Demonstranten in Berlin
AP/Ebrahim Noroozi
„Wochenende der Hoffnung“

Über eine Million bei Demos gegen rechts

Mehr als eine Million Menschen haben nach Veranstalterangaben am Wochenende in Deutschland gegen Rechtsextremismus protestiert. Laut deutschem Innenministerium nahmen insgesamt rund 910.000 Menschen an den Protesten teil. Allein in Berlin seien am Sonntag 350.000 Menschen auf die Straße gegangen, teilten das Netzwerk Campact und „Fridays for Future“ mit, die dort Mitveranstalter waren. In München sprachen die Veranstalter von rund 250.000 Teilnehmenden.

Zusammen mit den Demonstrationen am Freitag und Samstag errechneten die Organisationen eine Gesamtzahl von 1,4 Millionen Teilnehmenden. Laut Campact gab es allein am Sonntag mindestens 40 Kundgebungen in ganz Deutschland, teils auch in kleineren Orten. Campact-Vorstand Christoph Bautz sprach von einem „Wochenende der Hoffnung“. Spitzenpolitiker unterschiedlicher Parteien stellten sich hinter die Kundgebungen und bezeichneten diese unter anderem als starkes Signal gegen Rechtsextremismus und für ein demokratisches Miteinander.

In Berlin strömten am Sonntagnachmittag so viele Menschen zu der Demonstration, dass die Versammlungsfläche erweitert wurde. U-Bahn-Stationen und Brücken wurden wegen des Andrangs gesperrt. Die Großdemonstration in München wurde am Nachmittag aus Sicherheitsgründen abgebrochen, da der Veranstaltungsbereich völlig überfüllt war. Die Polizei nannte in Berlin zunächst eine Zahl von etwa 100.000 Teilnehmenden, ebenso viele in München.

Demonstration in Bremen
IMAGO/Axel Kaste
Zehntausende kamen zur Demo in Bremen

Köln, Bremen, Dresden

Bei der Demonstration in Köln herrschte ebenfalls großer Andrang. Die Veranstalter sprachen von 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. In Bremen nahmen laut Veranstaltern und Polizei 40.000 bis 50.000 Menschen teil. In Leipzig schätzten die Organisatoren die Teilnehmerzahl auf mehr als 40.000.

In Dresden wurde wegen der „enormen Teilnehmerzahl“ laut Polizei ebenfalls die ursprüngliche Aufzugsstrecke verlängert. Ein Polizeisprecher sagte, es seien mehrere tausend Menschen unterwegs, die Veranstalter sprachen von 50.000. Im brandenburgischen Cottbus nahmen nach Veranstalterangaben mehr als 5.000 Menschen an der Demonstration teil.

Bereits am Freitag und Samstag hatten in zahlreichen deutschen Städten insgesamt Hunderttausende Menschen demonstriert. Die größten Kundgebungen fanden am Samstag in Frankfurt am Main, Hannover und Dortmund statt. Am Freitagabend war bereits eine Demonstration in Hamburg wegen Überfüllung vorzeitig beendet worden. Hier wurde als Teilnehmerzahl bis zu 160.000 genannt, die Polizei sprach von mehr als 50.000.

Pfeifer (ORF) analysiert deutsche Proteste

Andreas Pfeifer (ORF) analysiert die Proteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland.

Bundespräsident fordert Bündnis aller Demokraten

Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier wertete die Kundgebungen in ganz Deutschland als Zeichen der Stärke. Die Demonstranten seien ganz unterschiedliche Menschen, hätten aber eines gemeinsam, erklärte Steinmeier in einer am Sonntag verbreiteten Videobotschaft. „Sie stehen jetzt auf gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“, sagte Steinmeier.

Steinmeier rief zu einem Bündnis aller Demokratinnen und Demokraten auf. Die Zukunft der Demokratie hänge nicht von der Lautstärke ihrer Gegner ab, sondern von der Stärke derer, die die Demokratie verteidigten. „Zeigen wir, dass wir gemeinsam stärker sind“, erklärte das Staatsoberhaupt.

Demonstration in Cottbus
IMAGO/Rainer Weisflog
Demo gegen Rechtsextreme in Cottbus

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) wertete die Demonstrationen als ermutigendes Zeichen für die Demokratie. „Demokratie lebt von den Menschen, die dafür aufstehen“, sagte der Grünen-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag-Ausgabe). Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, bezeichnete die Demonstrationen als „gut und wichtig“, forderte zugleich aber weiteren Einsatz.

„Das Gespräch suchen“

„Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Bündnis“, forderte ähnlich wie Steinmeier auch die SPD-Politikerin gegenüber der „Zeit“ (Onlineausgabe). „Und das bedeutet mehr; als ein paarmal auf die Straße zu gehen.“ Alle müssten für die vielfältige Gesellschaft einstehen. „Das heißt, das Gespräch suchen: im Verein, am Arbeitsplatz, in der Familie und unter Freunden. All den rassistischen Sprüchen widersprechen, von denen immer behauptet wird, die wären gar nicht so gemeint.“

Extremismusforscherin über Proteste gegen rechts

Die Extremismus- und Radikalisierungsforscherin Julia Ebner spricht unter anderem über die Proteste gegen rechts in Deutschland und über ein mögliches Verbot der AfD. Darüber hinaus spricht sie über die Gefahren, die von rechtsradikalen Parteien ausgehen.

Auschwitz-Komitee: Lange darauf gehofft

Das Internationale Auschwitz Komitee dankte den Menschen, die im ganzen Land protestierten. „Überlebende des Holocaust sind all denjenigen, die in diesen Tagen gegen den Hass und die Lügenwelt der Rechtsextremen auf die Straße gehen, mehr als dankbar. Sie empfinden diese Demonstrationen als ein machtvolles Zeichen der Bürgerinnen und Bürger und eine Belebung der Demokratie, auf die sie lange gehofft und gewartet haben“, teilte Exekutivvizepräsident Christoph Heubner am Samstagabend mit.

Manager warnen vor Wohlstandsverlust

Auch aus der Wirtschaft kommen zunehmend Warnungen vor Rechtsextremismus und einem weiteren Aufstieg der AfD. Joe Kaeser, der Aufsichtsratschef von Siemens Energy und Daimler Truck, forderte in einem Reuters-Interview Wirtschaftsvertreter auf, auf die Folgen von AfD-Wahlerfolgen hinzuweisen: „Wer die AfD wählt, entscheidet sich für den Verlust des Wohlstands unseres Landes und seiner Bürger.“ Die „Börsen-Zeitung“ sammelte Stellungnahmen zahlreicher im Leitindex DAX geführter Unternehmen, in denen sich die Firmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und „politischen Extremismus am rechten Rand“ aussprachen.

Auslöser für die Proteste sind die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über „Remigration“ gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Auch in Wien Demo gegen rechts geplant

Nach den Kundgebungen in Deutschland ist auch in Wien eine ähnliche Demonstration geplant. Unter dem Titel „Demokratie verteidigen!“ ist für Freitagabend ein „Aufstehen gegen die rechte Gefahr“ in Planung. Initiiert wurde die Demo von „Fridays for Future“, „Black Voices“ und der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, Unterstützung kam unter anderem von SOS Mitmensch.