Zahlreiche Personen protestierein in der Nähe des Wohnsitzes des israelischen Premier Benjamin Netanyahu in Caesarea.
AP/Leo Correa
Sofortiger Deal gefordert

Geiselangehörige erhöhen Druck auf Regierung

Mit neuen Protestaktionen, darunter einem vor der Residenz von Premier Benjamin Netanjahu aufgeschlagenen Zeltlager und einer gestürmten Ausschusssitzung im Parlament, haben Angehörige der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln am Montag in Jerusalem einen neuen Verhandlungsvorstoß eingefordert. Erklärtes Ziel sei ein sofortiger Deal – ob und wann es dazu kommt, bleibt fraglich: Netanjahu lehnt die von der Terrororganisation Hamas genannten Bedingungen bisher kategorisch ab.

„Wir rufen unsere Regierung auf, ihrer Rolle gerecht zu werden und ein Abkommen vorzuschlagen“, forderte John Polin in der Nacht auf Montag vor dem Amtssitz des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Polins Sohn Hersh Goldberg-Polin war am 7. Oktober bei dem Hamas-Überfall auf das Nova-Musikfestival schwer verletzt und entführt worden.

Man wolle nun so lange vor Netanjahus Privathaus ausharren, bis dieser einer Einigung zustimmt, heißt es laut Times of Jerusalem dazu vom Forum der Familien der Geiseln und Vermissten, das hinter der Protestaktion steht.

Angehörige der Geiseln bei einer Regierungssitzung in Jerusalem
Reuters/Steven Scheer
Geiselangehörige haben am Montag eine Sitzung in der Knesset unterbrochen

Sitzung gestürmt

Proteste gab es am Montag auch vor und in der Knesset. Aufgebrachte Angehörige der im Gaza-Krieg entführten Geiseln störten dabei auch eine Sitzung eines israelischen Parlamentsausschusses. Die etwa 20 Männer und Frauen in schwarzen T-Shirts drangen in den Sitzungsraum ein und verlangten von den Abgeordneten verstärkte Anstrengungen, um ihre Verwandten aus der Gewalt der Hamas zu befreien. „Sie werden nicht hier herumsitzen, während sie sterben“, stand auf einem Plakat.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses, Mosche Gafni von den Ultraorthodoxen, versuchte, die Protestierenden zu beruhigen. „Die Befreiung von Gefangenen ist das wichtigste Gebot im Judentum“, sagte er. Die Saaldiener griffen nicht ein.

Geiselangehörige stürmen Parlamentssitzung

Angehörige der von der Terrororganisation Hamas in den Gazastreifen entführten Geiseln haben eine Sitzung eines israelischen Parlamentsausschusses in Jerusalem gestürmt. Sie warfen der Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu Untätigkeit vor.

„Wenn wir akzeptieren, sind Soldaten umsonst gestorben“

Netanjahu lehnte erst am Sonntag die Bedingungen der Hamas für eine Freilassung der Geiseln kategorisch ab. Die islamistische Palästinenserorganisation verlange „ein Ende des Krieges, den Rückzug unserer Streitkräfte aus dem Gazastreifen, die Freilassung aller Mörder“, sagte Netanjahu am Sonntag.

„Wenn wir das akzeptieren, sind unsere Soldaten umsonst gestorben (…), und wir können die Sicherheit unserer Bürger nicht mehr garantieren“, fügte er hinzu. Zuvor hatte Netanjahu immer wieder betont, man werde den Krieg in Gaza weiter fortsetzen, „bis zum vollständigen Sieg, bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“.

Die zur Geiselfreilassung gestellten Bedingungen veröffentlichte die Hamas zuletzt in einem am Sonntag bekanntgewordenen Schreiben, mit dem sich die Terrororganisation erstmals auch zum brutalen Angriff auf Israel am 7. Oktober äußerte. Bei dem offenkundigen Versuch der Rechtfertigung des Terrorangriffs sprach die Hamas von einem „notwendigen Schritt“ und räumte gleichzeitig auch nicht näher genannte „mögliche Fehler“ ein. Gegen jede Evidenz bestritt die Terrororganisation jedoch eine gezielte Tötung von Zivilisten und Zivilistinnen.

Angehörige der Geiseln protestieren in Jerusalem
APA/AFP/Menahem Kahana
Angehörige von Geiseln fordern von Netanjahu einen neuen und schnellen Anlauf für Verhandlungen mit der Hamas

Bericht über laufende Vermittlungsversuche

Laut einem Bericht der US-Zeitung „Wall Street Journal“ („WSJ“) vom Sonntag laufen derzeit Verhandlungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten mit Israel und der Hamas auf Hochtouren, um beide Seiten zu einer entsprechenden Einigung zu bewegen. Ziel der Vermittler sei die Freilassung der Geiseln im Austausch für einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen.

Dem Bericht zufolge ist Israel weit von seinem nach dem Hamas-Überfall erklärten Ziel entfernt, die im Gazastreifen herrschende Palästinenserorganisation zu zerstören. Unter Berufung auf US-Geheimdienste berichtete die Zeitung, dass die israelische Armee seit Beginn des Krieges am 7. Oktober „etwa 20 bis 30 Prozent“ der Hamas-Kämpfer getötet habe.

Axios: Zweimonatige Feuerpause angeboten

Weiteren US-Medienberichten zufolge sollte der US-Koordinator für den Nahen Osten, Brett McGurk, mit Wochenbeginn in Kairo mit hochrangigen Vertretern zusammentreffen und anschließend nach Katar weiterreisen, um ein neues Abkommen auszuhandeln.

Und wie das US-Nachrichtenportal Axios berichtet, soll Israel eine zweimonatige Feuerpause im Gazastreifen angeboten haben. Im Gegenzug müssten alle Geiseln freigelassen werden, schreibt Axios unter Berufung auf zwei israelische Vertreter. Der Vorschlag sei der Hamas über katarische und ägyptische Vermittler überbracht worden.

Noch 132 Geiseln im Gazastreifen vermutet

Am 7. Oktober waren Hunderte Anhänger der islamistischen Hamas in israelische Orte eingedrungen. Bei ihrem beispiellosen Überfall verübten sie Massaker an Zivilisten, töteten etwa 1.140 Menschen und verschleppten 250 Menschen als Geiseln. Rund 100 Geiseln kamen während einer von Katar, Ägypten und den USA vermittelten einwöchigen Feuerpause im November frei, 132 Geiseln sind israelischen Angaben zufolge noch immer in der Gewalt der Hamas und von mit ihr verbündeten Organisationen, 28 von ihnen sollen tot sein.

Als Reaktion auf den Überfall erklärte Israel der Hamas den Krieg und startete einen schweren Militäreinsatz im Gazastreifen. Nach jüngsten Angaben vonseiten der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort seither mehr als 25.200 Menschen getötet.

Israel: Geiselverlies in Gaza-Tunnel gefunden

Im Gazastreifen dauerten die Kämpfe zwischen Israels Armee und der Hamas auch am Montag an. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP unter anderem von heftigem Artilleriefeuer, vorrückenden Panzern und Gefechten nahe der Al-Aksa-Universität und des Nasser-Krankenhauses in Chan Junis, einer Hamas-Hochburg, wo die israelische Armee am Wochenende einen Tunnel mit „Beweisen für die Anwesenheit von Geiseln“ entdeckt hatte.

Geiselverlies in Gaza-Tunnel gefunden

Das israelische Militär fand unterdessen nach eigenen Angaben im Gazastreifen einen Tunnel, der in Teilen als Verlies für aus Israel verschleppte Menschen gedient hat.

Den israelischen Militärangaben zufolge wurde ein Tunnel gefunden, der in Teilen als Verlies für aus Israel verschleppte Menschen gedient hat. Der Tunnel sei unter dem Haus eines Hamas-Terroristen in Chan Junis entdeckt worden. Die Geiseln hätten sich dort zu unterschiedlichen Zeiten befunden, einige von ihnen seien inzwischen durch einen Austausch gegen palästinensische Häftlinge freigekommen.

Israels Armeesprecher Daniel Hagari präsentierte Fotos von der unterirdischen Anlage, in der die Geiseln in Gefangenschaft gewesen sein sollen. Er zeigte auch Abbildungen von Kinderzeichnungen, die ein fünfjähriges Mädchen angefertigt haben soll, das unter den Ende November freigelassenen Geiseln war.