ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer
IMAGO/Harald Dostal
Nehammer-Rede

„Ziel der ÖVP war Themensetzung“

ÖVP-Chef Karl Nehammer hat am Freitag vor rund 2.000 Unterstützern und Unterstützerinnen in Wels seinen Nationalratswahlkampf gestartet und sich dabei zum einzigen Gegner von FPÖ-Chef Herbert Kickl stilisiert, ohne diesen namentlich zu nennen. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sieht mit der Rede und dem „Österreich-Plan“ zwei strategische Ziele verbunden, wie er in der ZIB2 sagte: Ausrufung des „Kanzlerduells“ und – zentral – Themensetzung.

Es habe sich um eine „Wahlrede des ÖVP-Parteichefs Nehammer“ bzw. um „die Präsentation eines Wahlprogramms“ gehandelt, so Filzmaier. In diesem „Österreich-Plan“ sei auf über 80 Seiten eine breite Palette an Forderungen und Wünschen enthalten. „Daran ist nichts Verwerfliches, doch man kann vorhalten, wie die Opposition das macht, dass das die ÖVP während der Regierungszeit energischer hätte einbringen können oder gar hätte umsetzen müssen“, so Filzmaier.

Ob mit dem Plan auch FPÖ-Wählerschaft angesprochen werden könne, bezweifelt Filzmaier. „Die Kommunikationswissenschaft hat sich weiterentwickelt“, nicht einmal eine Mobilisierung von ÖVP-Kernschichten ergebe zum jetzigen Zeitpunkt der Rede Sinn, meint der Experte. Das Ziel der Themensetzung allerdings könnte für die ÖVP funktionieren, so der Politikwissenschaftler – für ihn das zentrale Motiv.

Versuch, in „Duellsituation zu kommen“

Eine Woche lang seien Teile des „Österreich-Plans“ Medien bereits zugespielt worden, mit dem Ergebnis, dass darüber diskutiert worden sei und diskutiert werde. Auch gerade durch die Kritik werde wieder über jene Themen diskutiert, „die die ÖVP will“. Das seien gleichzeitig jene, „die die FPÖ will“. Nehammer habe zugleich ein „Kanzlerduell“ ausgerufen – es gehe darum, mit Kickl in eine „Duellsituation zu kommen“, um die ja derzeit Babler und Nehammer konkurrieren.

Politologe Filzmaier zu Nehammer-Rede

Politologe Peter Filzmaier analysiert die Schwerpunkte der Grundsatzrede.

Bei der Rede Nehammers wurde dieses Ansinnen rasch klar: „Es wird ein Jahr der Entscheidungen sein zwischen demjenigen, der sich in der dunklen Vergangenheit verliert und lieber an Verschwörungen glaubt“, so Nehammer, „und es wird die Entscheidung sein zwischen ihm und mir als Bundeskanzler von Österreich, der an die Zukunft dieses Landes und die Zukunft der Menschen in diesem Land glaubt.“ Die Frage für Nehammer lautet: „gestalten oder spalten?“

Bereits im Vorprogramm hatte es Angriffe vor allem gegen die FPÖ, aber auch die SPÖ und Klimaaktivisten gesetzt. Speziell Generalsekretär Christian Stocker und Klubchef August Wöginger schossen sich auf Kickl ein, Stocker nannte den FPÖ-Chef gar einen „Versager“. Eingespielt wurden auch Videos, die etwa Kickls früheres Plädoyer für Lockdowns zum Inhalt hatten.

Zuletzt lancierte Inhalte wiedergegeben

In seiner knapp 40-minütigen Rede breitete Nehammer dann jene Inhalte aus, die Medien bereits zuletzt zur Verfügung gestellt worden waren. Nehammer will etwa Wohnungseigentum stärken. Eine halbe Million mehr Eigentümer soll es bis 2030 geben. 800 neue Kassenstellen will er in diesem Zeitraum schaffen, die Lohnnebenkosten senken, mit dem „Regulierungswahnsinn“ aufhören, alle Steuern auf Überstunden abschaffen und jene mit 1.000 Euro belohnen, die Vollzeit arbeiten.

Nehammer präsentiert „Österreich-Plan“

In einer Grundsatzrede präsentierte ÖVP-Obmann und Bundeskanzler Karl Nehammer seine Vorstellung der Zukunft Österreichs. Angesprochen wurden Punkte wie Erleichterungen bei Immobilienkäufen, Ausbau der ärztlichen Kassenstellen und die Einschränkung von Sozialleistungen für Ausländer.

Ökologie will Nehammer mit Ökonomie vereinen. Der Straßenbau soll dabei nicht zu kurz kommen. Weiterer Schwerpunkt ist die Sicherheit – von erhöhtem Verteidigungsbudget bis Terrorbekämpfung. Sozialleistungen für Zuwanderer soll es erst nach fünf Jahren geben, und was er von diesen erwartet, machte der Kanzler auch klar. „In meinem Verständnis ist Integration Anpassung“, auch wenn die FPÖ diese Idee für sich reklamiere.

Wildern bei der FPÖ

Auch sonst wilderte der Kanzler in freiheitlichem Territorium, sprach er sich doch für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen sowie in Drittstaaten und generell für eine Neukonzeption des europäischen Asylsystems aus. Doch auch hier, so betonte Nehammer, gebe es „eine klare Abgrenzung zu den Rechtsextremen“. Auch den Leitkulturbegriff reklamierte er für sich, weder von „den Radikalen“ noch von „linken Träumern“ dürfe man sich das wegnehmen lassen.

Keine Äußerung zu Wahltermin

Keinerlei Äußerung gab es von Nehammer zur Frage einer allfällig vorgezogenen Neuwahl. Zuletzt hatten sich die Hinweise verdichtet, dass in der ÖVP jene die Oberhand gewinnen, die die eigentlich erst Ende September fällige Nationalratswahl mit der EU-Wahl am 9. Juni zusammenlegen wollen. Den ÖVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl lobte Nehammer ausdrücklich. „Danke, dass du dir das antust“, sagte er zu Reinhold Lopatka.

Von zahlreichen Ministern und schwarzen Landeschefs erhielt Nehammer für dessen Rede Lob. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) signalisierte Nehammer nach dessen Rede volle Unterstützung: „Es geht darum, in Zeiten, in denen die radikalen Ränder immer lauter werden, der breiten Mehrheit der Mitte eine starke Stimme zu geben“ – mehr dazu in noe.ORF.at.

Reichlich Parteiprominenz

In die Welser Messe gekommen waren ein großer Teil der schwarzen Regierungsmannschaft und fast alle Landeshauptleute aus den Reihen der ÖVP, aber auch Parteiprominenz von früher: von Ex-Parteichef Josef Pröll über die Ex-Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol und Benita Ferrero-Waldner bis hin zu den Altlandeshauptleuten Erwin Pröll, Josef Pühringer und Waltraud Klasnic.

Zum Auftakt begrüßte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer die Gäste, lobte Nehammer als Staatsmann und Umsetzer und formulierte eine Absage an „unrealistische Träumerleins mit Umsetzungsschwächen“ ebenso wie an „verbitterte Hetzer“. „Darum bist du der Bundeskanzler“, so Stelzer, „und es soll auch kein anderer werden.“

Kogler: „Viel altes Denken“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ortete am Rande der Demo gegen rechts am Freitagabend „wenige Überschneidungen“ und „doch viel altes Denken einer rechtskonservativen Partei“ in der Rede. Auswirkungen auf die Regierung sah er vorerst aber keine. Nehammers Auftritt sei die „Rede eines Parteiobmanns für die Jahre 2030 fortfolgende“ gewesen. Man habe als Regierung noch genug zu tun – angefangen von den Reparaturaufträgen des Verfassungsgerichtshofs etwa beim ORF-Gesetz und den Vollspaltenböden bis zum Klima- und Bodenschutz.

Babler: „Heiratsantrag an FPÖ“

Die Reaktionen der Opposition fielen ablehnend aus. SPÖ-Chef Andreas Babler sah eine Verhöhnung der Bevölkerung. Türkis-Grün sei Geschichte, und die ÖVP habe der FPÖ einen Heiratsantrag gestellt, meinte er.

Viel Kritik von der Opposition

Die Oppositionsparteien haben die Rede von ÖVP-Chef Karl Nehammer zu seinem „Österreich-Plan“ mit Skepsis verfolgt – SPÖ, FPÖ und NEOS lassen kein gutes Haar daran.

FPÖ: „Großes Bürgertäuschungsmanöver“

FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker ortete ein „großes Bürgertäuschungsmanöver eines notorischen Krisenleugners, der als Bundeskanzler keine Zukunft mehr hat“. Das ÖVP-Establishment fürchte sich vor Kickl offenbar dermaßen, dass er der heimliche Stargast der Veranstaltung gewesen sei.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte bereits am Vormittag die ÖVP als müde und korrupt bezeichnet und sich für eine baldige Neuwahl ausgesprochen. „Was soll man zu einer Zukunftsrede von jemandem sagen, der in der Gegenwart versagt?“, warf deren Generalsekretär Douglas Hoyos dem Kanzler mangelnde Glaubwürdigkeit vor.