Demonstranten in München
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Demos gegen rechts

Bis zu 250.000 allein in München

In ganz Deutschland sind auch am Sonntag wieder Hunderttausende Menschen den Aufrufen zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und ein weiteres Erstarken der AfD gefolgt. Der Zulauf war vielerorts weit höher als erwartet. In München beendeten die Organisatoren am Sonntag nach Rücksprache mit der Feuerwehr wegen Überfüllung vorzeitig eine Großkundgebung.

Laut Polizei hatten sich zu dem Zeitpunkt etwa 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Münchener Stadtzentrum eingefunden. Die Veranstalter sprachen von 250.000 Demonstranten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wertete die zahlreichen Kundgebungen wie Vizekanzler Robert Habeck als ermutigendes Signal. Auch aus der Wirtschaft kamen zunehmend Warnungen vor Rechtsextremismus und einem weiteren Aufstieg der AfD.

Vor dem Reichstag in Berlin versammelten sich laut Polizeischätzungen mindestens 60.000 Menschen. Da der Zustrom groß und die Situation dynamisch sei, könnten es aber auch 100.000 Menschen sein, sagte ein Polizeisprecher am frühen Abend. Wegen des großen Andrangs hatte die Polizei die Versammlungsfläche vor dem Bundestag bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung erweitert.

Demonstration in Bremen
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Zehntausende kamen zur Demo in Bremen

„Kein Kölsch für Nazis“

Auch in Köln und Bremen gingen am Sonntag Zehntausende auf die Straßen. In Köln sprachen die Veranstalter von 70.000 Teilnehmenden, die Polizei von mehreren zehntausend. Bereits am Samstag hatten nach Angaben von Veranstaltern bundesweit etwa 300.000 Menschen demonstriert.

Demonstrantin Lisa (18) sagte am Sonntag in Köln: „Nichts sagen wird schon als Zustimmung gewertet, deshalb sind wir hier und sagen ‚Nein‘ zu Rassismus.“ Unzählige Plakate trugen bunte Aufschriften wie „Hass macht krank“ oder „Kein Kölsch für Nazis“. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) appellierte an die Demoteilnehmer, in den Dialog zu treten gegen Hass und Menschenfeindlichkeit. „Wir sind die, die Demokratie verteidigen. Sprechen Sie mit denen, die die Demokratie angreifen.“

Zwischen 35.000 und 40.000 Menschen versammelten sich in Bremen nach Schätzung der Polizei zur Kundgebung „Laut gegen rechts“. Teilnehmende hielten Schilder mit Sprüchen wie „Apfelmus statt Faschismus“ oder „Rechtsaußen finde ich nur bei Werder gut“.

300.000 am Samstag bei Protesten

Bereits am Samstag hatten Zählungen der Polizei und der Veranstalter zufolge deutschlandweit insgesamt mindestens 300.000 Menschen demonstriert. Allein in Frankfurt am Main und in Hannover waren es nach Angaben von Polizei und Veranstaltern jeweils 35.000 Menschen.

Bundespräsident fordert Bündnis aller Demokraten

Bundespräsident Steinmeier wertete die Kundgebungen in ganz Deutschland als Zeichen der Stärke. Die Demonstranten seien ganz unterschiedliche Menschen, hätten aber eines gemeinsam, erklärte Steinmeier in einer am Sonntag verbreiteten Videobotschaft. „Sie stehen jetzt auf gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“, sagte Steinmeier.

Pfeifer (ORF) analysiert deutsche Proteste

Andreas Pfeifer (ORF) analysiert die Proteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland.

Steinmeier rief zu einem Bündnis aller Demokratinnen und Demokraten auf. Die Zukunft der Demokratie hänge nicht von der Lautstärke ihrer Gegner ab, sondern von der Stärke derer, die die Demokratie verteidigten. „Zeigen wir, dass wir gemeinsam stärker sind“, erklärte das Staatsoberhaupt.

Demonstration in Cottbus
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Demo gegen Rechtsextreme in Cottbus

Vizekanzler Habeck wertete die Demonstrationen als ermutigendes Zeichen für die Demokratie. „Demokratie lebt von den Menschen, die dafür aufstehen“, sagte der Grünen-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag-Ausgabe). Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, bezeichnete die Demonstrationen als „gut und wichtig“, forderte zugleich aber weiteren Einsatz.

„Das Gespräch suchen“

„Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Bündnis“, forderte ähnlich wie Steinmeier auch die SPD-Politikerin gegenüber der „Zeit“ (Onlineausgabe). „Und das bedeutet mehr; als ein paarmal auf die Straße zu gehen.“ Alle müssten für die vielfältige Gesellschaft einstehen. „Das heißt, das Gespräch suchen: im Verein, am Arbeitsplatz, in der Familie und unter Freunden. All den rassistischen Sprüchen widersprechen, von denen immer behauptet wird, die wären gar nicht so gemeint.“

Extremismusforscherin über Proteste gegen rechts

Die Extremismus- und Radikalisierungsforscherin Julia Ebner spricht unter anderem über die Proteste gegen rechts in Deutschland und über ein mögliches Verbot der AfD. Darüber hinaus spricht sie über die Gefahren, die von rechtsradikalen Parteien ausgehen.

Auschwitz-Komitee: Lange darauf gehofft

Das Internationale Auschwitz Komitee dankte den Menschen, die im ganzen Land protestierten. „Überlebende des Holocaust sind all denjenigen, die in diesen Tagen gegen den Hass und die Lügenwelt der Rechtsextremen auf die Straße gehen, mehr als dankbar. Sie empfinden diese Demonstrationen als ein machtvolles Zeichen der Bürgerinnen und Bürger und eine Belebung der Demokratie, auf die sie lange gehofft und gewartet haben“, teilte Exekutivvizepräsident Christoph Heubner am Samstagabend mit.

Manager warnen vor Wohlstandsverlust

Auch aus der Wirtschaft kommen zunehmend Warnungen vor Rechtsextremismus und einem weiteren Aufstieg der AfD. Joe Kaeser, der Aufsichtsratschef von Siemens Energy und Daimler Truck, forderte in einem Reuters-Interview Wirtschaftsvertreter auf, auf die Folgen von AfD-Wahlerfolgen hinzuweisen: „Wer die AfD wählt, entscheidet sich für den Verlust des Wohlstands unseres Landes und seiner Bürger.“ Die „Börsen-Zeitung“ sammelte Stellungnahmen zahlreicher im Leitindex DAX geführter Unternehmen, in denen sich die Firmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und „politischen Extremismus am rechten Rand“ aussprachen.

Auslöser für die Proteste sind die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über „Remigration“ gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.