US-Präsident Joe Biden
Reuters/Nathan Howard
Biden

Zweistaatenlösung mit Netanjahu möglich

US-Präsident Joe Biden hat nach Angaben des Weißen Hauses mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu telefoniert und ihm dabei auch seine Vision von einer Zweistaatenlösung dargelegt. In dem Gespräch am Freitag habe Biden seine Vorstellung eines dauerhaften Friedens und beständiger Sicherheit Israels in der Region erörtert, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby.

Obwohl Netanjahu seine Bedenken geäußert habe, sei Biden noch immer der festen Überzeugung, dass eine Zweistaatenlösung der richtige Weg sei. „Wir werden nicht in allen Fragen einer Meinung sein“, sagte Kirby. Gute Freunde und Verbündete könnten diese Art von offenen und unumwundenen Diskussionen führen.

Netanjahu hatte am Donnerstag im offenen Widerspruch zu den USA einen palästinensischen Staat nach Ende des Gaza-Krieges abgelehnt. Mit Blick auf eine Zweistaatenlösung auf Drängen der USA sagte Netanjahu, er müsse imstande sein, auch „Nein“ zu sagen, wenn es nötig ist, selbst zu besten Freunden.

Christophe Kohl (ORF) zur Zweistaatenlösung

ORF-Korrespondent Christophe Kohl spricht über die Reaktion in den USA auf die starre Haltung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu zur Zweistaatenlösung.

„Nein, ist sie nicht“

Kirby sagte nun, das werde die Auffassung Bidens nicht ändern, dass die beste langfristige Lösung für die regionale Sicherheit, insbesondere die Sicherheit des israelischen Volkes, ein freier und unabhängiger palästinensischer Staat sei. Die USA würden weiter dafür werben.

Biden zeigte sich, zumindest öffentlich, optimistisch. Auf die Frage eines Reporters bei einer Veranstaltung in Washington am Freitagnachmittag (Ortszeit), ob eine Zweistaatenlösung unmöglich sei, solange Netanjahu im Amt sei, antwortete Biden laut anwesender Presse: „Nein, ist sie nicht.“ Er denke, dass man in der Lage sein werde, eine Lösung zu finden. Es gebe „verschiedene Arten von Zweistaatenlösungen“.

Der Kommunikationsdirektor des US-Sicherheitsrates, John Kirby
Reuters/Leah Millis
Kirby infomierte Pressevertreter über Bidens Gespräch mit Netanjahu

Biden begrüßt Genehmigung von Mehllieferungen

In dem Gespräch ging es nach Angaben aus Washington auch um andere Themen, etwa den Übergang der israelischen Offensive hin zu gezielteren Militäroperationen, die immer mehr humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen ermöglichen sollen – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Drucks auf die Führung der islamistischen Hamas.

Biden sei auch auf die Verantwortung Israels eingegangen, dabei den Schaden für die Zivilbevölkerung zu verringern und Unschuldige zu schützen. Der US-Präsident habe die Entscheidung der israelischen Regierung begrüßt, die Lieferung von Mehl über den Hafen von Aschdod zuzulassen. Teams beider Länder arbeiteten getrennt voneinander an Optionen für eine direktere Lieferung von Hilfsgütern auf dem Seeweg in den Gazastreifen.

Aschdod ist etwa 40 Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt. Die Stadt am Mittelmeer wird regelmäßig von der Hamas aus dem Palästinensergebiet mit Raketen beschossen. Drei UNO-Organisationen hatten Israel zuletzt aufgefordert, für humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen auch seinen Hafen Aschdod zur Verfügung zu stellen. Die Nutzung von Aschdod werde von den Hilfsorganisationen „dringend benötigt“.

Borrell mit scharfer Kritik an Netanjahu

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach sich am Freitagabend in einer Rede an der Universität der spanischen Stadt Valladolid unterdessen dafür aus, im Nahost-Konflikt eine Zweistaatenlösung „von außen aufzuerlegen“. Netanjahu selbst würde eine Zweistaatenlösung seit 30 Jahren „boykottieren“, sagte Borrell weiter. Der EU-Außenbeauftragte warf Netanjahu in diesem Zusammenhang auch vor, die Hamas finanziert zu haben, „um die Palästinensische Autonomiebehörde der Fatah zu schwächen“.

Der Gazakrieg hatte am 7. Oktober durch einen beispiellosen und brutalen Angriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel begonnen. Er dauert nun schon seit rund dreieinhalb Monaten an. In den vergangenen Jahren sind von Katar aus Millionen von Dollar in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen geflossen. Kritiker werfen Netanjahu vor, diese Zahlungen gebilligt und damit die Finanzierung der Hamas unterstützt zu haben, was der Regierungschef bestreitet.

Hamas nennt Bidens Äußerung „Illusion“

Die Hamas wies Bidens Äußerungen zur Möglichkeit eines palästinensischen Staats am Samstag als „Illusion“ zurück, durch die sich die Palästinenser nicht „täuschen“ ließen. „Unser Volk lässt sich durch die Illusion eines Staats Palästina, die Biden predigt, nicht täuschen“, erklärte Issat al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros.

Ableger von ägyptischer Muslimbruderschaft

Die Hamas war kurz nach Beginn der ersten Intifada im Dezember 1987 gegründet worden. Die Bewegung entstand als Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft und verstand sich als Gegenpol zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Sie trat zunächst als reine Wohltätigkeitsorganisation auf und gründete Schulen und andere soziale Einrichtungen, was ihr in der verarmten Bevölkerung des Gazastreifens große Popularität einbrachte und zu ihrem Sieg bei den bisher letzten Parlamentswahlen in den Palästinensergebieten 2006 führte.

Danach verschärften sich die Rivalitäten mit der Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Nach Gefechten mit Fatah-Kämpfern übernahm die Hamas im Sommer 2007 die Kontrolle im Gazastreifen.

Angriffe auf Chan Junis

Im laufenden Gaza-Krieg hat Israel in der Nacht zu Samstag mehrere Ziele im Norden und Süden des Gazastreifens bombardiert. Augenzeugen berichteten von verstärkten Angriffen auf die Stadt Chan Junis im Süden des Palästinensergebiets. Palästinensische Medien meldeten am Samstag in der Früh zudem intensiven Beschuss rund um die Flüchtlingssiedlung Dschabalija im Norden.

Chan Junis, die größte Stadt im Süden des Gazastreifens, ist derzeit eines der Hauptziele der israelischen Armee. Ihren Angaben zufolge halten sich dort viele hochrangige Mitglieder der radikalislamischen Hamas versteckt.