Eine Frau mit Decke auf der Couch
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Einkommen

„Blinder Fleck“ bei Frauenarmut

Mehr Frauen, als die Statistik gewöhnlich ausweist, sind laut zwei aktuellen Studien tatsächlich armutsgefährdet. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn sich ihre Lebenssituation – etwa durch eine Trennung – ändere, hieß es am Donnerstag bei einem Mediengespräch mit Expertinnen in Wien. Auch ein Arbeitsplatz sei keine Versicherung gegen Armut, das Risiko für Frauen sei bisher ein „blinder Fleck“.

Die Berücksichtigung unterschiedlicher Parameter des Einkommens und der Lebensumstände ergibt unterschiedliche Ergebnisse. Mit Blick etwa auf das Haushaltseinkommen erschienen höchstens 15 Prozent der Frauen in Österreich armutsgefährdet.

Blicke man allerdings isoliert auf die Einkommenssituation von Frauen mit Kindern, steige dieser Wert auf etwa 50 Prozent, so Christina Siegert von der Universität Wien. Die Forscherin am Institut für Soziologie hatte in einer Studie untersucht, ob das Einkommen von Menschen in Paarbeziehungen diese auch vor Armut schützt, wenn beide Partner gesondert betrachtet werden.

Einkommensunterschiede schlagen durch

Im Fall einer Trennung etwa sind die beiden Ex-Partner wirtschaftlich meist wieder auf sich allein gestellt. Das schlage vor allem bei Paaren mit Kindern stark durch, da hier die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau besonders ausgeprägt seien.

Mehr Frauen als Männer arbeiten in diesem Fall Teilzeit und verdienen entsprechend weniger. Laut Daten der Statistik Austria lag die Teilzeitquote 2022 insgesamt bei 30,5 Prozent. Bei Männern arbeiteten 12,5, bei Frauen 50,7 in Teilzeit, Tendenz in allen drei Fällen in den letzten 15 Jahren steigend.

Haushaltsrechnung „versteckt“ das Risiko

Auf Basis von Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat aus den Jahren 2016 bis 2019 errechnete Siegert Armutsgefährdungsrisiken für ihre Studie („Vom Haushaltseinkommen verschluckt: Armutsgefährdung und finanzielle Abhängigkeit in Paarhaushalten“) unter verschiedenen Voraussetzungen – mit erstaunlichen Unterschieden: Ging man in Österreich vom gemeinsamen Haushaltseinkommen aus, lag das Risiko zwischen zehn und 16 Prozent, unabhängig vom Geschlecht und dem Bildungsgrad.

Zieht man in der Rechnung allerdings das individuelle Einkommen der beiden Partner heran – berücksichtigt wurden heterosexuelle Paarhaushalte –, ging die Schere weit auf, wie Siegert in dem vom Wissenschaftsnetz Diskurs organisierten Pressegespräch am Donnerstag erklärte.

Eklatante Unterschiede zwischen Geschlechtern

Frauen hätten ein deutlich höheres Armutsrisiko als ihre Partner, insbesondere wenn Kinder da sind: Abhängig vom Bildungsgrad seien zwischen 42 und 59 Prozent der Mütter auf Basis ihres Personeneinkommens armutsgefährdet, heißt es in den Unterlagen zu dem Pressegespräch. Im Vergleich dazu errechnete die Forscherin für Väter unabhängig vom Bildungsgrad ein Risiko für Armutsgefährdung von lediglich neun Prozent.

Teilzeitquoten nach Gemeinde und Geschlecht (Anteil der unselbstständig Erwerbstätigen in Teilzeit), Stand 2021

Der Blick auf das gemeinsame Einkommen verschleiere also das tatsächliche Risiko ein erhebliches Stück weit. „Die Unterschiede zwischen Partnern werden ignoriert“, sagte Siegert. Während Männer „Armut ganz gut auf Basis von ihrem Personeneinkommen vermeiden können“, offenbarten sich viele Hinweise auf Abhängigkeiten bei Frauen und vor allem Müttern. Im internationalen Vergleich sei das etwas „sehr Österreichisches“.

Job allein keine Versicherung

Als Versicherung gegen Armutsgefährdung, Altersarmut und Abhängigkeit werde von der Politik oft empfohlen, doch mehr Stunden in Erwerbsarbeit zu verbringen. Das greife aber zu kurz, zeigte sich die aktuell beim britischen Thinktank Southern African Social Policy Research Insights (SASPRI) tätige österreichische Forscherin Katrin Gasior überzeugt. Die „Arbeit als ‚Heiliger Gral‘, der alles regelt“, sei ein Bild, das vielfach nicht halte – schon allein wegen weiter bestehender Geschlechterunterschiede bei der Entlohnung (Gender-Pay-Gap).

Unterschiedliche Lebensrealitäten

Die Sozialpolitik müsse die unterschiedlichen Lebensrealitäten stärker ins Auge fassen. Auch Gasior berechnete mit ihren Kolleginnen Silvia Avram und Daria Popova in einer als Arbeitspapier („Outside the box – Women’s individual poverty situation in the EU and the role of labour market characteristics and tax-benefit policies“) an der Universität Essex in Großbritannien vorliegenden Analyse mit neuen Methoden das individuelle Armutsrisiko für Frauen. Für Österreich zeige sich, dass selbst bei Vollzeitbeschäftigten erhebliche Unterschiede bestünden: Während das Armutsrisiko bei Männern bei sechs Prozent liege, seien es bei Frauen elf Prozent.

Ihren Berechnungen zufolge könnten rund ein Drittel der Frauen außerdem mehr oder weniger über Nacht in Richtung Armutsgefährdung abdriften, wenn ihr Partner plötzlich wegfallen und Sozialleistungen nicht greifen würden, sagte Gasior. Standarddefinitionen von Armut verschleierten also die prekäre Situation vieler Frauen.