Wrackteile eines Flugzeuges in einem Feld
IMAGO/ITAR-TASS
Russland – Ukraine

Viele offene Fragen nach Flugzeugabsturz

Nach dem Absturz eines russischen Transportflugzeugs mit laut Moskau 74 Menschen an Bord am Mittwoch sind zahlreiche Fragen offen. Russland beschuldigt die Ukraine, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Kiew forderte eine internationale Untersuchung, hält sich sonst aber mit Informationen zurück. Am Donnerstag tauchten Spekulationen über einen irrtümlichen Abschuss auf.

Fakt ist, dass die Iljuschin Il-76, ein schweres Transportflugzeug, entwickelt noch in der Ex-Sowjetunion, in der Region Belgorod im russisch-ukrainischen Grenzgebiet abstürzte. Laut Moskau befanden sich 65 ukrainische Kriegsgefangene und neun Crewmitglieder bzw. Wachen an Bord.

Ob das tatsächlich der Fall war, war auch am Donnerstag ebenso unklar wie die tatsächliche Ursache des Absturzes. „Die ukrainische Führung war sich darüber im Klaren, dass die ukrainischen Soldaten gemäß der üblichen Praxis heute mit einem Militärtransportflugzeug zum Flugplatz Belgorod transportiert werden sollten, um ausgetauscht zu werden“, hatte das Verteidigungsministerium in Moskau danach erklärt. Die Übergabe sei für Mittwochnachmittag am Kontrollpunkt Kolotilowka in der Region Belgorod vereinbart gewesen.

Zudem leitete Russland eine Untersuchung wegen „Terrorismus“ ein. Das russische Ermittlungskomitee, das für die Verfolgung schwerer Straftaten zuständig ist, erklärte am Donnerstag, die Ermittler hätten bei der Absturzstelle menschliche Überreste und die Flugschreiber der Maschine gefunden.

Ein möglicher „schrecklicher Fehler“

Am Donnerstag berichtete die BBC, es sei tatsächlich ein Gefangenenaustausch vereinbart gewesen, nur wolle das niemand in Kiew offiziell bestätigen. In Russland kursierten „wilde Gerüchte“, auch jenes, die Ukraine könnte ihre eigenen Soldaten getötet haben – absurd, wie der britische Sender schrieb.

Wrackteile eines Flugzeuges in einem Feld
IMAGO/ITAR-TASS
Wrackteile der Maschine, die laut russischen Angaben gegen 11.00 Uhr Ortszeit (9.00 Uhr MEZ) nahe dem Dorf Jablonowo abstürzte

Allerdings: Es gebe auch Spekulationen, der Ukraine könne ein „schrecklicher Fehler“ passiert und das Flugzeug abgeschossen worden sein, als es sich der ukrainischen Grenze näherte. Die Maschine stürzte noch auf russischem Territorium ab.

Erste Version revidiert

Als Indiz für einen solchen möglichen Fehler verwies die BBC auf einen anfänglichen Bericht des Nachrichtenportals Ukrajinska Prawda unter Berufung auf den ukrainischen Generalstab, das Flugzeug hätte russische Flugabwehrraketen S-300 an die Front bringen sollen, auch von einem Abschuss sei inoffiziell die Rede gewesen.

Diese Version wurde schließlich geändert. Das ukrainische Verteidigungsministerium und die Luftstreitkräfte hielten sich zunächst mit einer Stellungnahme zurück. Später hieß es in einer Erklärung, die ukrainische Armee werde „weiterhin Maßnahmen zur Zerstörung von Lieferfahrzeugen und zur Kontrolle des Luftraums ergreifen, um die terroristische Bedrohung zu beseitigen“. Auf den Flugzeugabsturz ging die Armee nicht ein.

Gegenseitige Schuldzuweisungen und zwei Wahrheiten

Die Angaben beider Seiten seien – wie so oft – kaum objektiv zu überprüfen und folglich mit Vorsicht zu genießen, erinnerte die BBC am Donnerstag. Es gebe Kriege, die mit Waffen ausgefochten werden, und es gebe Informationskriege. Länder, die Krieg führen, täten das gewöhnlich an beiden Fronten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte internationale Aufklärung. Der ukrainische Militärgeheimdienst versuche, mehr über das Schicksal der Dutzenden ukrainischen Kriegsgefangenen zu erfahren, die laut Moskauer Angaben an Bord der Maschine gewesen sein sollen, sagte er in seiner abendlichen Ansprache am Mittwoch.

„Wir haben derzeit keine zuverlässigen und vollständigen Informationen darüber, wer oder wie viele Personen an Bord des Flugzeugs waren“, hieß es vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst. Außerdem sei die Ukraine nicht über das Flugzeug informiert gewesen und habe folglich nicht gewusst, dass sie „die Sicherheit des Luftraums“ gewährleisten müsse. Der Geheimdienst warf Russland indirekt vor, einen Abschuss in Kauf genommen zu haben. Russland widersprach am Donnerstag erneut. Die Ukraine sei über den Transport informiert gewesen.