Ein Fahrrad Kurier
IMAGO/Zoonar/Yuri Arcurs
Arbeitsüberwachung

KI und die Gefahr der Selbstoptimierung

Die Digitalisierung von Arbeit und der Nutzen von künstlicher Intelligenz (KI) sind in aller Munde – allerdings sind diese Entwicklungen alles andere als neu. Den Arbeitsplatz etwa nur mit einer digitalen Zutrittskarte betreten zu können ist seit Jahrzehnten üblich, genauso wie automatisierte Nachrichten an Busfahrerinnen und Busfahrer, wenn sie laut Fahrplan zu spät dran sind. Problematisch kann der digitale Fortschritt aber dann werden, wenn es um die fortwährende Intensivierung der eigenen Arbeit geht.

Was das bedeutet, erklärt der Soziologe Simon Schaupp im Gespräch mit ORF.at. Er war im Rahmen der Gesprächsreihe „Die neue Zeit kommt nicht von allein“ der NGO Attac am Donnerstag in Wien zu Gast. Im Rahmen seiner Forschung war er selbst unter anderem als Fahrradkurier und Fabriksarbeiter beschäftigt – Branchen, in denen mit „digitalem Feedback“ gearbeitet wird. „Ein relativ neues Modell der Kontrolle ist das Tracken von Arbeitsprozessen, wobei die Daten dann direkt an die Beschäftigten zurückgeleitet werden und ihnen mitteilen, sie sollen sich kontinuierlich selbst optimieren“, so Schaupp.

In der Praxis bedeutet das beispielsweise, dass Fahrradkuriere eine automatisierte „Motivationsmessage“ auf ihr Smartphone geschickt bekommen oder Fabriksarbeiterinnen ein entsprechendes Symbol auf einem vor ihnen hängenden Screen gezeigt wird. Für Beschäftigte stellt sich dabei permanent die Frage: Bin ich genug?

Soziologe Simon Schaupp im Interview in einem Wiener Kaffeehaus
ORF/Dominique Hammer
Kontinuierliche Selbstoptimierung mache krank, so Schaupp

Dabei geht es Schaupp zufolge nicht einmal darum, dass der Chef oder die Chefin genau wisse, wie gut oder schnell man arbeite – schließlich gibt es immer noch Gesetze, die vor individualisierter Leistungskontrolle schützen –, sondern darum, dass Beschäftigte selbst das Gefühl bekommen, möglicherweise zu wenig zu leisten oder minderwertige Arbeit abzuliefern.

Illustrationen ersetzen Sprache

So arbeiten manche Fabriken mit Farbanzeigen – Grün für gut, Rot für schlecht –, die den Arbeiterinnen und Arbeitern ihre persönliche Arbeitsgeschwindigkeit oder -qualität, inklusive Wertung der individuellen Leistung, automatisch rückmelden.

Für die Anwendung von rein bildbasierten Anleitungstechnologien, etwa mit Farben und digitalen Illustrationen, werde nicht einmal Sprache benötigt, so Schaupp. Deshalb sei es ein leichtes, Migrantinnen und Migranten einzubinden. Diese sind im Niedriglohnsektor, der in Österreich laut Statistik Austria rund 15 Prozent ausmacht, überrepräsentiert. „Das kann ein weiterer Faktor sein, wie Unternehmen den Niedriglohnsektor anzapfen und damit Arbeitskosten sparen können“, so der Soziologe zu ORF.at.

„Illusion von Kontrolle“

Oft reiche aber schon allein das Gefühl, überwacht zu werden, um für mehr Effizienz zu sorgen. In manchen Fabriken wird laut Schaupp zum Beispiel mit Kameraattrappen gearbeitet, die gar nicht wirklich filmen.

Zwei Arbeiter in einer Produktionshalle vor einem Screen
Getty Images/Seventyfour
„Digitales Feedback“ wird in Fabriken eingesetzt, um die Effizienz zu steigern

„Es wird eine Illusion von Kontrolle erzeugt“, beschreibt der Soziologe. Das reiche oft aus, um Leistungsdruck zu erzeugen. Dieser wirke sich mitunter negativ auf die seelische und körperliche Gesundheit der Beschäftigten aus. „Das geht dann bis dahin, dass die Leute davon träumen oder gar nicht mehr schlafen können.“

Widerstand mit Wirkung

Doch was von Unternehmerseite häufig nicht einberechnet werde, so der Wissenschaftler, sei die Diskrepanz, die durch Überwachung bzw. die Illusion von Überwachung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite entstehe. Schaupp nahm unter anderem auch die Automobilbranche sozialwissenschaftlich unter die Lupe. Dort sei ein Handschuh getestet worden, der vibrierte, wenn ein falscher Handgriff gemacht wurde. „Das Argument war die Ergonomie, die der Handschuh fördern sollte, und natürlich die Selbstorganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter“, erklärt Schaupp.

Doch die Erfindung schrie nach Boykott. „So etwas kann dafür sorgen, dass ein stärkerer Gegensatz zwischen den Beschäftigten und den Arbeitgebern entsteht, der in erstaunlich intensive Praktiken von Widerständigkeit hineingeht“, beschreibt der Wissenschaftler. „Bis hin zur Sabotage von diesen Technologien.“ Aus diesem Grund habe es der Handschuh nie aus der Pilotphase herausgeschafft. „Ich habe mit den Managern dort Interviews geführt, und sie haben explizit gesagt, dass sie das Projekt abgebrochen haben aufgrund des Widerstands der Beschäftigten“, sagt Schaupp.

Soziologe Simon Schaupp im Interview in einem Wiener Kaffeehaus
ORF/Dominique Hammer
Schaupp fand heraus, dass schon allein die Illusion von Kontrolle Druck macht

„Ausschlaggebend ist, was profitabel ist“

Die häufig prognostizierten Automatisierungswellen der Industrie durch Digitalisierung und KI kann der Soziologe nicht erkennen. „Ausschlaggebend für die Implementierung dieser Technologien ist nicht das, was technisch möglich ist, sondern das, was profitabel ist“, so Schaupp weiter, er kritisiert, dass gerade Geringverdienende in prekären Beschäftigungsverhältnissen die Leidtragenden seien.

Sein wissenschaftliches Resümee: „Digitalisierung nimmt momentan vor allem die Form von algorithmischem Management an und nicht von Automatisierung, was ja auch technisch möglich wäre.“ Insgesamt erkennt Schaupp auf dem Arbeitsmarkt eine deutliche Polarisierung beim Thema Digitalisierung und KI. „Natürlich gibt es durch Digitalisierung auch neue Jobs, die hohe Löhne versprechen und eine gute Arbeitsqualität“, so Schaupp. „Aber im Niedriglohnbereich hat man es mit einer Abwärtsdynamik zu tun.“

Schaupp ist Wissenschaftler an der Universität Basel. Er forscht zu Fragen der Macht in Zusammenhang mit Digitalisierung der Arbeitswelt und der ökologischen Krise sowie zu aktuellen und historischen sozialen Konflikten.