Gebieten bis zu 30 Jahre in Anspruch nehmen könnten.
Darüber hinaus verschärfte die Öl- und Gasförderung die gewaltsamen Spannungen in der Region. Militante Gruppen nehmen auch regelmäßig die Förderanlagen ins Visier. Entführungen von in der Ölindustrie tätigen Ausländerinnen und Ausländern sind keine Seltenheit. Das gilt auch für Vandalismus an den Pipelines.
„Sehr besorgniserregend“
Diese Probleme und die damit einhergehende Kritik am eigenen Unternehmen könnte Shell nun mit dem Verkauf von SPDC loswerden – während es sich die lukrativen Offshore-Geschäfte im Golf von Guinea behält. Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten sehen freilich die Gefahr, dass sich der Konzern damit auch vor der eigenen Verantwortung drückt.
Es wäre „sehr besorgniserregend“, wenn die „offensichtlichen Altlasten“ nicht „angemessen und transparent angegangen würden“, sagte etwa der Umweltaktivist und ehemalige Präsident der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes, Ledum Mitee, laut der Nachrichtenagentur AP. Nnimmo Bassey, Direktor der nigerianischen Interessengruppe Health of Mother Earth Foundation, sagte, Shell müsse die „volle Bezahlung für die Sanierung und Wiederherstellung der verschmutzten Gebiete sowie Wiedergutmachung für die Gemeinden, in denen sie leben“ übernehmen.
Sollte Shell dem nicht nachkommen, müsse die nigerianische Regierung die Zustimmung zum Verkauf verweigern, so die Forderung von Aktivisten, wie dem Direktor des Youths and Environmental Advocacy Centre, Fyneface Dumnamene.
Zustimmung von Regierung erforderlich
Es ist fraglich, wieweit die nigerianische Regierung auf solche Forderungen hört. Fest steht aber, dass Shell auf die Zustimmung des Staates angewiesen ist. SPDC betreibt zwar die Förderanlagen, hält aber selbst nur 30 Prozent daran. Mehrheitlich sind die Vermögenswerte im Besitz der staatlichen nigerianischen Ölgesellschaft NNPC, die einen Anteil von 55 Prozent hält. Die restlichen 15 Prozent verteilen sich auf den französischen Energiekonzern TotalEnergies und die italienische Eni.
Von Shell heißt es in einem auch auf der Unternehmensseite veröffentlichten Statement, dass SPDC weiterhin seinen Verpflichtungen nachkomme. „Als Betreiber des Joint Ventures“ werde das Unternehmen „alle Sanierungsmaßnahmen“ bezüglich vergangener Öllecks erfüllen. Shell verwies überdies auf den „wichtigen Beitrag“, den SPDC „seit Langem“ für die Wirtschaft und die Menschen im Niger-Delta leiste. Viele NGOs in Nigeria, aber auch im Ausland sehen in solchen Aussagen nur schöne Worte.
Widerstand unter Aktionären
Das gilt auch generell für Shells Bekenntnis zum Klimaschutz. So sieht sich der Unternehmensvorstand vier Monate vor der nächsten Hauptversammlung mit wachsendem Widerstand aus der Reihe der Aktionäre konfrontiert.
Laut einem Bericht des „Guardian“ erklärten sich 27 Investoren bereit, eine Resolution zu unterstützen, die von der niederländischen aktivistischen Aktionärsgruppe Follow This eingebracht wurde. Darin wird der Ölkonzern aufgefordert, seine mittelfristigen Emissionsreduktionsziele mit dem Pariser Abkommen von 2015 in Einklang zu bringen.
Großaktionäre an Bord
Follow This hatte ähnliche Anträge bereits in den vergangenen Jahren eingebracht – und war damit jedes Jahr gescheitert. Doch die nun gebildete Aktionärskoalition umfasst laut „Guardian“ immerhin rund fünf Prozent aller Shell-Aktien. An Bord ist unter anderem der britische National Employment Savings Trust (Nest), der die Pensionen von fast einem Viertel der britischen Arbeitnehmer verwaltet.
Auch die französische Vermögensverwaltungsgesellschaft Amundi, die ein Vermögen von fast zwei Mrd. Euro verwaltet, sowie Candriam, Scottish Widows und Rathbones Group unterstützen die Resolution. Follow This rechnet damit, dass bis zur Hauptversammlung im Mai, wenn über die Resolution abgestimmt wird, die Zustimmung unter den Aktionären noch weiter steigt – auch weil Follow This in der diesjährigen Resolution nicht mehr 2030 als konkretes Datum für Maßnahmen nennt.
Shell verweist auf Unternehmensinteressen
Shell gab sich gegenüber dem „Guardian“ betont unbeeindruckt. „Die Resolution 2024 von Follow This ist weitgehend unverändert gegenüber der Vorlage von 2023, die von den Aktionären abgelehnt wurde (wie jedes Jahr seit der ersten Vorlage im Jahr 2016)“, hieß es in einem Statement. Der Vorstand habe den Aktionären bereits mitgeteilt, dass der Antrag „unrealistisch“ sei und die Dinge zu sehr vereinfache. Er hätte „negative Folgen für unsere Kunden“ laufe den „Interessen des Unternehmens und unserer Aktionäre zuwider“.
Bereist vergangenes Jahr prägten Turbulenzen die Hauptversammlung von Shell. Der Vorstand hatte bereits im Vorfeld die Forderungen von Aktionären nach neuen Zielen für die Senkung von Treibhausgasen zurückgewiesen. Wegen Klimaprotesten konnte die Versammlung dann nur mit Verspätung beginnen.