Teilnehmer an einer Demonstration gegen die AfD in Hamburg halten ein Schild mit der Aufschrift „Don’t Nazi, be happy“ in die Höhe
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Deutschland

Zehntausende gegen rechts auf den Straßen

Die Correctiv-Enthüllungen über ein geheimes Vernetzungstreffen Rechter und Rechtsextremer hat in Deutschland eine Welle des Protests ausgelöst. Seit Tagen gehen Zehntausende Menschen in vielen Städten auf die Straßen, rund 90 weitere Demos gegen rechts sind allein am Wochenende geplant. In Hamburg wurde am Freitag eine Demo sogar abgebrochen, weil der Zulauf zu groß war.

Seitdem die Rechercheplattform Correctiv über das Treffen nahe Potsdam, das zur Vernetzung und Geldbeschaffung diente, berichtete, formiert sich in Deutschland breiter Widerstand. Obwohl auch – inzwischen geschasste – CDU-Mitglieder bei dem Geheimtreffen dabei waren, zielen die Proteste, die seit Tagen auf den Straßen vieler Städte stattfindet, hauptsächlich auf die AfD ab. In den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg finden heuer Landtagswahlen statt – die AfD führt dort überall die Umfragen zum Teil deutlich an.

Die Demos in Deutschland waren am vergangenen Wochenende losgegangen, an einer Kundgebung in Potsdam hatten auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock teilgenommen. Die Beteiligung übertrifft durchweg die Erwartungen. In Köln etwa waren am Dienstagabend ursprünglich 1.000 Demonstrierende angemeldet, trotz schneidender Kälte waren es schließlich laut Polizei 30.000.

Extremismus-Forscherin über Proteste gegen rechts

Die Extremismus- und Radikalisierungsforscherin Julia Ebner spricht unter anderem über die Proteste gegen rechts in Deutschland und über ein mögliches Verbot der AfD. Darüber hinaus spricht sie über die Gefahren, die von rechtsradikalen Parteien ausgehen.

90 Demos am Wochenende geplant

Die Zahl der Demos steigt stetig, für das Wochenende wurden insgesamt rund 90 Kundgebungen im ganzen Land angemeldet, wie aus einer Auflistung des Portals Zusammen-gegen-rechts.org mit Stand von Freitagmittag hervorging. Allein in München rufen mehr als 200 Organisationen zu einer Großdemonstration am Sonntag auf, mehr als 30.000 Menschen werden dort erwartet.

In Hamburg marschierten am Freitag laut Polizei schon mehr als 50.000 Menschen auf. Laut dem „Hamburger Abendblatt“ wurde hier die Demonstration am späteren Nachmittag aus Sicherheitsgründen beendet. Man habe auch die Sorge, „dass Menschen in die Alster stürzen könnten“, hieß es.

Der Zulauf scheint nicht abzureißen, auch motiviert durch die Beteiligung Prominenter. So hatten etwa Musiker wie Udo Lindenberg und Schauspieler Matthias Brandt zur Teilnahme aufgerufen, auch viele deutsche Bundesliga-Clubs positionierten sich klar. „Nie wieder ist jetzt! Kommt alle rum“, so etwa der FSV Mainz 05. Es sei fünf vor zwölf, so Christian Streich, Trainer des FC Freiburg. Der Leipizig-Trainer Marco Rose sagte: „Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man gegen Dummheit und Rechtsextremismus in jeder Form aufsteht.“

Hamburg: 50.000 bei Demo gegen rechts

In der deutschen Stadt Hamburg haben laut der Nachrichtenagentur AFP 50.000 Menschen an einer Demonstration gegen rechts teilgenommen. Diese musste sogar frühzeitig abgebrochen werden, weil viel mehr Menschen kamen, als erwartet war. Auch viele Prominente riefen zur Teilnahme an der Demo auf.

Industrie und Gewerkschaften einig

Unterstützt werden die Aufrufe zudem vielerorts von großen gesellschaftlichen Bündnissen, an denen sich neben SPD, Grünen und Linken sowie Kirchen und Gewerkschaften auch Kultureinrichtungen beteiligten.

Selbst die Wirtschaft, traditionell zurückhaltend mit politischen Aussagen, bezog öffentlich Stellung. Etliche deutsche Unternehmenschefs, etwa des Chipherstellers Infineon, des Stiftungskonzerns Bosch und des Chemiekonzerns Evonik, äußerten ihre Sorge, die größte europäische Volkswirtschaft könnte durch Rechtsextremismus bedroht sein – auch im Hinblick auf das Ringen um ausländische Fachkräfte. „Diese verfassungsgefährdenden Gedanken sind Gift für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte etwa der Geschäftsführer des Düsseldorfer Flughafens, Lars Redeligx.

„Schweigende Mehrheit“ lässt von sich hören

Der deutsche Verfassungsschutz stuft Teile der AfD als rechtsextrem ein – und das schon länger. Dennoch hatte sich zuvor nicht ein solch großer Widerstand in der Gesellschaft formiert. Im Moment gingen diejenigen auf die Straße, die schon lange auf einen passenden Anlass gewartet hätten, um ein Zeichen gegen die AfD zu setzen, so der Soziologe Armin Nassehi zur dpa.

Diese könne man tatsächlich als schweigende Mehrheit bezeichnen. Und jetzt sei ein Moment, in dem diese Mehrheit „erkennt, dass es tatsächlich um etwas geht“, so Nassehi. „Und da lässt sie ausnahmsweise von sich hören.“

Schwierige Debatte über Verbot

Diese Woche wurde im deutschen Bundestag auch eine Aktuelle Stunde abgehalten, bei der Politiker aller Fraktionen, freilich mit Ausnahme der AfD, vor der Gefährlichkeit der Partei gewarnt. Vom „Wolf im Schafspelz“ und „Feinden der Demokratie“ war da die Rede. Die Diskussion über ein schon lange überlegtes AfD-Verbot hat nun ebenso wieder Fahrt aufgenommen. Einen entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe könnten die Regierung, der Bundesrat und auch der Bundestag stellen.

Der „taz“ zufolge treten derzeit mindestens 49 Bundestagsabgeordnete für die Prüfung eines Verbotsverfahrens ein, doch eine solche Entscheidung wäre sehr umstritten. So meinte etwa der frühere deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, es gebe in der liberalen Demokratie andere Mittel als ein Verbot.

Pfeifer (ORF) zur AfD

Andreas Pfeifer spricht über die Demonstrationen in Deutschland gegen die AfD und Deportationspläne.

Schwenk von Merz

FDP und CDU sprachen sich auch gegen ein mögliches AfD-Verbot aus. Davon „würde am Ende des Tages nur die AfD profitieren“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Für CDU-Chef Friedrich Merz ist die Sache zusätzlich heikel: Im vergangenen Sommer hatte er sich noch für einen pragmatischeren Umgang mit der AfD ausgesprochen und damit prompt eine Richtungsdebatte in seiner Partei darüber provoziert, ob die „Brandmauer“ zur AfD noch hält.

Im Superwahljahr 2024 aber richtete Merz eine Kampfansage an die AfD: „Wir werden in diese Wahlen gehen mit einer sehr klaren, sehr harten Auseinandersetzung insbesondere gegen die AfD“, so Merz. Auch grenzte er sich deutlich vom parteieigenen Verein Werteunion ab. Man werde es nicht dulden, dass sich CDU-Mitglieder in irgendeiner Weise mit solchen Leuten zusammentun, so Merz.

Werteunion geht eigene Wege

Mitglieder dieser Werteunion waren beim Treffen nahe Potsdam dabei, gegen mindestens einen Vertreter wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Am Samstag will die Werteunion bei einer Mitgliederversammlung entscheiden, ob eine eigene Partei gegründet wird. Ihr Chef könnte dann der frühere Verfassungsschutzpräsident und CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen werden. Gegen ihn läuft schon seit Anfang 2023 ein Parteiausschlussverfahren. Die CDU hatte ihm eine „Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen bis hin zu völkischen Ausdrucksweisen“ vorgeworfen.